Betriebssystem-Wechsel:Der Wahnsinn mit der Maus

Wie Linux sein Image als Tummelplatz der Freaks erst verliert und dann wieder gewinnt.

Bernd Graff

In diesen, nun ja, schwer vorweihnachtlichen Tagen, fangen viele Geschichten mit "Es war aber die Zeit gekommen" an. So auch diese.

Linux-Pinguin

Und dann habe ich es doch getan!

Es war also die Zeit gekommen... Nein. Es waren sogar Zeiten gekommen. Die erste war die, zu der ich aufgehört habe, nach einem PC-Neukauf die alten Rechner wegzuschmeißen. Ich habe sie zu einem Netzwerk verbunden. Vermutlich nur, um es zu tun.

Drei Computer reden also seit einiger Zeit miteinander, lagern und tauschen Daten, sind sich gegenseitig Knecht wie Herr - ein gedeihlicher Verbund, der von drei Versionen des Betriebssystems Windows unterhalten wird. Sehr schön, sehr friedlich. Doch dann war nun hier irgendwann die nächste Zeit gekommen, dass es nämlich einem dieser Rechner gefiel, das Human User Device, genannt die Maus, zwar anzuzeigen, aber auf keine Bewegung mehr reagieren zu lassen. Das war auch für das Netzwerk nicht schön.

Aus heiterem Himmel also fiel die Maus in Duldungsstarre. Dumme Sache das: Denn ohne Maus navigiert es sich schlecht durch die GUIs, Graphical User Interfaces, dieser Erde. Mit Tastaturbefehlen robbte ich in die Hilfeseiten des Systems und fand unter Maus-Problemen ungefähr folgenden Ratschlag: "Wenn Ihr System eine Maus als betriebsbereit meldet, diese aber nicht reagiert, dann KLICKEN Sie hier!"

Wie, bitte schön, soll man "klicken", wenn allen Beteiligten, sogar dem Rechner, klar ist, dass die Maus bewegungsunfähig ist?

Ich suchte fortan, zuerst unbewusst, dann zielstrebig, die Abnabelung von der guten alten Windows-Mutter. Und landete bei Linux.

Linux also, das (fast) kostenlose Unix-Derivat. Ein Betriebssystem, das ich bislang kopfschüttelnd aus der Ferne betrachtet habe. Denn mit Unix/Linux werden vor allem pizzagestählte Nachtschwärmer verbunden, die beim Anblick schön formulierter Befehlszeilen in Verzückung geraten. Wobei "schön formuliert" hier ein anderer Ausdruck für "absolut kryptisch" ist. Linux-Fans, so kommt es dem Außenstehenden zumindest vor, beschäftigen den Computer, damit er sie beschäftigt. Sie geben sich mit Genuss und Akribie der absolut selbstreferentiellen, äußerst zeitaufwändigen Fron permanenter Gerätewartung hin: Da wird getüftelt und getunt um des Tüftelns und des Tunens willen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Linux - im Gegensatz zum hermetisch abgeschotteten Windows - mit seinem offenen Quellcode gerade dazu einlädt, an all den Software-Rädchen und -Schrauben zu werkeln, die den Betrieb des Computer gewährleisten. Man operiert gewissermaßen ständig am offenen Rechner-Herzen. Die Linuxer tun es gerne, sehr, sehr gerne. Und sie reden auch gerne darüber. Die Newsforen im Internet sind voll von Tipps und kryptischen Befehlszeilenlösungen. Laufende Computer, so könnte man sagen, einfach nur reibungslos funktionierende Rechenmaschinen, sind dem Linux-Rudel wie laufende Fernseher - sie sind ordinär, so langweilig sind sie. So zumindest schien es.

