Blockchain-Prinzip:Erst Bitcoin, dann die Welt

Vielleicht startet 2025 ein Auto nicht mehr, wenn eine Ratenzahlung verpasst wird: Möglich würde dies durch smarte, von gewaltigen Online-Datenbanken gestützte Kaufverträge. Hinter der Idee steckt das Blockchain-Prinzip. Es könnte auch die Marktmacht der Großkonzerne brechen.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Ein Blick auf den Alltag im Jahr 2025: Frau Nguyễn hat Herrn Schott ihr Auto verkauft, er bezahlt in Raten. Weil sein Konto jedoch nicht gedeckt ist, fällt schon die zweite Teilzahlung aus. Als Schott das nächste Mal sein Fahrzeug öffnen möchte, verweigert es ihm den Einstieg - keine Rate, keine Nutzung.

Das Erstaunliche: Alles, was hier passiert, ist nicht nur im Kaufvertrag festgelegt - der (digitale) Vertrag selber führt die Aktionen aus, von der Abbuchung der Raten bis hin zur digitalen Sperrung des Autos. "Smart Contracts" nennt sich diese Vision, und wer an sie glaubt, ist sich sicher: Frau Nguyễn und Herr Schott werden nicht die Einzigen sein, die sie zu spüren bekommen.

Die Idee dahinter formulierte bereits 1997 der Computerwissenschaftler und ehemalige Jura-Professor Nick Szabo, den einige für den Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto halten (er bestreitet dies). Die Kurzfassung: Bislang beruht die Einhaltung von Verträgen auf Vertrauen im Zusammenspiel mit Gesetzen, was aber nur auffällt, wenn es Streit um bestimmte Paragraphen gibt oder ein Partner vertragsbrüchig wird. Die Verträge der Zukunft, so Szabo, seien Software-basiert: Ein Algorithmus könne bestimmen, ob die Voraussetzungen für die Erfüllung vorliegen.

Unmanipulierbare Daten als Schlüssel zur Zukunft

Damit eine solche Software die Verträge ("Smart Contracts") wirklich ausführen kann, benötigt sie nachprüfbar korrekte Informationen und Zugang zu einer schier endlosen Zahl von Datenbanken. Beides war im Netz lange ein Problem: Dateien lassen sich in der Regel duplizieren und verändern, und nur ein Bruchteil der Online-Datenbanken tauscht miteinander Informationen aus. So kann ich mit Paypal zwar ein MP3-Album bezahlen; ob der Download funktioniert, kann der Bezahldienst allerdings nicht ermitteln.

Die Lösung dafür heißt Blockchain und ist auch das System hinter digitalen Krypto-Währungen wie Bitcoin (es existiert verwirrenderweise auch eine Firma gleichen Namens). Wer Kenner um eine Erklärung in wenigen Sätzen bittet, erhält meist einen fünfminütigen Vortrag. Kurz gesagt: Die Blockchain ist ein digitaler Kontoauszug für Transaktionen zwischen Computern, der jede Veränderung genau erfasst, sie dezentral und transparent auf viele Rechner verteilt speichert. Damit ist die Information nicht (oder nur mit ungeheurem Aufwand) manipulierbar und verifiziert.

Wenn aber eine digitale Information verifizierbar ist, benötigt sie theoretisch keine zentrale Instanz mehr, die sie verwaltet und für ihre Echtheit bürgt: Kein Paypal oder Finanzhaus für meine Online-Bezahlungen, kein Facebook für meine Identität oder die meiner Freunde.

Blockchain

"Logisch zentralisiert, organisatorisch dezentral": So erklärt Albert Wenger von der Investmentfirma Union Square Ventures die Blockchain in einem lesenswerten Blogeintrag.

(Foto: Screenshot Continuations)

Das Ende des Mittelmannes?

"Die Blockchain macht es überflüssig, einer zentralen Autorität zu vertrauen", sagt Stephan Tual von der Blockchain-Organisation Ethereum. "Etwas ist wahr, weil ich es nachprüfen kann - nicht, weil es jemand sagt." In der Theorie bedroht das auch viele Mittelmänner, weshalb sich die unbeliebtesten Mittelmänner der Welt gerade intensiv mit der neuen Technologie beschäftigen: Banken.

"Das System für den internationalen Geldtransfer hat sich seit fast fünf Jahrzehnten nicht verändert", sagt Stefan Thomas vom US-Startup Ripple, das dies über die Blockchain-Technik ändern möchte. An Überweisungen zwischen Ländern sind mehrere Banken beteiligt, die allesamt das Geld weiter transferieren, eigene Abläufe für die Abwicklung haben und ihre Dienste dem Kunden in Rechnung stellen. Bei Überweisungen im vierstelligen Bereich summiert sich das häufig auf dreistellige Euro-Beträge.

Künftig wäre eine solche Bankenkette unnötig, weil das Geld direkt von Konto zu Konto über die Blockchain-Instanz geschickt werden und die Prüfung automatisch über angedockte Software stattfinden könnte. "Die Kosten für eine Transaktion lassen sich so auf Bruchteile von Centbeträgen senken", sagt Thomas. Statt einiger Tage wäre die Überweisung innerhalb von Sekunden auf einem Konto im Ausland. Mit Fidor experimentiert bereits ein erstes Geldhaus mit der neuen Technik, weitere Banken dürften 2015 folgen.

