Besuch bei Google:"Seid nicht böse!"

Auf der Kinderrutsche zur Kantine in einem der mächtigsten Unternehmen der Welt: Ein Besuch in der Europazentrale des Internetkonzerns Google.

Alex Rühle

Der Wissenschaftshistoriker George Dyson wurde 2005 zu einer Party in der Google-Zentrale im kalifornischen Mountain View eingeladen, um eine Rede zu Ehren des Physikers John von Neumann zu halten, der 60 Jahre zuvor den ersten elektronischen Computer entwickelt hatte - und der, das nur nebenbei, damals an einen Freund schrieb: "Ich bin sicher, dass die Spezies von Geräten, von denen dieses nur das erste Exemplar ist, so radikal neu ist, dass viele seiner Anwendungsmöglichkeiten erst noch erkannt werden".

Besuch bei Google: Kurze Wege: die Google-Europazentrale in Zürich

Kurze Wege: die Google-Europazentrale in Zürich

(Foto: Foto: Google)

Dyson schreibt, er habe sich an dem Abend in Mountain View gefühlt, als würde er "eine Kathedrale des 14. Jahrhunderts betreten; allerdings nicht im 14. Jahrhundert, sondern im 12. Jahrhundert, noch während sie errichtet wurde. Jeder war damit beschäftigt, hier einen Stein zu behauen, dort an einem Stein zu meißeln, während ein unsichtbarer Architekt dafür sorgte, dass alles zusammenpasste. Die Stimmung war spielerisch, doch lag eine fühlbare Ehrerbietung in der Luft."

In Zürich tragen die Kathedralenbaumeister der Zukunft T-Shirt. Statt Riffelhammer, Senkblei und Schriftfäustel schleppen die meisten aufgeklappte Laptops mit sich herum, die sie anscheinend nur äußerst widerwillig weglegen: An allen Feuerwehrrutschen, die hier die Stockwerke miteinander verbinden, hängen Warnungen: "Don't use your laptop while sliding". Verkehrssprache ist Englisch, die 450 Mitarbeiter kommen aus 40 verschiedenen Ländern.

Eine Art gebauter Wunschzettel

Google hat in Europa zehn Entwicklungszentren. Das in Zürich ist das größte, und es ist firmenintern die Dependance mit dem besten Ruf. Das liegt daran, dass die beiden fünfstöckigen Gebäude eine Art gebauter Wunschzettel sind: Vor Baubeginn wurden die Mitarbeiter von einer Psychologin und einem Innenarchitekten gefragt, in was für einem Umfeld sie gerne arbeiten würden. So sieht die schöne neue Arbeitswelt jetzt aus wie eine Mischung aus Jugendzimmer und Yogaloft.

Es gibt einen riesigen Hobbyraum mit Tischtennisplatte, Jukebox und Flipperautomaten. In die kostenlose Kantine kommt man per Kinderrutsche. Sitzungen kann man wahlweise in Loungehöhlen, Schweizer Seilbahngondeln oder Iglukapseln abhalten, die nach Star-Wars-Planeten benannt sind. Es ist überhaupt alles recht popkulturell konnotiert. Die Kantine heißt Milliways, nach dem Restaurant am Ende des Universums aus Douglas Adams Science-Fiction-Romanserie "Per Anhalter durch die Galaxis".

Es gibt hauseigene Masseure, Yoga- und Fitnesslehrer, einmal die Woche kommt der Friseur ins Haus. Wer abgespannt ist, geht eine Runde trommeln im Musikzimmer oder legt sich in der Water Lounge aufs Ohr, in der Massagestühle im Halbdunkel stehen, von denen aus man auf die stumme Unterwasserwelt großer Aquarien schaut.

In einem der Stühle schläft gerade ein Mitarbeiter, sein Schnarchen wird eingebettet in Tropenvögelgezwitscher vom Band. Und auf jedem Stockwerk gibt es mehrere kleine Küchen mit Cappuccinomaschinen; die Kühlschränke und Regale werden permanent nachgefüllt mit Kombucha, Red Bull, Energieriegeln, frischem Obst.