Nun entwickelt sich allerdings gerade dieses weltweit abertausendfach handgestreichelte, auf Hochglanz polierte Linux-Betriebssytem extrem rasant. Im Oktober 1996 etwa wurde ein Projekt initiiert, das sich KDE nennt. Dahinter verbirgt sich ein von den Linuxern immer geschätztes "rekursives Akronym". Damit will man etwas dadurch erklären, dass man das zu Erklärende in der Erklärung wiederholt. KDE also steht für "KDE Desktop Environment." Das "K" im Namen hat keine Bedeutung. Super. Haben wir gelacht.

Nun sagt dieses Kürzel aber zumindest so viel: Es gibt jetzt - inzwischen sogar in der Version 3.1 - eine grafische Oberfläche, ein GUI, für den Betrieb des Betriebssystems Linux. Gar nicht selbstverständlich. Doch ermuntert die Tatsache, dass Linux endlich seinen hässlichen Befehlszeilen-Windeln entwachsen zu sein scheint, zum Umstieg. Besser: zum Ausstieg aus der Redmonder Fensterfront.

Ich besorgte die "Suse-Linux 8.1 Professional"-Distribution. Das macht man, indem man in einen Laden geht, etwa 80 Euro auf den Tisch legt und dafür nicht nur ein Betriebssystem, sondern auch ein komplettes Office-Paket, Bildbearbeitung, Multimedia-Player, Browser, E-Mail-Programm und und und erhält. Die alten Windows-Daten liest es auch, und netzwerkfähig ist es sowieso. Damit marschiert man nach Hause - und leidet erst einmal wie ein Hund.

Denn es ist ja so, dass man dem mauslosen Windowsrechner nun ein zweites Betriebssystem an die Seite stellen will. Zwar erkennt die automatische Hardware-Erkennung von Suse-Linux alle signifikanten Computerteile sofort und reibungslos und bittet sehr schnell darum, sich installieren zu dürfen. Aber was, wenn nun doch und irrtümlich alle Altdaten dabei überschrieben werden?

Nägel kauend um den Rechner geschlichen, Güter gewägt, die eigene Courage bezweifelt, gefestigt, bezweifelt. Soll ich? Soll ich nicht? Das kann lange so gehen. Es ging lange.

Und dann habe ich es doch getan!

Den Ok-Button zur Installation gedrückt. Angstschweiß. Erschütterung. Adrenalinstöße. Wehmütig an die, ja!, auch guten Jahre gedacht, die man mit Windows erlebt hat. Noch einmal an "Unerwartete Ausnahmefehler" und den Wahnsinn mit der Maus erinnert. Träne zerdrückt. Geschneuzt.

Nach einer klammen, bangen halben Stunde ist das Linux-Werk vollbracht. Nach dem Log-In landet man auf einem wunderschönen KDE-Desktop, findet und klickt Icons. Sogar eines für den Zugriff auf das alte Windows. Alle Daten sind noch da. Word-Dateien werden eingelesen, bearbeitet und abgespeichert. Prächtiger Sound knallt aus der Karte. Das Modem wurde erkannt. Sofort Surfen im Internet. Gefühlte Fremdheit soweit: sehr gering. Alles fine and dandy.

Nur das Netzwerk ist verschwunden - und bleibt verschwunden. Kein angeschlossener Rechner nirgends. Man ist blind und taub für einander. Weder von Windows noch von Linux aus ist ein einziges Netzwerk-Ping vernehmbar. Statische IP-Adressen vergeben. Auch das bringt wenig. Immerhin: Ping geht jetzt. Aber sehen, wirklich sehen tun sie sich nicht. Besuch in der Newsgroup meines Vertrauens. Auch andere Menschen haben das Problem, dessen Lösung in einem Mysterium namens Samba liegen soll.

Es riecht jetzt verdächtig befehlszeilenabgründig im Hause, und ich treibe mich nächtens immer öfter in den Newsgroups herum. Ein Schaf im Rudel der Linux-Wölfe. Doch, doch, nett und hilfsbereit sind sie schon. Einige zumindest.

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