Britischer Ex-Politiker Nick Clegg:Facebooks neuer Cheflobbyist gibt sich als überzeugter Europäer

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Nick Clegg arbeitet nicht mehr für Großbritannien, sondern für Facebook. (Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)

Nick Cleggs Vorgänger bei Facebook traten oft rabiat auf. Der frühere britische Vize-Premier gibt sich nett gegenüber der EU. Aber hören seine neuen Chefs in Kalifornien ihm überhaupt zu?

Von Matthias Kolb, Brüssel

Wenn ohnehin alle die Vorurteile kennen, kann man sie auch gleich ansprechen. Nick Clegg wendet diese Taktik an, als er in seiner neuen Funktion als "Head of Global Affairs and Communication" von Facebook die Prioritäten seines Arbeitgebers für 2019 vorstellt. "Es gibt dieses Narrativ über eine Firma, die alles tue, um keine Steuern zahlen zu müssen, die sich nicht um Privatsphäre schere und allein verantwortlich sei für den Brexit und die Wahl von Donald Trump", sagt der ehemalige britische Vizepremier zu Beginn seiner Grundsatzrede in der ehrwürdigen, holzgetäfelten Bibliothèque Solvay in Brüssel.

Dem müsse er widersprechen, sagt der 52-Jährige ins Gelächter hinein. Als er im Herbst überlegt habe, ins Silicon Valley zu ziehen und Facebooks inoffizieller Außenminister zu werden, sei ihm wichtig gewesen, dass Mark Zuckerberg die Größe der Herausforderungen bewusst sei. Wenig überraschend betont Clegg, dass Facebook die Fehler, die "der Naivität und dem Idealismus" der Anfangsjahre geschuldet seien, abstellen wolle. Vier Monate vor der Europawahl gibt sich der ehemalige Europaabgeordnete überzeugt, dass das größte soziale Netzwerk der Welt gerüstet sei: 30 000 Mitarbeiter kümmerten sich um die Einhaltung der internen Regeln und dank smarter, automatisierter Systeme würde die Einrichtung von einer Million falscher Accounts verhindert - jeden Tag.

Um zu verhindern, dass Desinformation und Fake News die Entscheidung der Wähler beeinflussen, hat Facebook wie Google im Herbst einen Verhaltenskodex unterschrieben. Zudem werde im Frühjahr ein Zentrum in Dublin eröffnet, deren Experten Behörden unterstützen sollen. Wenn der Ausgangspunkt seiner Rede erwartbar war, so überrascht Clegg am Ende mit der Aussage, dass in Europa eine Diskussion beginne, "bei der es nicht mehr darum geht, ob soziale Medien reguliert werden, sondern um die Frage, wie das geschehen soll". Facebook, so der neue Chef-Lobbiyst, erkennt den "Wert von Regulierung an und will mit Politikern zusammenarbeiten", um diese Regeln "richtig" zu gestalten.

Europa diskutiert nicht, ob soziale Medien reguliert werden sollen, sondern wie

Diese Ankündigung passt zur mehrtägigen "Entschuldigungstour", die Clegg sowie Geschäftsführerin Sheryl Sandberg gerade nach Davos und andere Orte in Europa führt - aber sie widerspricht dem bisherigen Ansatz. Erst am Mittwoch hatte Politico beschrieben, mit welcher Wucht sich Facebook zwischen 2015 und Anfang 2018 in direkten Gesprächen mit der EU-Kommission gegen nahezu jede Form von Regulierung wehrte. Der Artikel stützt sich auf interne Dokumente der Behörde, deren Veröffentlichung die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) erwirkt hatte. "Üblicherweise lehnen Unternehmen und Verbände Auflagen nicht total ab, sondern versuchen Kommission, Abgeordnete und Mitgliedsstaaten so zu beeinflussen, dass die Gesetzesvorhaben verwässert oder ihnen Ausnahmen gewährt werden", sagt Margarida Silva von CEO. Wie andere Experten hat sie beobachtet, dass Facebooks Lobbyisten in Brüssel lange ähnlich rabiat auftraten wie in Washington - und nur bedingt überzeugten.

Dass Nick Clegg trotz seines Umzugs nach San Francisco in eine acht Millionen Euro teure Villa mit fünf Schlafzimmern vor allem in Europa aktiv sein wird, gilt in Brüssel als ausgemacht. Die hier geltenden Regeln und Befindlichkeiten kennt er nicht nur aus seiner Zeit im Europaparlament zwischen 1999 bis 2004, sondern auch aus seiner Arbeit als Berater von Handelskommissar Leon Brittan. Für Facebooks Anliegen kann er in vielen Sprachen werben, denn dank seiner Ausbildung am College of Europe beherrscht er neben Französisch auch Niederländisch, Deutsch und Spanisch.

Die Liberaldemokraten führte Clegg 2010 in eine für Großbritannien ungewöhnliche Koalition und war als Vizepremier dafür zuständig, Konflikte mit den Konservativen zu lösen. Aus dieser Zeit kennt er europäische Spitzenliberale wie den niederländischen Premier Mark Rutte oder FDP-Chef Christian Lindner bestens - und der Ende 2017 in den Adelsstand erhobene "Sir Nick" besuchte als Verfechter eines zweiten Brexit-Referendums regelmäßig Brüssel. Auch die Skandale um Cambridge Analytica sowie die vermutete Beeinflussung des Brexit-Votums durch Moskau kennt er bestens.

Bei der Premiere in Brüssel erwähnt Clegg mehrmals seine Vergangenheit als EU-Insider und gibt den überzeugter Europäer. Um den Wohlstand auf dem Kontinent zu erhalten, müsse die Digitalwirtschaft ausgebaut werden, so Clegg. Ihn stört, dass Amerikas Tech-Giganten attackiert würden - und nur wenige nach China blickten, wo es kaum Privatsphäre und Datenschutz gebe. Es sei naiv zu glauben, dass in der EU "perfekte Alternativen" zu den US-Firmen entstehen würden, so Clegg: Europa müsse einen "Mittelweg" aus der Dynamik des Silicon Valley und Brüssels Regulierungswillen aufzeigen.

Zur Ankündigung, die Chat-Infrastrukturen von Facebook, WhatsApp und Instagram zusammenlegen zu wollen, sagt Clegg nur wenig. Die Pläne stünden "ganz am Anfang" und Mark Zuckerberg reagiere auf den Wunsch vieler Nutzer, die zwischen den Plattformen kommunizieren wollten. Obwohl Clegg beteuert, dass heute keine Firma wachsen könne, deren Geschäftsmodell "nicht die Zustimmung der Gesellschaft" erhalte, wird es auch künftig krachen zwischen Brüssel und Facebook. So will sich Justizkommissarin Věra Jourová im Kampf gegen "terroristische Inhalte nicht auf Selbstverpflichtung verlassen".

Sie erklärte nach dem ersten Treffen mit Clegg, sie erwarte nun "weniger Rhetorik oder Entschuldigungen und mehr Taten".

Auch Expertin Margarida Silva sieht die sanften Töne skeptisch: "Facebook verspricht seit zwei Jahren permanent Besserung. Ihr Geschäftsmodell basiert aber weiter darauf, die persönlichen Daten ihrer Nutzer zu durchsuchen." Wie viele in Brüssel wird sie verfolgen, ob den schönen Worten konkrete Schritte folgen. Offen bleibt dann, ob Clegg seine Chefs in Kalifornien überzeugen konnte - oder ob der Brite nur mit großer Geste ankündigt, was Facebook sich ohnehin schon vorgenommen hat.

© SZ vom 29.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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