Chaos Communication Congress:Eine neue Hackerordnung

Computer Hackers Gather For Annual CCC Congress

Hackertreffen in Hamburg: Politische Diskussionen treffen auf technische Spielereien.

(Foto: Getty Images)

"Alle unsere Befürchtungen haben sich bestätigt": Beim Kongress des Chaos Computer Clubs diskutieren Tausende Hacker über Überwachung - und darüber, wie man sich dagegen wehrt.

Von Hakan Tanriverdi, Hamburg

Alle 3000 Zuhörer heben ihre Hand. Sie sitzen in Saal 1 des Kongresszentrums in Hamburg, der Saal ist übervoll. Die Platzeinweiser haben reihenweise Menschen aus dem Saal geschickt, weil diese sich einfach auf den Boden gesetzt haben und das gegen die Brandschutzordnung verstößt. Vermutlich hätten aber auch die Zuhörer, die wieder gehen mussten, ihre Hand gehoben auf jene Frage, die klärt, welcher Menschenschlag hier an diesem Tag zuhören möchte. Die Frage lautet: "Wie viele von euch haben ihre Festplatte verschlüsselt?" 3000 Hände, einfach alle, danach folgen 3000 kurze Lacher. Digitaler Selbstschutz, das ist an diesem Ort eine Selbstverständlichkeit.

Es ist der erste Tag der Jahreskonferenz des Chaos Computer Clubs, der Chaos Communication Congress, kurz: 30c3. Er findet traditionell jährlich vom 27. bis 30. Dezember statt. Wer an diesem Kongress teilnimmt, gehört zur Hacker-Elite. Er oder sie kann alles manipulieren, zweckentfremden und nach Gusto steuern. Drohnen, Sim-Karten oder Alkohol. Und wer es noch nicht kann, der übt fleißig. Frauen sind allerdings weit weniger präsent als Männer, der 30C3 ist, wie jedes Jahr, eine Männerkonferenz.

Nicht alles wird gehackt, manches wird auch geschüttelt. Die Herstellung des perfekten Mai-Tai-Drinks ist, wenn sich ein Hacker der Sache annimmt, in zehn Sekunden erledigt. Der Barkeeper im vierten Stock beim CCC bedient von 17 Uhr an zu diesem Zweck nur eine Smartphone-App, während leise Musik läuft. Die App sendet Befehle an Computer, die Rezepte gespeichert haben, automatisch die für einen Mai-Tai notwendige Menge Rum mit einem Schlauch aus Flaschen pumpen und sie mit den restlichen Zutaten in ein Glas füllen. Nur das Schütteln übernimmt anschließend wieder der Mensch, und auch das nur, weil auf dem Kongress noch niemand eine Schüttelmaschine gebaut hat. Kann ja noch kommen.

Technische Fingerübungen sind das Betriebssystem

Auf dem CCC wird immer auch gelernt, beliebt wie stets ist es, kleine Lichtlein zu komplexen Blinkanlagen zusammenzulöten. Lena, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, hat sich einen Bausatz gekauft, Kostenpunkt: 15 Euro. Lötkolben hat sie selbst mitgebracht, genau wie ihr Baby und ihren Kinderwagen. Die Physiklehrerin hat die Zeit zwischen zwei Vorträgen genutzt und gebastelt. Auf dem Kinderwagen blinkt nun der Name ihres Sohnes. Mai-Tai, Babynamen - alles nur Spielerei?

Nein, es sind technischen Fingerübungen, sie gehören schon immer zum Kongress, sie sind sozusagen sein Betriebssystem. Constanze Kurz, Sprecherin des CCC, betont, dass hinter der Spielerei mehr als nur Spaß stecke: "Dort entsteht ja die Expertise, das Verständnis für die Technik", sagt sie. Es sind Grundkurse, die Verständnis für die digitale Welt wecken.

Wenn Kurz vom Presseraum im ersten Stock bis in den vierten Stock geht, dauert das fünfzehn Minuten, normalerweise ist der Weg nicht so lang. Doch Kurz wird ständig um Hilfe gebeten, mal fehlt ein Moderator für den nächsten Vortrag, dann klingelt ihr Telefon, es ist People's Daily, eine chinesische Tageszeitung. Bis Samstagabend kamen im gesamten Jahr 8973 Presseanfragen an den Chaos Computer Club, viele davon landen bei Kurz. Und auch der Kongress ist gewachsen. Die Sprecherin rechnet mit 9000 Besuchern in vier Tagen, verglichen mit dem Vorjahr entspräche das einem Zuwachs von einem Drittel. Es gibt mehr als 150 Referenten, dazu die vielen Workshops.

