Buch von Evgeny Morozov:Attacke auf die smarte neue Welt

Das neue Buch von Evgeny Morozov ist perfekt - für Menschen, die ihr Unwohlsein mit der digitalen Revolution bestätigt sehen wollen. In seiner Wut bedient der Autor das wohlige Schaudern des Kulturpessimismus. Dabei unterscheidet er sich in seiner Gewissheit kaum von denen, die er kritisiert.

Von Dirk von Gehlen

Um Evgeny Morozov richtig wütend zu machen, braucht es nicht viel. Es reicht, sein neues Buch als "perfekt" zu loben. Der aus Weißrußland stammende Publizist, der heute in den USA lebt, wird das nicht gerne hören und vielleicht in eine digitale Debatte gegen dieses Urteil ziehen.

Er nimmt die Idee vom Dialograum Internet sehr ernst und streitet auf zahlreichen Kanälen für seine Sache. Diese Sache lässt sich im doppelten Sinn als Kampf für das Gute beschreiben, das manchmal schon gut genug ist und nicht durch das vermeintlich Perfekte ersetzt werden muss.

Morozov erkennt im Perfekten den Feind eben dieses Guten und die Ursache für einen Lösungsfanatismus, gegen den er sich auf mehr als 650 Seiten wendet. Im englischen Original schafft es dieser "Solutionism" sogar aufs Cover des Buches, das im Untertitel den "Aberwitz des technologischen Lösungswahns" beklagt.

"To Save Everything, Click Here" heißt das bereits im Frühjahr in Amerika heftig diskutierte Werk im Originaltitel, was eine ironische Anspielung auf die Haltung ist, die Lösungen per Mausklick verspricht. "To save" lässt sich nämlich als retten und speichern übersetzen. Diese Doppeldeutigkeit ist im Deutschen nicht so schön einzufangen - was nicht nur ein sprachliches Problem ist.

Deutsche und amerikanische Netzdebatte unterscheiden sich stark

Auch die Haltung, gegen die Morozov zu Felde zieht, findet man im deutschen Sprachraum höchstens abgeschwächt. Die Evangelisten der Digitalisierung, denen Morozov "Internetzentrismus" attestiert, der sich in dem genannten Lösungsfanatismus ausdrückt, sind hierzulande amerikanische Adaptionen - und zudem eher selten.

Die deutsche Debatte wird von der Skepsis eines Frank Schirrmacher bestimmt. Einen deutschen Tim O'Reilly gibt es im Land von Leistungsschutzrecht und Streetview-Verpixelung nicht - und auch die Euphorie, die der amerikanische Verleger und Begründer des Begriffs "Web 2.0" an den Tag legt, muss man in Deutschland lange suchen. Morozov arbeitete sich im Frühjahr in einem Porträt an O'Reillys Haltungen ab, was - genau wie das Buch - nicht falsch, aber alles in allem zu lang und zu emotional geriet. Der Text trug den Titel "Der Meme-Stricher". Eine tolle Werbung für das Buch, das jetzt in Anspielung auf Aldous Huxley als "Smarte neue Welt" auf deutsch erscheint, war er allemal.

Die kulturellen Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Netzdebatte werden dem Erfolg von Morozovs fulminanter Wut keinen Abbruch tun, denn "Smarte neue Welt" ist tatsächlich ein perfektes Buch - für Menschen, die ihr Unwohlsein mit der digitalen Revolution wortreich bestätigt sehen wollen.

Morozov nutzt selbst die Methoden der "Meme-Stricher"

Morozov holt extrem weit aus und begründet extrem ausführlich ein Grundgefühl der Skepsis - gegen die digitalen Veränderungen und die Verfechter dieser Veränderungen. Es ist nichts falsch daran, diese Haltung einzunehmen, in seiner Wut bedient Morozov allerdings vor allem das wohlige Schaudern des Kulturpessimismus, eine konstruktive Debatte über die Folgen der Digitalisierung bringt er damit keinen Schritt voran.

Zentraler Zielpunkt dieser Form der Technologiedebatte ist das Marketing für die Person des Autors. Morozov hat die Methoden der Meme-Stricher, die er kritisiert, sehr genau analysiert und bringt sie nun selber zur Anwendung, wenn er etwa im Nachwort erklärt, "dass die meisten Internetdenker einem imaginären Gott eigener Schöpfung huldigen und die Wahrheit nicht erkennen wollen".

Säuberungskreuzzug

Mit dieser Dummheit ihrer Gegner haben fast alle Wahrheitswisser auf der Welt zu kämpfen und fast alle ziehen daraus selbstgewisse Schlüsse, die im besten Fall ärgerlich und im schlechtesten Fall gefährlich sind: "Unsere Technikdebatte zu säkularisieren und vom schädlichen Einfluss des Internetzentrismus zu säubern, ist heute die bei Weitem wichtigste Aufgabe des Technologieintellektuellen."

Dieser Säuberungskreuzzug ist nicht nur deshalb unschön, weil man auf den Seiten zuvor gelesen hat, dass Morozov hier keine sprachliche Ungenauigkeit unterlaufen ist. Sie nimmt vor allem den richtigen Ansätzen, die Morozov benennt, ihre Überzeugungskraft und macht den Autor zu einem Anti-Evangelisten, der sich in Überzeugungsgewissheit kaum von denen unterscheidet, die er kritisiert.

Versteckt hinter dem selbstgefälligen Wahrheitsanspruch

Die emotionale Konfrontation verfolgt Morozov mit Ausdauer (das Wort Internet wird konsequent in Anführungszeichen gesetzt) und ohne Selbstzweifel. Sein Ziel ist es, Internetdenker scheitern zu sehen und stattdessen eine "Post-Internet-Herangehensweise an die Technik" zu etablieren, die besser, klüger und schlauer ist. Wortreich lobt Morozov als Vorzug seines Ansatzes, "dass er die oberflächlichen und historisch unkundigen Darstellungen entlarvt, die einen großen Teil unserer Technikdebatte beherrschen, und sie für facettenreichere und historisch wichtige Erfahrungen öffnet".

Wenn man sich die Mühe macht, die Worte von ihrem selbstgefälligen Wahrheitsanspruch zu befreien, entdeckt man sehr interessante Gedanken, die eine notwendige Debatte bereichern könnten. Morozov weist zu Recht darauf hin, dass "das Internet" ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das nicht per se Lösungen bereithält oder an gesellschaftlichen Verschlechterungen Schuld trägt, sondern häufig zunächst den Interessen derjenigen dient, die es als analytische Kategorie heranziehen. Technik - das sollte man sich immer wieder in Erinnerung rufen - fällt nicht vom Himmel. Evgeny Morozovs Post-Internet-Ansatz aber eben auch nicht. Auch er verfolgt Interessen - und eine konstruktive Debatte zählt dabei nicht zu den obersten Zielen.

Evgeny Morozov: Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Ursel Schäfer. Karl Blessing Verlag, München 2013. 655 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.

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