BKA-Gesetz:Verfassungsgericht erzwingt große Inventur der Sicherheitsgesetze

Seit den Anschlägen vom 11. September sind ständig neue Gesetze erlassen worden. Nun räumt das Bundesverfassungsgericht auf: Mit dem Urteil zum BKA-Gesetz baut es den Schutz der Bürger aus.

Analyse von Heribert Prantl

Es ist ein großes Urteil. Es schützt den Bürger vor zu viel Überwachung, es schützt ihn vor digitaler Inquisition, es schützt ihn vor Observationsexzessen. Es unterbindet dabei aber nicht die wirksame Terrorbekämpfung; das Urteil sorgt dafür, dass bei der Terrorbekämpfung rechtsstaatliche Regeln gelten. Das Urteil schützt den Rechtsstaat davor, dass die Sicherheitsgesetze ihn ersticken.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur ein Urteil zum BKA-Gesetz, also nicht einfach nur zum Gesetz über das Bundeskriminalamt. Die Bedeutung dieses ungewöhnlich ausführlichen und ungewöhnlich detaillierten Urteils geht weit, sehr weit über dieses Gesetz hinaus. Es handelt sich um ein Leiturteil zur inneren Sicherheit, es handelt sich um ein Grundsatzurteil, das alle Formen und Mittel staatlicher Überwachung betrifft: Die Telefonüberwachung, die Rasterfahndung, die Observation von Wohnungen mit Wanzen und Kameras, die Online-Durchsuchung von Computern, also Lausch- und Spähangriffe jeder Art.

Das Bundesverfassungsgericht schreibt ein Generalskript zu all diesen Grundrechtseingriffen, es destilliert aus den vielen Entscheidungen zu Sicherheitsgesetzen, die es seit 9/11 gefällt hat, ein Konzentrat - einen allgemeinen Teil, der nicht nur bei der Überarbeitung des BKA-Gesetzes, sondern auch bei allen anderen Sicherheitsgesetzen zu beachten ist. Das Urteil könnte an vielen Stellen noch viel konkreter sein; aber es ist konkret genug, um klarzumachen, dass das BKA-Gesetz und die bisherige Sicherheitsgesetzgebung hinten und vorne ungenügend sind.

Die drei wichtigsten Folgen aus dem Urteil

  • Es reicht nicht, dass das Bundeskriminalamt selbst den Eingriff in Grundrechte für notwendig hält. Und es reicht auch nicht, dass der Gesetzgeber für die diversen Eingriffe Gummiformeln bereithält, die dann beliebig gedehnt werden können. Bisher ist es so, das an vergleichbare Grundrechtseingriffe (Online-Durchsuchung, Lauschangrff, Spähangriff, Telefonüberwachung) sehr unterschiedliche Anforderungen gestellt werden, einmal muss eine "konkrete" Gefahr, ein andermal eine "dringende" Gefahr, dann wieder nur eine "Gefährdung" vorliegen. Das ist ein grundrechtsunwürdiger gesetzgeberischer Murks. Die Voraussetzungen, die bei Überwachungsmaßnahmen vorliegen müssen, müssen nun klar, schlüssig und kontrollierbar formuliert werden. Das wird auch eine umfassende Inventur der bisherigen Sicherheitsgesetze erforderlich machen.
  • Der Kernbereich der privaten Lebensführung muss besser geschützt werden und geschützt bleiben - nicht mit warmen Worten und Absichtserklärungen, sondern mit effektiven Maßnahmen und Kontrollen. Das heißt: Wenn die Sicherheitsbehörden Kommunikationsverkehr abhören und Computer anzapfen, dann muss erst eine unabhängige Stelle das abgeschöpfte Material sichten und kontrollieren - bevor es der Verwertung durch das Bundeskriminalamt zur Verfügung steht. Bisher macht das Bundeskriminalamt diese Sichtung selbst; das heißt: bisher entscheidet es selbst darüber, welche der abgeschöpften Informationen es verwerten darf und welche nicht. Es müssen, so heißt es im Urteil "zunächst alle Daten von einer unabhängigen Stelle gesichtet werden, ob sie höchstpersönlche Informationen enthalten, bevor sie vom Bundeskriminalamt verwertet werden dürfen". Dies gilt für die Informationen und Erkenntnisse, die aus der Wohnraumüberwachung (also Lausch- und Spähangriff) gewonnen werden; das gilt auch für die Informationen und Erkentnnisse, die bei einer Computerüberwachung gewonnen werden.
  • Die Sicherheitsbehörden dürfen die Informationen und Erkenntnisse, die sie gewonnen haben, nicht beliebig an andere inländische Behörden und schon gar nicht beliebig an ausländische Sicherheitsbehörden weitergeben. Alle bisherigen Regelungen sind hier "zu unbestimmt" und genügen "verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht". Sie erlauben bisher Datenübermittlung "unabhängig von einem konkreten Ermittlungsansatz allgemein zur Verhütung terroristischer Straftaten". Das wird als verfassungswidrig bewertet. Die Richter fordern bei zulässigen Datenübermittlungen eine regelmäßige aufsichtliche Kontrolle. Bei der Übermittlung von Daten an ausländische Sicherheitsbehörden sind die Anforderungen besonders hoch: Erlaubt wird das nur bei "Begrenzung auf hinreichend gewichtige Zwecke". Und: Vor der Datenübermittlung muss "die Vergewisserung über einen menschenrechtlich und datenschutzrechtlich vertretbaren Umgang mit diesen Daten im Empfängerland" stehen. Das heißt: Deutsche Daten, die für US-Drohnenangriffe verwendet werden könnten, dürfen wohl künftig nicht mehr herausgegeben werden.