"Keiner unserer Mitarbeiter darf weiter als 30 Meter von einer Microkitchen arbeiten!" Matthias Graf, der Pressesprecher der Zürcher Zentrale, betont das mehrfach und derart emphatisch, als handle es sich dabei um ein Menschenrecht. Graf sitzt in der "Bibliothek", in der ein elektronischer Kamin warmes Licht verbreitet.

Die Schränke ringsum sind vollgestopft mit Gesellschaftsspielen und Büchern. Auf einem der durchgesessenen Sofas (die meisten Möbel wurden in Trödelmärkten besorgt) diskutieren ein Inder und ein Amerikaner mit offenen Laptops und essen dazu Bagels.

Google-Dienste, die uns allen das Leben erleichtern

Kein Wunder, dass der Laden kürzlich von den "Zooglern", wie sich die Zürcher Googler selber nennen, zu einem der beliebtesten Arbeitgeber der Schweiz gewählt wurde. Sie schwärmen von der Inneneinrichtung, davon, dass sie alle ein Fahrrad geschenkt bekommen, von der zentralen Lage und von der Freiheit, die sie hier haben: 20 Prozent seiner Zeit soll jeder Google-Mitarbeiter für eigene Projekte nutzen - aus denen oft mächtige neue Programme entstehen: Ein Angestellter fragte sich, warum man in Mails nicht nach Stichworten suchen kann wie in Dokumenten - kurz darauf war der Google-Account G-Mail am Start. Ein New Yorker Mitarbeiter ärgerte sich nach den Anschlägen des 11. September, dass es keine Übersichtsplattform gab zu einzelnen Nachrichten-Themen - die Geburtsstunde von Google News.

"Alles was Sie hier sehen, machen wir, um die Effizienz und Zufriedenheit der Mitarbeiter zu erhöhen", sagt Graf beim Gang durch die Gänge, vorbei an gepunkteten Hängestühlen, in denen zwei Programmierer über ein Tool diskutieren.

"Neben all den Annehmlichkeiten darf man aber nicht vergessen, dass wir börsennotiert sind und uns an Quartalszahlen orientieren müssen, also haben wir auch ein hochentwickeltes Performance-Management System. Das heißt, man muss schon einen hohen Grad an unternehmerischen Fähigkeiten mitbringen, wenn man hier mitmischen will."

Was für ein Unsinn

Raphael Leiteritz tritt tatsächlich auf wie ein Unternehmer seiner selbst, ein alerter junger Mann, sympathisch, versiert im Googlesprech, durch seine Ausführungen strahlen der "Benutzer", das "Miteinander", "das Glück, hier arbeiten zu dürfen", und ein allumfassender Altruismus: "Wir wollen den Menschen helfen".

Leiteritz ist einer der Zürcher Produktmanager, unter anderem hat er Google Transit mitentwickelt, einen Routenplaner für den öffentlichen Nahverkehr: Alle schweizerischen und österreichischen lokalen Verkehrsverbände stellen Google dafür ihre Fahrpläne zur Verfügung, "wenn ich jetzt von meiner Haustür in Zürich an einen bestimmten Ort in Wien will, sagt mir Google sofort, wann der nächste Bus an der Straßenecke fährt, wo ich umzusteigen habe um zum Bahnhof zu gelangen und welche Busse und Bahnen ich wann, wo, wie in Wien erreiche."

Fabelhaft. Wieder einer dieser Google-Dienste, die uns allen das Leben erleichtern, indem sie Informationen intelligent vernetzen. Fragwürdig wird es nur, wenn sich Leiteritz und Graf als selbstlose Bastler gerieren, indem sie sagen, keiner frage hier "je primär, wie sich eines seiner Produkte monetarisieren lasse". Was für ein Unsinn.

1999 wurden die beiden Firmengründer Larry Page und Sergei Brin als größenwahnsinnige Kindsköpfe belächelt, als sie sagten, sie hätten die Mission, "alle Informationen dieser Welt zu organisieren und verfügbar zu machen".