Wie die Tech-Branche am Blockchain-Netz bastelt

In Teilen der Bitcoin-Szene gelten Firmen wie Ripple als Verräter, weil sich das Startup damit von einer klassischen Krypto-Parallelwährung verabschiedet und die Blockchain als Architektur für Mainstream-Anwendungen nutzt. Der geldstarke Teil der Tech-Branche wiederum hät das genau für den richtigen Weg: Marc Andreessen, Dampfplauderer und Erfolgsinvestor, stellte die Technologie bereits in eine Reihe mit dem Aufstieg des PC und des Internets (und investierte in Blockchain-Startups wie Ripple, Coinbase oder TradeBlock).

"Das zentralisierte Modell basiert auf einer 30 Jahre alten, gut gemeinten Architektur des Internets. Es hat ausgedient", sagt Stephan Tual von Ethereum, das wie Konkurrent Ripple an einer dezentralen Lösung für die Zukunft bastelt. März 2015 soll das Open-Source-Projekt online gehen: vor einiger Zeit sammelte das in einer Stiftung organisierte internationale Kollektiv zwölf bis 18 Millionen US-Dollar (je nach Tauschwert), als es Teile seiner Krypto-Währung verkaufte.

Was beiden Rivalen gemein ist: Sie wollen ein System bauen, dass der typischenInternet-Anwendung der Gegenwart sehr ähnlich ist. Zu Ethereum gehört ein Browser, für den Web-Anwendungen programmiert werden können. Ein Nutzer könnte die Software zum Beispiel automatisch Mini-Beträge an besuchte Seiten auszahlen lassen, um diese zu unterstützen.

Warum erlebte Bitcoin ein Horrorjahr?

2013 kostete ein Bitcoin noch 1000 Dollar, inzwischen ist er nur noch ein Drittel wert. Dabei war 2014 nicht einmal ein verschenktes Jahr für die Krypto-Währung: Mit Paypal öffnete sich ein wichtiger Finanzdienst für Bitcoin, Firmen wie Microsoft und Dell erlauben die Bezahlung in der neuen Währung. Die Zahl der Bitcoin-Konten hat sich auf 6,5 Millionen verfünffacht. Einzig: Ein Großteil der Digitalkonten ist leer, die End-Anwender fremdeln mit dem Konzept. Das dämpft die Erwartungen, Spekulanten nahmen Gewinne mit. Die Zukunft der Währung bleibt eine spekulative Angelegenheit.

Von dort bis zur kompletten Autokauf-Abwicklung im Jahr 2025 ist es noch ein weiter Weg. Anhänger träumen von automatischen Testamenten und Ackerbau-Versicherungen gegen Trockenheit (das Wetter lässt sich bereits heute via Online-Schnittstelle nachprüfen); sie glauben an digital beglaubigte Patent- und Landrechte oder unmanipulierbare digitale Wahlen.

Gibt es überhaupt Bedarf für smarte Verträge?

Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass es noch keinen Standard für verlässliche Datenquellen gibt, Manipulationen an der Blockchain unwahrscheinlich aber nicht unmöglich sind, die neuen Blockchain-Anbieter zu große Macht auf ihren Plattformen haben und noch gar nicht klar ist, ob es überhaupt Bedarf gibt. "Es ist hier politisch korrekt, die Blockchain für interessant zu halten", sagt Wences Casares vom Bitcoin-Startup Xapo aus dem Silicon Valley. Ob es wirklich das nächste große Ding sei, lasse sich allerdings nicht seriös prophezeien.

Vor allem das Rechtsystem müsste sich dafür massiv verändern. Wie lassen sich Gesetze digitalisiert und autonom umsetzen? Wie sieht Rechtsprechung in Fällen mit automatischen Verträgen aus? Wie können Gerichte selbst maschinenlesbar Transparenz und Überprüfbarkeit herstellen?

Wie verändern sich Institutionen?

"Institutionen aus dem 20. Jahrhundert tun sich schwer mit Problemen des 21. Jahrhunderts", sagt John Clippinger, der am MIT in Boston über Identität und Privatsphäre in dezentralen Netzwerken forscht, "es bräuchte einen gewaltigen Innovationsschub in der Regulierung."

Der Blockchain-Enthusiast prophezeit voller Optimismus: "In zwei bis drei Jahren werden wir eine neue Firma oder einen Sektor sehen, der mit der Technologie gigantische Profite einfahren wird. Wir reden hier von 10 000 Dollar Rendite bei einem Dollar Einsatz." An dieser steilen Prognose würde man ihn gerne messen. Am besten per automatischem Vertrag.

Blockchain und die Privatsphäre

Privatsphäre, Sicherheit, Transparenz: In welchem Verhältnis diese Werte in Blockchain-Anwendungen zueinander stehen, wird gerade diskutiert. Dass Transaktionen sichtbar sind, nicht aber deren verschlüsselter Inhalt, führt bei Finanzanwendungen schnell zu Regulierungsfragen. In diesem Sommer wurde mit den "Windhover Prinzipien" ein erster Standard entwickelt. Er sieht vor, dass Nutzer Eigentümer ihrer Daten sind, aber Institutionen und Online-Dienste in einem Cloud-Profil die Möglichkeit geben, bestimmte Informationen nachzuprüfen, um sie zu authentifizieren. Nicht Anonymität, sondern Pseudonymität dürfte sich als Identitätsstandard des Blockchain-Internet herausbilden, sagt John Clippinger vom MIT.

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