Amazon und die Fake-Profile:"Ich liebe es, menschliche Gefühle zu haben"

Lesezeit: 2 min

Bis zum Montag sollten sich Angestellte in einem Amazon-Werk im US-Bundesstaat Alabama entscheiden, ob sie eine Gewerkschaft gründen wollen. Die Auszählung der Stimmen läuft noch. (Foto: Lucy Nicholson/Reuters)

Begeisterte Mitarbeiter preisen Amazon im Netz. Doch etwas ist merkwürdig an einigen von ihnen.

Von Philipp Bovermann

Ob die Arbeitsbedingungen bei Amazon wirklich das seien, was sie am meisten interessiere, wollte ein Twitter-Nutzer von "AmazonFCDarla" wissen. Und was sie täte, wenn sie an einer Schildkröte vorbeikäme, die am Wegesrand in der Wüste auf dem Rücken in der Sonne liegt. Die Frage wird im Film "Blade Runner" als Test verwendet, um anhand der Reaktion echte von künstlichen Menschen zu unterscheiden. "Darla" scheint den Test nicht bestanden zu haben, denn inzwischen ist ihr Profil gelöscht. Amazon hat damit eine Mitstreiterin in einem erbitterten Meinungsstreit verloren, den der Konzern derzeit über die sozialen Medien führt - unterstützt von einer Gruppe heillos begeisterter Angestellter, die sich in Diskussionen mit Lobpreis für ihren Arbeitgeber einmischen.

Seine Pakethalle erlaube ihm zweimal zwanzig Minuten Pause und eine dreißigminütige Pause, schreibt etwa "AmazonFCGary", eine Nutzerin namens "AmazonFCYola" schwärmt, dass es in dem Gebäude ganze zwölf Möglichkeiten zum Austreten gebe, mit je drei bis sechs Toiletten, "das ist eine Menge". Vergangenen Donnerstag habe er sein fünfjähriges Jubiläum bei Amazon gefeiert, schreibt "AmazonFCDan": "fünf wunderbare Jahre voll häufiger Toilettenpausen und gelernter Lektionen".

SZ PlusRansomware
:"Wer zahlt, malt sich selbst eine Zielscheibe auf"

Geld her oder Daten weg - Erpressung mit Verschlüsselungstrojanern ist immer erfolgreicher. Die Täter aber werden selten geschnappt, auch weil Betroffene häufig einknicken.

Von Helmut Martin-Jung

Da stellt sich die eine oder andere Frage. Was würden Gary, Yola und Dan mit einer auf dem Rücken liegenden Schildkröte tun? Und warum interessieren sie sich so sehr für Toilettengänge?

Haben sich Trolle in den Amazon-Jubelchor gemischt?

Die zweite Frage ist leichter zu beantworten. Angestellte werfen Amazon vor, dass sie während der Arbeit in Flaschen pinkeln und ihren Darm in Beutel entleeren müssen, weil sie anders ihre Arbeit nicht schaffen. Diese Vorwürfe sind nicht neu, sie wurden über die Jahre immer wieder erhoben, Amazon hat sie stets bestritten. 2018 wurde darüber breit berichtet - damals tauchten auch die "AmazonFC"-Nutzer erstmals auf. Der Konzern räumte ein, es handle sich um Angestellte, die für ihre positiven Kommentare im Netz bezahlt würden. Laut einem Bericht aus dem Jahr 2019 erhielten sie einen Tag bezahlten Urlaub und einen 50-Dollar-Gutschein für die hauseigene Marktplattform. Nun sind die Vorwürfe zurück, ausgerechnet während der rhetorisch hart umkämpften Abstimmung in einem Amazon-Werk im Bundesstaat Alabama. Bis zum Montag sollten sich die dortigen Angestellten entscheiden, ob sie eine Gewerkschaft gründen wollen - die Auszählung läuft aktuell. Es wäre die erste Amazon-Gewerkschaft in den USA. Der Konzern fürchtet, dass andere Werke nachziehen.

Die Profile von "AmazonFCGary", "AmazonFCYola", "AmazonFCDan" und mehrerer anderer Amazon-Begeisterter wurden im März 2021 erstellt, in der heißen Phase der Entscheidung. Andere scheinen Veteranen vergangener PR-Schlachten zu sein. Auch in Deutschland twittern Amazon-Mitarbeiter, etwa "AmazonFCPhilipp". Er schreibt, dass Roboter zunehmend mehr Arbeit bei Amazon übernehmen, aber "es wird immer auf die Mitarbeiter gebaut". Sonnenbrillensmiley. Baut Amazon auch auf Roboter in seiner PR-Strategie?

Die Tech-Nachrichtenseite Gizmodo hat sich das Profil von "AmazonFCDarla" näher angeschaut. "Darla" ist der Ansicht, Gewerkschaften seien eine gute Sache, aber "hier brauchen wir die einfach nicht". Zumindest die auf dem Profilbild abgebildete Frau scheint nicht zu existieren. Dem Autor des Artikels gelang es, das Gesicht auf der Website "Generated Photos", also mithilfe künstlicher Intelligenz fast identisch nachzubauen. Amazon bestätigt gegenüber der SZ, "Darla" sei kein Botschafter des Konzerns, es handle sich um ein Fake-Profil. Und offenbar ist es nicht das einzige. Mindestens ein weiteres Profil ist inzwischen gelöscht. Ein weiterer angeblicher Angestellter namens "AmazonFCJames" schreibt über sich, er liebe seine Familie, sich auszuruhen und, in Großbuchstaben, menschliche Gefühle zu haben.

Möglicherweise haben sich also Internettrolle in den von Amazon aufgestellten Jubelchor gemischt. Oder waren es zum Teil freiwillige Aktivisten, die Gewerkschaften prinzipiell ablehnen und sich ungefragt auf die Seite des Konzerns gestellt haben? Amazon schreibt: "Wir haben Twitter gebeten, den Fall zu untersuchen und geeignete Schritte einzuleiten."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGewerkschaft für Youtuber
:Der Arbeiterführer mit der Zwille hört auf

Jörg Sprave, Experte für Katapulte und Gründer der Gewerkschaft für Youtuber, fühlt sich als Aktivist nicht mehr wohl. Er dreht lieber eine Fernsehserie.

Von Caspar Dohmen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: