Süddeutsche Zeitung

Britisches Internetgesetz:Hier sperrt der Minister

Kurz vor den Wahlen verabschiedet das britische Parlament ein umstrittenes Internetgesetz: Filesharern drohen heftige Sanktionen, der Wirtschaftsminister darf Internetseiten blocken.

Im Vorfeld war viel geredet worden, doch am Ende ging es ganz schnell: Die Debatte am späten Mittwoch dauerte gerade einmal zwei Stunden, dann war die "Digital Economy Bill" verabschiedet - ein äußerst umstrittenes Gesetz, das den Umgang mit illegalen Downloads und die Wahrung des Urheberrechts im Internet zeitgemäß regeln soll.

Bürgerrechtler hatten in den vergangenen Monaten gegen das Gesetz mobil gemacht, da sie die Einführung einer Three-Strikes-Law fürchteten, wie sie es bereits in Frankreich gibt. Wer dort urheberrechtlich geschütztes Material im Netz verbreitet, kann nach zwei Warnbriefen mit der Abschaltung des Internetanschlusses bestraft werden.

Diese Regelung wurde im Vorfeld aus dem Entwurf gestrichen, um in abgeschwächter Form wieder aufgenommen zu werden. Internetprovider sind nun verpflichtet, bei Hinweisen auf Urheberrechtsverstöße Nutzern Warnhinweise zu schicken und die Anschlussdaten an die Rechteinhaber weiterzugeben.

Zwölf Monate Schonfrist

Ein Jahr lang soll gemessen werden, ob diese Warnungen tatsächlich zu einem Rückgang illegaler Downloads führen. Sollte dies nicht der Fall sein, kann die unabhängige Regulierungsbehörde Ofcom auch "technische" Sanktionen gegen die Kunden anordnen. Diese können aus einer Drosselung der Internetgeschwindigkeit, aber auch aus einem Kappen der Verbindung bestehen.

Bürgerrechtler sehen ein mögliches Abschalten von Internetabschlüssen kritisch: So könnten bei Internetzugängen, die von mehreren Menschen genutzt werden, Unbeteiligte bestraft werden. Auch die Regeln für ein Abschaltprocedere sind im verabschiedeten Gesetz offen gelassen - fest steht nur, dass der Kunde ein Recht hat, bei einer unabhängigen Stelle Widerspruch gegen eine Sperrung einzulegen.

Während der Debatte, bei der zeitweise weniger als die Hälfte aller Abgeordneten anwesend waren, kritisierten liberaldemokratische Abgeordnete und einige Vertreter der regierenden Labour-Partei auch andere Punkte des Gesetzes. Besonders umstritten: Wenn ein Gericht entscheidet, dass die Inhalte einer Seite gegen das Urheberrecht verstoßen, oder die Seite zum Verstoß gegen Urheberrechte genutzt werden kann, darf der Wirtschaftsminister die Sperrung dieser Seite veranlassen.

Der Labour-Abgeordnete John Hemming kritisierte den Passus scharf: Dies bedeute, dass beispielsweise auch Seiten wie Wikileaks betroffen sein könnten - auf der Enthüllungsseite ist streng genommen nur urheberrechtlich geschütztes Material zu finden.

Ein "abgekartetes Spiel"?

Die Formulierung impliziert auch, dass Seiten abgeschaltet werden können, wenn sie nur als Werkzeug dienen, um urheberrechtlich geschütztes Material zu finden. Das zielt auf Übersichtsseiten für Filesharing-Dienste, ist nach Ansicht einiger Abgeordneter äußerst weit auslegbar: "Die Kriterien treffen auch auf Google zu" warnte ein Abgeordneter der Liberalen vor einem Missbrauch des Gesetzes.

Im Vorfeld der Abstimmung hatten 20.000 Briten ihre Abgeordneten dazu aufgefordert, das Gesetz abzulehnen. Am Ende sprachen sich 189 Volksvertreter dafür, 47 dagegen aus. Kulturminister Ben Bradshaw verteidigte das Gesetz in der BBC als "faires Geschäft", da es die Rechte von Urhebern und Konsumenten ausbalanciere.

Andere Politiker zeigten sich wenig begeistert: Der ehemalige Labour-Minister Tom Watson bezeichnete das Regelung als "komplettes Desaster" und beklagte, dass die Unterhaltungsindustrie maßgeblich auf die Regierung eingewirkt habe, ein solches Gesetz zu verabschieden. Eine Labour-Abgeordnete erklärte die Verabschiedung zum "abgekarteten Spiel", da das Gesetz ohne längere Beratungen durchgepeitscht worden sei, um es noch vor dem Wahltermin am 6. Mai von der Queen unterzeichnen zu lassen.

Eine endgültige Zustimmung zur "Digital Economy Bill" durch das britische Oberhaus steht noch aus, gilt aber als sicher.

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