Ein Kraut gegen die Sicherheitssucht - das nun wachsen und gedeihen kann

Die höchsten Richter sind nicht naiv. Sie leben nicht in Wolkenkuckucksheim. Sie kennen die Anschläge von Paris und von Brüssel, sie wissen um die Bedrohung der Gesellschaft durch den islamistischen Terrorismus und durch den gewalttätigen Rechtsextremismus. Sie wissen, dass die Angst davor eine Autobahn ist für Sicherheitsgesetze, die keine Geschwindigkeitsbeschränkung kennen. Ein Verfassungsgericht kann diese Angst nicht ausschalten; aber es kann Regeln formulieren, die auch auf dieser Autobahn gelten müssen.

All diese Regeln laufen darauf hinaus, dass die Sicherheitsbehörden sich nicht selbst zu Grundrechtseingriffen ermächtigen dürfen; es bedarf stets der Zustimmung und der Kontrolle durch unabhängige Stellen - durch unabhängige Richter und unabhängige Datenschutzbeauftragte; und das Bundeskriminalamt muss regelmäßig berichten und Rechenschaft darüber ablegen. Sicherheitsgesetze dürfen nicht mehr so vage sein wie bisher; fast auf jeder Seite seines Urteil beklagt das Verfassungsgericht, dass eine Befugnis, die das Gesetz dem Bundeskriminalamt gibt, zu "unbestimmt" sei.

Winfried Hassemer, der verstorbene Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, der ein großer Strafrechtsgelehrter war, hat immer wieder warnend darauf hingewiesen, dass das Sicherheitsbedürfniss "strukturell unstillbar" ist. Gegen das Argument "morgen kann vielleicht etwas passieren" sei kein Kraut gewachsen. Aber es müsse ein Kraut dagegen gewachsen sein, weil sich der Gesetzgeber und die Gesellschaft nicht immer weiter treiben lassen könne durch ein mögliches Bedrohungsszenario. Man könne es sich nicht leisten, alles abzuschneiden an Grundrechten, was noch abgeschnitten werden kann. Zwei Jahre nach Hassemers Tod versucht dieses Urteil, so ein Kraut gegen das unstillbare Sicherheitsbedürfnis zu züchten. Man wird darauf achten müssen, dass das Kraut wachsen und gedeihen kann.

Das BKA-Gesetz gibt der Polizei die Möglichkeit, schon im Vorfeld von konkreten Straftaten mit Mitteln und Möglichkeiten zu operieren, die der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden nach den klassischen Regeln des Rechtsstaates eigentlich nur gegen konkrete Verdächtige erlaubt sind. Das heißt: Bei der bloßen Ahnung, dass etwas passieren könnte, kann schon so scharf zugegriffen werden wie dann, wenn etwas passiert ist. Bei bloßem Gefahrennebel darf so agiert werden wie bei echten Gefahren. Das BKA darf, weil es im Anti-Terror-Kampf so wichtig ist, ähnlich agieren wie ein Geheimdienst; so hat es der Gesetzgeber gewollt.

Datenschutz ist kein Gnadenrecht

Solche Aktionen brauchen aber, wenn sie überhaupt erlaubt sein sollen, allerstrengste Kontrolle. Diese Kontrolle versucht das Bundesverfassungsgericht nun zu buchstabieren. Auch die Kernrechte, wie das Zeugnisverweigerungsrecht müssen erhalten bleiben. Da geht das Gericht leider nicht weit genug. Es hebt zwar die bisherige seltsame Unterscheidung des BKA-Gesetzes zwischen Strafverteidigern (großer Schutz) und sonstigen Rechtsanwälten (kleiner Schutz) auf. Der Schutz der Journalisten bleibt aber dürftig ausgestaltet. Eine Stärkung der Pressefreiheit ist das nicht.

Die Sicherheitsapparate eines Polizeistaats dürfen alles, was sie können. Die Sicherheitsapparate eines Rechtsstaates können alles, was sie dürfen. Sie dürfen und können ziemlich viel, aber das hat eine Grenze. Diese Grenze hat das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil zu ziehen versucht. Der Schutz des Kerns der Privatheit und der Schutz der Persönlichkeitsdaten ist kein Gnadenrecht, das sich der Bürger vom Staat und seinen Sicherheitsbehörden erbetteln muss.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: