Cebit-Partnerland Türkei:Zensieren kommt vor kapieren

Das Cebit-Partnerland Türkei kämpft mit dem Fortschritt: Wirtschaftswachstum und Zuwachsraten bei den neuen Medien sind gigantisch - doch Innovationen kommen wenige aus dem Land. Und die Regierung musste erst lernen, was das Internet eigentlich ist.

Kai Strittmatter

Die Türkei leidet unter ihrem schlechten Image in Europa. Erst am vergangenen Freitag trafen sich in Istanbul Wirtschaftsführer zu einem "Türkei-Anerkennungs-Gipfel", um zu diskutieren, warum ihr Land so gerne missverstanden wird. Aus Sicht der türkischen Elite gilt das vor allem für Deutschland: Die Debatte um Migranten verstelle den Deutschen noch immer den Blick auf die erstaunlichen Entwicklungen in der Türkei selbst, sagen sie.

CeBIT 2011 - Aufbau

Der weiße Halbmond auf rotem Grund weht vor dem Messegelände in Hannover - bei der Computermesse Cebit ist die Türkei Partnerland.

(Foto: dpa)

Ankara möchte das dringend ändern, am besten noch in dieser Woche. Ja, Premier Tayyip Erdogan wollte am Sonntagabend in Düsseldorf zu seinen Landsleuten sprechen. Der Premier aber hofft dringend, dass die Deutschen auch das mitbekommen: Die Türkei ist Partnerland der Cebit 2011, die am Dienstag in Hannover beginnt. Deshalb vor allem ist Erdogan nach Deutschland gekommen.

Die Türkei und High-Tech? Das Land wandelt sich rasant. 2010 wuchs die Wirtschaft in dem Land um gute acht Prozent, nahezu so schnell wie die chinesische. Fast jeder zweite Türke hat heute Zugang zum Internet. Das liegt noch unter dem EU-Durchschnitt von 65 Prozent - aber es sind die Wachstumsraten, die erstaunen: Vor fünf Jahren hatte gerade einmal jeder zehnte Haushalt einen Computer, heute ist es jeder dritte.

Die Türken sind ein junges Volk, und sie lieben die neue Elektronik-Welt. Eben erklärte eine Studie der Firma Ericsson sie zum Weltmeister im mobiltelefonieren (76 Minuten pro Kopf und Tag). Und Facebook zählte Ende vorigen Jahres 23 Millionen Nutzer aus der Türkei: Platz vier unter allen Nationen.

"Achtung, wir kommen!"

Mobilfunkanbieter Turkcell brüstete sich, die Datenübertragung in seinem 3G-Netz sei "schneller als die in Berlin", und die private Garanti-Bank bietet den Kunden ein Online-Banking an, das in punkto Service und Nutzerfreundlichkeit die Internetauftritte deutscher Banken alt aussehen lässt. "Achtung, wir kommen!", schrieb der bekannte Technologie-Blogger Ersu Ablak.

Doch bei aller Euphorie: Interessant ist die Türkei bislang nur als Markt. Firmen wie Microsoft und HP machen sie zur Drehscheibe ihres Geschäftes für die ganze Region. Bislang aber wird hier vor allem konsumiert, nicht erfunden. Unternehmergeist im 21. Jahrhundert sei halt etwas anderes "als den Zillionsten Kebapladen aufzumachen", seufzt auch Blogger Ablak. Andere klagen über hohe Steuern, rechtliche Hürden und minimales Investment in Forschung und Entwicklung.

Zur Blamage für das Land geriet zudem das mit der heißen Nadel gestrickte Gesetz Nr. 5651 aus dem Jahr 2007, mit dem die Regierung offenbarte, "dass sie gar nicht kapiert, was das Internet überhaupt ist", wie der IT-Lobbyist Mustafa Akgül lästerte. Das Gesetz sollte die Türken schützen vor Kinderpornographie oder vor der Beleidigung ihres Republikgründers Atatürk. Weil es jedem Richter im Land erlaubt, jede Webseite der Welt landesweit zu sperren, waren schnell mehrere Tausend Webseiten zensiert - als wolle die Türkei den Regimen in China und Nordkorea Konkurrenz machen.

Die Videoplattform Youtube etwa wurde nach mehr als zwei Jahren Sperre erst im Oktober 2010 wieder freigegeben. Da war schon klar, dass den Regierenden ihr Gesetz selbst peinlich war. Premier Erdogan empfahl einmal, die Sperren einfach zu umgehen, zuletzt gab Präsident Abdullah Gül seinen Protest gegen die Zensur zu Protokoll: auf Twitter. Die Regierung arbeitet nun an einem neuen Gesetz. Für die Demokratie, wie ein Sprecher sagt. Und fürs Image.

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