"Man kann schon den Eindruck haben, dass wir hier technopolitischer geworden sind", sagt Kurz. Technopolitik, das ist ein anderes Wort dafür, dass Technik und Politik in den vergangenen Monaten näher zusammengekommen sind: Die NSA-Affäre verbindet Außenpolitik und Hacker-Technik wie nie zuvor in der Weltgeschichte. Kriege werden mit digital gesteuerten Drohnen geführt, selbst Themen wie Erziehung oder Diplomatie werden durch das Internet beeinflusst und verändert. Der Chaos Computer Club profitiert davon, weil seine Mitglieder die Technik genauer und besser verstehen als viele Politiker - und Bürger. Er kann ein Anwalt für Bürgerrechte sein in der digitalen Gesellschaft. Dennoch mangelt es an Geld. Der Kongress kann nur deshalb stattfinden, weil 1000 Menschen ehrenamtlich mithelfen. So wie der CCC insgesamt ehrenamtlich arbeitet.

"Alle unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet"

Trotzdem: Der neue Status Quo, die gewachsene Relevanz findet sich in fast allen großen Reden des Kongresses wieder: Die Vorträge lauten "Der Überwachungsstaat in Indien", "Datenschutz aus Brüssel - wer will denn das?". Es geht um Überwachung, Geheimdienste und Spähsoftware, NSA, Verfassungsschutz, Wikileaks. Was noch vor drei, vier Jahren als kleine Expertenrunde stattgefunden hätte, bewegt heute die Welt: Zu den Rednern auf dem Kongress gehören Glenn Greenwald, der Journalist, der zusammen mit dem Whistleblower Edward Snowden die Enthüllungen eingeleitet hat. Und auch Julian Assange spricht, der derzeit in der ecuadorianischen Botschaft festsitzt, auch, weil er sich einem Gerichtsverfahren in Schweden entzieht. Beide werden per Videoübertragung zugeschaltet.

Die Botschaft auf dem Kongress lautet im Wesentlichen: "Alle unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet." Der amerikanische Geheimdienst versuche mit allen Mitteln, die gesamte digitale Kommunikation abzufangen und auszuwerten, das ist in Hamburg Konsens. Die Frage ist jetzt: Wie reagieren die Hacker drauf?

Werden sie Teil des Systems und entwickeln Überwachungs-Software? Oder arbeiten sie an Projekten mit, die zum Schutz der digitalen Privatsphäre beitragen? Constanze Kurz sagt: "Die deutsche Community hat sich ganz stark für eine Seite entschieden." Die gute Seite, klar.

Die öffentliche Debatte um Überwachung wird maßgeblich von Hackern mitgesteuert. Es ist ihr Metier, ihr Kernbereich. Dieses Selbstbewusstsein merkt man ihrem Auftreten auch an. Auf die Machenschaften der NSA wurde bereits im Vorjahr hingewiesen, auch auf diesem Kongress. Der Aktivist Jacob Applebaum sagte damals: "Ich und viele andere glauben, dass der amerikanische Geheimdienst NSA in Utah ein Datenzentrum errichtet, um dort für geschätzt 100 Jahre Daten zu speichern - von allen Menschen auf der Welt - an die er durch massenhafte Überwachung gelangt." Seine Rede verpuffte damals, ein Jahr später bestimmt ihr Inhalt sämtliche Schlagzeilen, weil Applebaum Recht hatte.

Ein Journalist als Teil der Szene ist problematisch

Glenn Greenwald nimmt eine zentrale Rolle ein. Der Journalist hat den NSA-Skandal mit ausgelöst, in dem er aus Geheimdokumenten zitiert, die er von Whistleblower Edward Snowden erhalten hat. Die wohl bedeutendste Geschichte des Jahres hätte er beinahe aus der Hand gegeben, sagt er in seiner Rede; weil ihm das Verschlüsseln seiner Kommunikation als unnötig, gar lästig erschien. Heute verschickt er immerhin jede zweite seiner E-Mails abgesichert. Wenn Greenwald spricht, dann wirkt es so, als ob er mit guten Freunden rede. Jeden dritten Satz unterbricht er, weil er darauf warten muss, dass der Applaus abebbt.

Aber wenn Greenwald spricht, erkennt man auch, wie dünn die Linie ist, die zwischen Journalismus und Aktivismus verläuft. Greenwald fordert seine Hörer zum Kampf auf, die Gemeinschaft der Hacker müsse den Geheimdiensten geschlossen entgegentreten. Seine Rede hat eine Debatte ausgelöst, ob das, was er macht, noch Journalismus ist - oder schon Aktivismus. In einem Artikel auf Zeit Online wurde Greenwald stark kritisiert. Dort heißt es, dass trotz seiner sachlich-korrekten Arbeit ein Problem entstehe, wenn er sich als Journalist als Teil der Szene sehe. Greenwald verletze das klassische Credo der Objektivität, die ein Journalist vertreten müsse. Auch diese Debatte wird in Hamburg in diesen Tagen geführt. Greenwald verteidigt sich mit den Worten: "Ich denke, dass Journalismus an sich eine Form des Aktivismus ist."

Egal, was Greenwald nun ist, Journalist oder Aktivist, in Hamburg ist er vor allem: ein Held. Als er aus Brasilien zugeschaltet wird, sind Saal 1 und Saal 2 des Hamburger Kongresszentrums wieder völlig überfüllt, 4500 Menschen finden hier Platz. Hacker waren noch nie so wichtig wie jetzt.

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