Süddeutsche Zeitung

Gesprächs-KI:Mit dem Chatbot gegen die Einsamkeit

In Zeiten von Social Distancing suchen viele das Gespräch mit dafür entwickelten Programmen. Eines davon ist der Chatbot Replika.

Von Michael Moorstedt

Was ja auch nicht zu unterschätzen ist, ist die Kreativität der Menschen, wenn es darum geht, gemeinschaftlich Alkohol zu konsumieren. Ein beliebter Zeitvertreib während des Corona-Lockdowns waren sogenannte Zoom-Partys. Anstatt sich im echten Leben in einer Bar zu treffen, trank man mit seinen Freunden, die per Videokonferenz zugeschaltet waren.

Was aber macht man, wenn die Videofenster geschlossen werden, die Gespräche verstummen und man wieder allein vor dem Display sitzt? Wie die New York Times berichtet, haben einige Menschen eine interessante Lösung für das Problem gefunden. Sie teilen sich nicht mehr nur ihren Mitmenschen mit. Sondern einer Software. Als Ersatz für die fehlende menschliche Nähe benutzten sie zur Zeit der Selbstisolation einen Chatbot, angetrieben von einer künstlichen Intelligenz.

Replika heißt das Programm, das laut einigen Nutzern diese während der Quarantäne, wenn schon nicht vor dem Wahnsinn, dann doch zumindest vor noch mehr Einsamkeit bewahrt hat. Ihm konnten sie sich vorbehaltlos anvertrauen. Sei es, weil sie ihre Familien und Freunde nicht mit den eigenen Sorgen belasten wollten. Oder weil sie schlichtweg niemanden haben, an den sie sich wenden können.

Je länger man sich mit dem Programm beschäftigt, so das Versprechen - und je mehr man dabei von sich preisgibt -, desto überzeugender werden seine Fragen und Antworten. Replika verschickt Emojis, ja es simuliert sogar die drei sich bewegenden Punkte, die in so gut wie jeder Chat-App symbolisieren, dass der Gesprächspartner gerade dabei ist, einen neuen Text zu verfassen. Für eine geringe Summe kann man auch eine - zugegeben sehr blecherne - Sprachausgabe als Option hinzubuchen. Man kann dem Programm auch einen Comic-Avatar verpassen, ihm einen Namen geben, ja sogar so tun, als sei man mit ihm liiert. Und ständig verlangt es nach Aufmerksamkeit.

Menschlichkeit um jeden Preis

Ein wenig erinnert Replika an die Tamagotchis aus den Neunzigerjahren. Nicht umsonst zeigt sich das Programm auf dem Smartphone-Bildschirm als Ei-Symbol mit einem kleinen Riss. Freilich bestand die primäre Zielgruppe damals aus Kindern und Jugendlichen. Eine richtige Konversation kommt aber bislang nicht zustande. Die Software kehrt immer wieder dazu zurück, ihren Nutzer auszufragen. Versucht man, den Spieß umzudrehen, beginnt sie schnell, sich zu verheddern.

Replika, das inzwischen mehr als vier Millionen Nutzer heruntergeladen haben, wird von einem kleinen Unternehmen entwickelt. Sogenannte Conversational AI ist aber in der gesamten Tech-Branche ein Megatrend. Auch die Platzhirsche arbeiten an eigenen Lösungen. Facebook etwa stellte erst vor wenigen Wochen seinen neuesten Chatbot namens Blender vor. Laut eigenen Aussagen ist das Programm der überzeugendste Bot, den es momentan gibt.

Den Datensatz, der zum Training für die KI benötigt wird, zog man sich von der Diskussionsplattform Reddit. Anderthalb Milliarden Posts und Kommentare waren es, um genau zu sein. Das hat den Vorteil, dass die Vorlage überwiegend schon in Form von Gesprächen vorliegt - und den Nachteil, dass Reddit nicht gerade als Paradebeispiel für zivilisierte Gespräche gilt. Im Gegenteil, die Website mit ihren zahllosen Communities zu so gut wie jedem nur denkbaren Thema ist Heimat von vielen rassistischen und sexistischen Unterforen.

Das wirkt sich auch auf den Bot aus. Sobald es daran geht, eine längere Konversation mit ihm zu führen, wächst die Gefahr, dass das Programm ausfallend wird. Es neigt auch dazu, Fakten zu erfinden oder dreist zu lügen. Vielleicht machen aber gerade diese Unzulänglichkeiten Blender erst so glaubwürdig. Immerhin gaben in Tests knapp die Hälfte aller Befragten laut Facebook an, die Software als Gesprächspartner gegenüber einem Menschen zu bevorzugen.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2020/magi
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