Süddeutsche Zeitung

Bitcoin:Neues Geld für eine neue Welt

Die Technologie hinter Bitcoin eröffnet ungeheure Möglichkeiten: Ihre Nutzer könnten den Armen helfen, Facebook entmachten oder Morde in Auftrag geben.

Von Christoph Behrens

Weltweit griffen die Erpresser wohl mehr als 75 000 Rechner in rund 100 Ländern an. Sie sorgten für Ärger und Chaos, als sie im Mai ihre sogenannte Wanna-Cry-Attacke starteten. Daten auf den von ihnen befallenen Rechnern waren plötzlich verschlüsselt und für den Nutzer nicht mehr zugänglich. Nur gegen ein Lösegeld würden sie Computer wieder freischalten, erklärten die Kriminellen. Das erpresste Geld sollte aber nicht in einem Koffer übergeben oder auf ein Konto in einem fernen Inselparadies überwiesen werden. Die Täter forderten die Zahlung in Bitcoins.

Die virtuelle Währung hat einen gewaltigen Aufschwung erlebt, seit ein namentlich unbekannter Programmierer im Jahr 2008 sie auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise erfand. Allein in den letzten zwölf Monaten hat sich der Wert eines Bitcoins auf derzeit etwa 2500 Euro verfünffacht und steht auf einem Allzeit-Rekordhoch. Der größte Vorteil der Bitcoins liegt aus Sicht der Befürworter darin, dass Nutzer ihr digitales Geld in einer dezentralen Datenbank ablegen können, die sich dem Einfluss von Regierungen oder Banken entzieht.

Bitcoin funktioniert als Währung ohne Zentralbank oder staatliche Einflussnahme. Kein Politiker kann den Geldhahn aufdrehen und für eine digitale Inflation sorgen. Es gibt keine zentrale Schaltstelle des digitalen Geldes: Den Geldfluss überwachen die Nutzer völlig autark.

Man kann sich das Netzwerk ein wenig vorstellen wie ein öffentliches Telefonbuch, in dem die Nummern aller Einwohner einer Stadt verzeichnet sind. Im eigenen Exemplar könnte jeder Besitzer eines Telefonbuchs zwar Nummern streichen oder Ziffern verändern, doch wäre diese Manipulation idiotisch, da die richtige Nummer weiterhin in sämtlichen anderen Büchern steht.

Im Bitcoin-System werden statt Telefonnummern Geldbeträge in einem solchen öffentlichen Buch notiert. Nur dass dieses Buch nicht in Telefonzellen ausliegt, sondern über das Internet verteilt ist. Jeder Nutzer der Bitcoin-Software hat eine Kopie dieses Buchs auf seinem Computer. Jeden Betrugsversuch könnten andere also sofort sehen, da die einzelnen Kopien des Buchs sich plötzlich voneinander unterscheiden würden. Anders als oft behauptet ist Bitcoin also keine anonyme Währung, im Gegenteil: Jede einzelne Überweisung, jede dabei übertragene Information ist transparent. Sie steht in allen virtuellen Bitcoin-Verzeichnissen. Nur welche Person sich hinter einem Konto verbirgt, ist in der Regel unbekannt.

Die Polizei verhaftete vier Betreiber einer Serverfarm wegen Diebstahls von Elektrizität

Nicht alle Regierungen sind von dem Getöse um die Bitcoins begeistert. So ist zum Beispiel in Venezuela die Zahl der Bitcoin-Nutzer in dem Maße inflationär gestiegen, wie der heimische Bolivar infolge der Staatskrise an Wert verlor. Venezolanische Medien berichten, dass Behörden gezielt Jagd auf Bitcoin-Nutzer machen, die mithilfe der virtuellen Währung dringend benötigte Lebensmittel oder Medikamente aus dem Ausland beschaffen. In der Nähe von Caracas verhafteten Polizisten vier Betreiber einer Bitcoin-Server-Farm, wegen "Diebstahls von Elektrizität".

