Süddeutsche Zeitung

CES 2017:Virtual Reality: Leben nach dem schnellen Kick

Vor einem Jahr war VR der Hype der Stunde auf der Messe CES. Danach passierte wenig. Doch bessere Technologien könnten ihr neue Impulse verleihen.

Von Johannes Kuhn, Las Vegas

Der Bergsteiger müht sich den verschneiten Bergpfad hinauf, der eisige Abgrund zieht den Blick nach unten. Mit den Eispickeln zieht sich der Mann voran, während das Publikum amüsiert zusieht: Der vermeintliche Bergsportler befindet sich auf einer flachen Bühne der Technik-Messe CES, die Eispickel sind in Wirklichkeit Controller und die Alpenwelt existiert einzig in seiner Virtual-Reality-Brille.

Die Demonstration ist durchaus beeindruckend, in ihr steckt aber ein Kernproblem von Virtual Reality (VR): Um die messerscharfe Panorama-Simulation zu berechnen, muss der virtuelle Bergsteiger einen Rucksack mit einem 3000 Euro teuren und ziemlich schweren Hochleistungs-Laptop tragen. Die viel gelobten neuen Welten sind noch nicht für alle zugänglich.

VR war vor einem Jahr das Trend-Thema der CES, 2017 dagegen beginnt vergleichsweise ernüchternd: Die Verkaufszahlen bleiben bislang übersichtlich. Aufwändige VR-Computersysteme sind teuer, die günstigeren Smartphone-Varianten - die bekannten Einsteck-Brillen - dagegen stellen die Grafik ungenauer da. Wer sich Zubehör wie Handschuhe kauft, um in der künstlichen Realität Gegenstände greifen zu können, muss weiteres Geld locker machen - je realitätsnäher, desto teurer.

Dazu kommt, dass die Produktgattung darunter leidet, dass sie die Fantasie geweckt hat: Natürlich gibt es ständig neue Spiele, kann sich der Beobachter in Mini-Szenen mit Erschreck- oder Wow-Faktor versetzen, auch Sportligen wie die NBA oder Firmen wie Disney produzieren für VR. Doch eine "Muss-ich-haben-haben-haben"-Anwendung für Mainstream-Konsumenten gab es bislang noch nicht.

Gegenstände lassen sich in die Digitalität importieren

Allerdings macht VR auch erfolgsversprechende Fortschritte: Qualcomm präsentierte auf der CES den neuen Chip Snapdragon 835, der die VR-Grafik im Smartphone flotter berechnet und Unschärfen wie den Fliegengitter-Effekt, der die Bilder mit unschönen Linien hinterlegt, beseitigen könnte.

Chip-Gigant Intel wiederum gibt seinem Prototypen-Headset die Fähigkeit, den Raum um den Helm-Träger herum zu vermessen: Damit spart sich der Nutzer externe Sensoren, um sich realitätsgetreu in der Fantasiewelt bewegen zu können. Und fällt bei seinen Abenteuern hoffentlich nicht mehr über das heimische Sofa, das im Weg steht.

HTC dagegen stellte einen kleinen Puck als Gegenstands-Tracker vor: Bastler können ihn auf Gegenständen wie Tennis- oder Baseball-Schlägern anbringen und diese damit in die virtuelle Welt "importieren". Und die Technologie-Branche wartet nach dem erfolgreichen Start des Sony-Headsets Playstation VR auf Microsoft und seine für Frühjahr angekündigte VR-Plattform Windows Holographic. Auf der CES zeigten HP, Dell, Acer und Lenovo Prototypen-Brillengehäuse, die sich optisch an dem Stirnband-Design von Sonys Playstation-Datenbrille orientieren. Details allerdings sparte man sich.

Sinkende Preise und bessere Auflösung von 360-Grad-Kameras dürften dafür sorgen, dass immer mehr Inhalte dreidimensional zur Verfügung stehen. Allerdings fehlt bei den professionell gemachten Inhalten ein Hit, wie ihn im Nintendo im Sommer kurzfristig mit Pokémon Go landete. Plötzlich erschien der Durchbruch für Augmented Reality (AR), also in die physische Welt eingespielte Digitalelemente, näher als für die komplexe Kunstwelt von VR.

"AR sehe ich eher derzeit eher im professionellen Bereich", dämpft Marty Resnick den Optimismus. Pokémon Go sei eine Welt gewesen, die viele kannten - und nicht wenige Nutzer schalteten den AR-Teil der Anwendung aus. Stattdessen kehren im AR-Bereich nun wieder Brillen mit eingebautem Display zurück - jenes Konzept also, das auf Konsumentenebene scheiterte (Stichwort Google Glass).

"In der Industrie, Medizin oder als Bildungssoftware gibt es viele Pilot-Anwendungen", erzählt Resnick. Auf der CES zu sehen: Bücher, deren Abbildungen beim Blick durch die Brille im Display als Animation erscheinen - ein Format, das vor allem bei chinesischen Kindern sehr beliebt ist.

Der schnelle Kick - bald im VR-Spielsalon?

Wie groß das Bedürfnis nach solchen Effekten ist, bewiesen in Las Vegas die Menschenmassen vor dem Stand der Londoner Firma Kino.mo: Die projizierte Promi-Köpfe, tanzende Buchstaben und andere 3-D-Hologramme in die Luft - und erreichte damit den Wow-Effekt, den einmal Augmented Reality liefern soll.

In der Virtuellen Realität dagegen sind solche schnellen Kicks längst Tagesgeschäft und werden es auch noch bleiben. Das französische Startup Theory stellte auf der CES seinen "Hypersuit"-Prototypen vor: Der VR-Nutzer legt sich auf ein Halte-Gerät, das dem Körper den freien Fall vorgaukelt - und so den virtuelle Fallschirmsprünge erleben kann.

Solche Abenteuer sind für Privatanwender daheim allerdings noch zu teuer und kompliziert zu installieren. Vielleicht liegt der Schlüssel in der Geschichte der Videospiele: Auch die mussten zunächst die Spielautomaten-Salons erobern, bevor sie zum Massenphänomen im Wohnzimmer wurden. In den USA haben bereits die ersten VR-Salons eröffnet.

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