Bürgerrechte in der Online-Welt:Wer soll das Internet regieren?

Wenn der aktuelle Gipfel der Vereinten Nationen zur Regulierung des Internets scheitern sollte, ist das nur auf den ersten Blick ein Erfolg: Die Übergriffe der Nationalstaaten auf die zentrale Infrastruktur unserer Gegenwart nehmen zu - diese zu schützen, ist eine internationale Aufgabe.

Von Johannes Kuhn

"Die Vereinten Nationen und das Internet: Es ist kompliziert", titelte neulich Foreign Policy. In der Tat: Die Telekommunikationskonferenz der UN-Organisation ITU läuft noch bis nächsten Freitag, und man kann bereits jetzt von einem Desaster sprechen.

Weil die Veranstaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, was spätestens seit Acta kein akzeptabler Standard mehr sein kann, wird kein Ergebnis jenseits des Erhalts des Status Quo Zustimmung finden (hier ein FAQ zum Thema). Die Folgen der Intransparenz zeigen sich in der Diskussion darüber, ob geleakte Dokumente zur Deep-Packet-Inspection geheim sind oder nicht und welche Folgen die Vorschläge hätten.

Ein Scheitern der Gespräche wäre allerdings nur auf den ersten Blick ein Grund zur Freude, zeigt sich doch ein Problem, das in den nächsten Jahren noch drängender werden wird: Das Multi-Stakeholder-Modell in Sachen Internetregulierung ist am Ende. Wenn es denn jemals existiert hat, denn die Internet-Verwaltungsorganisation Icann ist nicht nur sehr west- beziehungsweise US-zentriert, sondern verfolgt vor allem - siehe neue Top-Level-Domains - kommerzielle Interessen.

Das Internet in Ruhe, nicht alleine lassen

"Leave the internet alone", las ich neulich unter einem YouTube-Video zum Thema. Warum eigentlich nicht? Die Protokolle funktionieren wunderbar, noch ist jede chinesische Firewall durchlöchert worden. Die Antwort lautet: Weil das Netz inzwischen eine der wichtigsten Infrastrukturen der Welt ist und die Entwicklung eben nicht nur eine Frage des Geschäfts (Icann), des kleinsten gemeinsamen Nenners (Vereinte Nationen) oder nationaler Interessen (Zensurländer) ist. Womöglich sollte der Zugang in absehbarer Zeit ein Menschenrecht werden, wie die Electronic Frontier Foundation argumentiert.

Wenn dem so ist, müssen wir aber dieses Recht auch festschreiben und schützen - und genau hierfür fehlt nicht nur eine globale Initiative, sondern auch der Rahmen, derartiges durchzusetzen. Genau deshalb ist es beinahe tragisch zu nennen, dass die UN nun diskreditiert ist und einzig auf der Ebene der Cyber-Kriegsführung wirklich positive Ergebnisse herbeiführen kann. Falls man sie lässt, wonach es derzeit nicht aussieht.

Je weniger wahrscheinlich es wird, international Nutzer- und damit Bürgerrechte durchzusetzen, desto größer die Gefahr nationalstaatlicher Übergriffsversuche. Die nehmen nicht nur in China oder Russland, sondern auch in westlichen Ländern deutlich zu (Sopa, Hadopi und Zensursula sollen nur drei Stichworte sein).

Kontrolle geht vor Freiheit - leider auch im Westen

Das Paradigma "Kontrolle geht vor Freiheit" hat sich in der Netzpolitik in den vergangenen Jahren großflächig durchsetzen können, auch wenn die Übergriffe auf nationaler Ebene häufig wie eine Aneinanderreihung von Einzelfällen wirken. Der Vorratsdaten-Diskurs beispielsweise konnte nie die Schlagkraft einer Acta-Debatte entwickeln, weil sich die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie zeitlich, räumlich und in der Ausgestaltung unterschied.

Wenn wir also die Frage "wer soll das Internet regieren?" stellen, lautet die Antwort: Die Bürgerrechte. Wollen ITU beziehungsweise UN wirklich eine Rolle bei der Gestaltung des Netzes haben, müssen sie dies beherzigen und in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen.

Transparentere Diskussionen und Entscheidungsprozesse wären ein Anfang. Doch eigentlich ist viel mehr nötig: Ein Kraftakt ähnlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 - für das Internet als Infrastruktur und die Bürger, die sich dort bewegen.

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