All das könnte nur der Anfang sein. Allmählich wird klar, dass sich mit der grundlegenden Idee - einem öffentlichen, transparenten Datenregister - noch ganz andere Dinge speichern lassen als Geld, so wie in einem öffentlichen Telefonbuch auch andere Texte als nur Telefonnummern stehen können. Das Datenregister heißt bei Bitcoin "Blockchain" - man kann sich das vorstellen wie sehr viele aneinandergereihte Container, die Informationen enthalten. Die Container liegen in einer zeitlichen Abfolge hintereinander; an frühe Transaktionen von virtuellem Geld werden spätere gekoppelt, also alte an neue Container. Das System gilt als so gut wie fälschungssicher, da all diese Datenbehälter miteinander verkettet sind. Will man die Information in einem alten Container ändern, müsste man gleichzeitig auch alle neueren Container öffnen und manipulieren.

Der peruanische Ökonom Hernando de Soto schlägt daher vor, die fälschungssicheren Blockchains für mehr als nur Geld zu verwenden. Auch Information über Besitz von Land und Immobilien könnte in digitalen Netzwerken festgehalten werden, in einem digitalen Katasteramt. De Sotos Argument: In vielen Staaten kontrollieren korrupte Beamte solche Verzeichnisse und können mit einem Federstrich Menschen enteignen und von ihrem Land vertreiben. Viele Einwohner von Entwicklungsländern haben überhaupt keine schriftlichen Beweise dafür, dass das Haus, in dem sie wohnen, tatsächlich ihnen gehört. De Soto schätzt den Wert dieses "toten Kapitals" auf 20 Billionen Dollar weltweit. Ein unbestechliches Grundbuch, das verteilt auf Tausenden Rechnern liegt, könnte diesen Menschen mit einem Schlag zu ihrem Recht verhelfen.

Verträge, die sich nicht mehr stoppen lassen

Häufig geht es in der Diskussion um Blockchains um Macht - und deren Umverteilung. "Wenn man Informationen allen zugänglich macht, erreicht man eine Umverteilung von Macht", sagt Mihai Alisie. Der Rumäne hat sich mit seinem Softwareprojekt Akasha einem besonders waghalsigen Machtkampf verschrieben. Er hat sich Facebook als Gegner ausgesucht. Facebook manipuliere die freie Meinungsäußerung, sagt Alisie, Nutzer bekämen nur das zu sehen, was die Werbeumsätze steigere. Jeden Tastendruck auf der Seite überwachten Algorithmen, um den Gefühlszustand der Nutzer zu beobachten und anzupassen. "Manipulation von der schlimmsten Sorte", ärgert sich Alisie.

Daher möchte er ein neues soziales Netzwerk aufbauen, nach dem Vorbild von Bitcoin - so antizentral aufgebaut, dass kein einzelner Konzern mehr die Daten von Nutzern abgreifen kann. Alisies Start-up hat bereits einen Prototypen dieses sozialen Netzwerks entwickelt, Er heißt Akasha (https://akasha.world) und funktioniert ohne Server. Der Programmcode des sozialen Netzwerks ist vollständig auf einer Blockchain - den verknüpften Informationscontainern - gespeichert, für alle sichtbar, nicht etwa geheim wie bei Facebook. Ihre persönlichen Daten sollen die Nutzer dagegen in ihrer eigenen Hand behalten. "Wir holen uns die Kontrolle über das Internet auf individueller Ebene zurück", sagt Alisie.

All das erinnert an die wilde Urzeit des Internets, als man hoffte, die Technik werde den Weg zu einer gerechteren Gesellschaft ebnen. Akasha verkörpert den derzeit radikalsten Ansatz, was sich mit einer Blockchain machen lässt: Nicht nur ein Geldwert wird dezentral gespeichert, sondern ein ganzes Computerprogramm.

Allerdings kann dann nicht nur kein böswilliger Staat mehr in den Ablauf eines solchen Programms eingreifen - sondern überhaupt niemand. Erste Programme dieser Art funktionieren bereits, sogenannte "Smarte Verträge", die sich nicht mehr stoppen lassen, sobald sie einmal online sind.

Ein Beispiel ist die Website Rouleth, im Untertitel verspricht sie "die Glücksspielrevolution". Ein grüner Roulettetisch erscheint auf dem Bildschirm, man setzt Digitalgeld auf einzelne Zahlen, ungerade oder gerade, rot oder schwarz. Bei diesem Roulette gibt es keine Bank, und auch der Staat sieht keine Steuern von der Zockerei. Welche Zahl fällt, berechnen Tausende Rechner gleichzeitig, die jeweils einen kleinen Teil ihrer Rechenpower beisteuern. Der Gewinn wird anschließend unter den Zockern streng nach Formel in digitaler Münze verteilt.

