Aus dem Internet kommt, wie immer bei diesem Kongress, noch eine Frage. Ein Helfer des Chaos Computer Clubs (CCC) verliest sie, des großen deutschen Hackervereins. Es ist die Frage, die sich alle im Saal stellen, aber Jessy Campos auf dem Podium mag sie nicht beantworten. Die Frage lautet: Waren es die Russen?
Es ist kurz vor Mitternacht auf dem Jahreskongress des CCC in den Tiefen des Hamburger Kongresszentrums. Campos ist Experte für IT-Sicherheit. Er hat die Software analysiert, mit der in den USA die Demokratische Partei gehackt wurde, in Deutschland der Bundestag und mehrere andere Systeme. Die amerikanische Regierung spricht von digitaler Vergeltung. Campos beantwortet die Frage in Hamburg nicht.
2016 war das Jahr, in dem Informatiker durch ihre Analysen mitentschieden, ob es zu einer offenen Konfrontation zwischen den beiden Großmächten kommt. In dem IT-Sicherheit eine Angelegenheit der Geopolitik wurde. Bislang war das anders. Das Konferenz-Motto lautet: "Works for me", bei mir klappt das. "Jeder Software-Entwickler kennt das", erklärt Falk Garbsch, einer der Sprecher des Vereins. "Das ist die Antwort, wenn man jemanden auf einen Fehler hinweist und der sagt: 'Bei mir klappt es. Alles andere ist dein Problem.'"
Smartphones sind "ausgelagerte Gehirne"
Für ihn ist das eine Position, die unter Hackern ebenso weit verbreitet wie falsch ist. Man trage eine Verantwortung, sagt er. Es reiche nicht, Technik ohne Gesellschaft zu denken. Wenn die vier Sprecher des Clubs in schwarzen T-Shirts und Kapuzenpullis bei ihrem Auftritt die Entwicklung der Mitgliederzahlen seit 1986 auf die Leinwand projizieren, ist der rechte, aktuellere Teil der Grafik eine Farbexplosion: Die Zahl hat rapide zugenommen.
Die Bedeutung des Kongresses geht aber noch weit über den harten Kern der Szene hinaus. Wie im vergangenen Jahr wurden 12 000 Tickets verkauft und zwar in Minuten, wie ein Pop-Konzert. "Das ist die Obergrenze", sagt Garbsch, der meist mit seinem Hacker-Alias angesprochen wird: Nexus. Auf Schildern am Eingang steht. "Nein, es gibt keine Tickets mehr. Nicht mal eins." Direkt daneben: "Ja, wir sind uns sicher."
Informationstechnik berührt inzwischen das Persönliche. CCC-Sprecherin Constanze Kurz meint, dass sich erst allmählich die Erkenntnis durchsetze, dass Smartphones "ausgelagerte Gehirne" seien. Deshalb hat die American Civil Liberties Union, die Aclu, die amerikanische Bürgerrechtsunion, inzwischen auch einen Technik-Fachmann: Christopher Soghoian.
Und dieser warnt nicht vor den vermeintlichen russischen Hackerattacken, sondern sieht die größte Gefährdung für digitale Bürgerrechte in den Machtzentralen des Westens. Um die Rechte der Nutzer zu schützen, geht er ungewöhnliche, auch umstrittene Wege. Er trat in vier Prozessen gegen Pädophile als Experte auf - für die Verteidigung. Allerdings nicht, um die Pädophilen zu schützen, sondern um herauszufinden, wie staatliches Hacking die Sicherheit im Netz aushöhlt.
Als Experte im Prozess gelangte er an die Dokumente der Ermittler, die verrieten, wie das FBI gesicherte Foren für den Tausch von Kinderpornografie knackte. Soghoian: "Ich wollte herausfinden, wie das FBI hackt." Militär- und Spionagetechniken verbreiteten sich bis in lokale Polizeidienststellen, sagt er. Heute fänden sich Hacker eben auch in Behörden und jagten mit teils fragwürdigen Methoden nicht nur Verbrecher, sondern auch Regierungsgegner.