14,49 TWh Strom

verbraucht das Bitcoin-Netzwerk im Jahr, mehr als der Stromverbrauch von Slowenien (13,87 Terawattstunden). Die Elektrizität ist für Überweisungen und das Errechnen neuer Bitcoin nötig. Der Strom für eine einzelne Bitcoin-Transaktion könnte einen typischen US-Haushalt vier Tage lang versorgen. Wegen des hohen Energiebedarfs sitzen Nutzer häufig in Ländern wie China oder Island, wo Strom billig ist.

So braucht es keinen Betreiber oder Hintermann für das Glücksspiel. Es funktioniert einfach ewig weiter, solange sich Mitspieler finden. Staatliche Stellen haben kaum eine Handhabe gegen derartige smarte Verträge - da sie nicht an einer Stelle gespeichert sind, können sie auch nicht gelöscht werden. Bereits jetzt ist es für Staaten wie Deutschland sehr schwierig, das Glücksspielgeschäft im Internet zu regulieren - mit smarten Verträgen könnte es technisch unmöglich werden.

Einer der Vordenker von solchen Programmen ist der 23-jährige kanadisch-russische Programmierer Vitalik Buterin. Das soziale Netz Akasha und das Glücksspiel Rouleth, ebenso wie einige Hundert weitere Projekte laufen mithilfe der von ihm erfundenen Software Ethereum. Wie Bitcoin basiert Ethereum auf einer dezentralen Blockchain als Datenspeicher, birgt aber für Programmierer viel mehr Spielraum. Wenn Bitcoin ein Taschenrechner ist, dann ist Ethereum das neueste iPhone. Und nebenher dient Ethereum ähnlich wie Bitcoin auch als Digitalwährung, nur dass die Münzen hier "Ether" heißen. Das Projekt gibt es seit etwa zwei Jahren, alle Ether zusammen sind rund 23 Milliarden US-Dollar wert. In diesem Jahr stieg der Kurs eines Ether um rund 2500 Prozent - ein noch steilerer Anstieg als der von Bitcoin.

Die Ethereum-Szene ist verteilt über den ganzen Globus, trifft sich aber oft zum Austausch, wie kürzlich in Paris. Vitalik Buterin, kurzer Bürstenhaarschnitt, trägt einen schwarzen Pullover mit einem bunten Einhorn darauf, eine grüne Umhängetasche mit Katzenmotiv und weiße Plüsch-hausschuhe, in denen er von Meeting zu Meeting eilt. Bislang programmierte er im Hauptsitz der von ihm gegründeten Ethereum-Stiftung in der schweizerischen Stadt Zug. Seit Kurzem lebt er in Singapur, in Asien spielt die digitale Zukunft.

Banken wollen mit der Blockchain MIlliarden sparen

Buterin verzieht keine Miene, als er die komplexesten Gedankenketten stringent, fehlerfrei und druckreif aufbaut wie Programmzeilen. Glücksspiel? Wie langweilig. Mittlerweile gebe es doch ganz andere Anwendungen seiner Technik. Kürzlich gaben 30 Firmen wie Microsoft und die Bank JP Morgan Chase bekannt, Ethereum für den Aufbau einer eigenen "Business-Blockchain" zu nutzen, über die sie Geschäfte abwickeln wollen. Laut der Marktforschungsfirma Accenture könnte die Dezentralisierung allein den zehn größten Banken zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr einsparen. "Zentralisierte Systeme sind in den letzten Jahren ziemlich oft gehackt worden", sagt Buterin. "Das hat zu sehr vielen Datenlecks geführt." Wenn man solch ein zentrales Einfallstor entferne, mache man die Anwendungen am Ende sicherer, ist Buterin überzeugt.

Zu was so ein dezentrales Computerprogramm noch gut sein könnte, führt Risto Karjalainen von der finnischen Datenanalyse-Firma Streamr Oy auf dem Kongress in Paris vor. Der Programmierer zapft das Verkehrssystem Helsinkis an - die Stadt veröffentlicht live, wo sich welche Straßenbahn befindet. Mit diesen Daten baut Karjalainen einen smarten Vertrag, also wieder ein autonomes Computerprogramm. Am Bildschirm verbindet er die Bewegungsdaten der Bahnen mit einer Auszahlung über die Blockchain. Jedes Mal, wenn die Bahnen hundert Meter zurückgelegt haben, soll der Straßenbahnbetreiber von der Stadt einen kleinen Geldbetrag über die Blockchain erhalten. In fünf Minuten hat Karjalainen das Programm zum Laufen gebracht, es verteilt im Minutentakt Geld anhand der gefahrenen Strecke. Die metergenaue Überwachung soll dazu dienen, dass der Anbieter seine Leistungen exakt abrechnet und nicht zu viel kassiert.

Doch könnten die Datenströme auch dunklen Zwecken dienen. In einer Studie warnt der Informatiker Ari Juels von der Cornell University vor dem Aufkommen von kriminellen smarten Verträgen, die also nicht für eine gefahrene Bahnstrecke, sondern für eine kriminelle Handlung virtuelles Geld überweisen. So ein kriminelles Programm könnte beispielsweise eine Belohnung für die Ermordung eines Politikers aussetzen. Ein Design würde in etwa so aussehen: Der Programmierer füttert sein Werk zunächst mit Digitalgeld und legt die Bedingung für die Auszahlung fest - zum Beispiel, dass der Auftragsmord vor einem bestimmten Datum erfolgen soll. Anschließend wartet er. Führt ein Killer den Auftrag tatsächlich aus, könnte er anschließend das Programm wie eine Internetadresse aufrufen und seine Belohnung geltend machen.

Dabei kommen weder der Auftraggeber noch der Mörder direkt miteinander in Kontakt, das Programm übernimmt die Abwicklung des Verbrechens. Da der verbrecherische Code nirgends zentral gespeichert ist, sondern dezentral auf der Blockchain liegt, lässt er sich nicht stoppen.

Vitalik Buterin glaubt nicht, dass sich kriminelle smarte Verträge vorab verhindern lassen - etwa so wie Apple eine App prüft, bevor Nutzer sie auf das iPhone laden können. "Wenn man anfängt, sich mit solchen Sachen zu beschäftigen, wird es sehr kontrovers", sagt Buterin. "Denn dann bräuchte man eine Art aktive Regierungsstelle, die entscheidet, was legitim ist und was nicht." Doch das Fehlen einer Zentralgewalt ist das Markenzeichen, das Versprechen von Bitcoin sowie Ethereum.

Die Suche nach der absoluten Freiheit

Buterin hält eine technische Lösung für besser. Kriminelle Programme benötigten stets eine Verbindung zur realen Welt, sagt Buterin. Zum Beispiel bräuchte ein Kopfgeld-Programm seriöse Nachrichtenquelle wie eine große Zeitung, um festzustellen, ob das Verbrechen tatsächlich stattgefunden hat. Buterin glaubt, im Ernstfall könnte man diese Verbindung zur Außenwelt hacken und so Kriminelle stoppen. Das allerdings würde bedeuten, dass es einer Gruppe Nerds obliegt, über Recht und Unrecht zu entscheiden, und nicht mehr Polizisten, Anwälten und Richtern.

Erste Probleme zeichnen sich bereits ab. Kürzlich wurde anonym die Entwicklung eines smarten Vertrags angekündigt, der wie ein Marktplatz funktionieren soll. Im Prinzip ein klassischer Online-Shop, außer dass der Programmcode des Shops auf der Blockchain gespeichert und damit unaufhaltsam gemacht wird. Das Projekt heißt Daemon und ist als technische Weiterentwicklung von Plattformen wie Silk Road gedacht, auf denen zum Beispiel Drogen und Waffen umgeschlagen werden. Bisherige Marktplätze kämpfen damit, dass ein Betreiber den Laden am Laufen halten muss. Fliegt er auf, geht auch sein Marktplatz unter, so geschehen im Fall von Silk Road. Doch in Form eines smarten Vertrages ließe sich die Marktplatz-Software auf der Blockchain speichern und unangreifbar machen. Mittlerweile arbeiten wohl mehrere Gruppen an solchen "dunklen Märkten".

Am Ende der anonymen Daemon-Website stand zeitweise ein Zitat von Albert Camus: "Der einzige Weg, mit einer unfreien Welt umzugehen, ist es, so absolut frei zu werden, dass deine ganze Existenz zum Akt der Rebellion wird."

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Quelle:
SZ vom 10.06.2017/jab
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