Drei Jahr zuvor hatten sie den Google-Algorithmus entwickelt, die mathematische Formel, die heute die Welt im Netz sortiert - mehr als fünf Milliarden aller Suchanfragen pro Monat, insgesamt rund 60 Prozent laufen weltweit über Google; in Deutschland sind es sogar neunzig Prozent. Die Firma wurde so mächtig, dass sich heute alle im Netz nach ihr ausrichten wie Metallspäne nach einem Magneten, wer in Googles Suchmaschine nicht weit oben auftaucht, ist quasi nicht existent.

Nebenbei haben die beiden Informatiker seinerzeit mit ihrem Algorithmus das wohl stärkste Geschäftsmodell der Welt entwickelt: Bisher fielen für jeden Verkäufer von Informationen Kosten an, sei es in Form von Bücherherstellung, des Plattendruckens oder CD-Brennens. Da aber im Netz der Rohstoff Information kostenlos verteilt werden kann, sind die Betreiber der Seiten auch dazu in der Lage, ihr Kernprodukt jeweils zu verschenken. So verschenkt Google Infos aller Art: via Suchmaschine Treffer, via Youtube Videos, via Orkut Kontakte, via Google Earth Bilder von der ganzen Welt...

Der Deal besteht nun darin, dass der Kunde all diese Produkte gratis nutzt, dafür aber beim Benutzen der Seiten Informationen hergibt. Google versucht, seine Produkte für den User möglichst ähnlich angenehm, vielfältig, bunt und komfortabel zu gestalten wie die Zürcher Zentrale für die Mitarbeiter. Denn je mehr die Leute Google nutzen, desto genauer geben sie der Firma Auskunft über ihre Hobbies, Interessen, Abneigungen.

Ein schwammig sympathisches Versprechen

Das Unternehmen hat rund um die Suche ein dichtes Netz von großartigen Web-Diensten geflochten, die ein Verlassen des Googleversums mittlerweile unnötig machen. Ob aber beim Bezahlen mit Checkout, Googles Online-Geldbörse, ob bei der Textverarbeitung mit Google Docs, beim Bloggen auf Blogger.com oder bei der Google-Suche vom Handy, beim Straßensuchen via Google Maps - immer protokolliert die Firma Datum und Uhrzeit des Zugriffs, die IP-Adresse des PC's von dem die Abfrage stammt und die vom Nutzer gesuchten Begriffe mit.

Ja, Millionen von Usern nutzen Google darüber hinaus als persönlichen Dokumenteschrank: Wer Googles E-Mail-Dienst, das Online-Fotoalbum oder all die vielen praktischen Büroprogramme nutzt, legt seine Informationen nicht mehr auf dem eigenen Computer ab, sondern irgendwo im Googlesupernetz. So füttern wir alle den Serverpark mit Billionen von Informationen, die es dem Unternehmen ermöglichen, Werbung zu schalten, die noch detaillierter auf jeden einzelnen von uns zugeschnitten ist.

Wenn etwa aus den Mails eines G-Mail-Nutzers hervorgeht, dass er in München lebt, 30 ist und auf schnelle Autos steht, bekommt er Anzeigen von Münchner Autohändlern eingeblendet. Wer jetzt im Mai auf die Homepage eines Sportartikelgeschäfts geht, könnte von diesem im Dezember Skiwerbung bekommen.

"Man weiß nie, wen man trifft"

Rishad Tobaccowala, ein Manager der Werbeagentur Publicis, fasste diesen für die Werbewirtschaft paradiesischen Paradigmenwechsel in einem Interview mit dem Economist mit einer beeindruckend brutalen Metapher zusammen: Die herkömmliche Werbung verglich er mit der Bombardierung einer Stadt, "man weiß nie, wen man trifft und wen man verfehlt. Mit Internetanzeigen aber stellen die Unternehmen zahlreiche feine Speerspitzen auf und bringen die Menschen dazu, sich selbst aufzuspießen."

Dieses Geschäftsmodell hat den beiden Gründern mehr Geld gebracht, als sie sich je hätten erträumen können: Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz von Google um fast ein Drittel auf 21,8 Milliarden Dollar. Unter dem Strich verdiente die Firma 4,2 Milliarden Dollar.

Google speichert jede Information, jede Suchanfrage neun Monate, beruft sich dabei darauf, das sie das nur tue, um uns allen möglichst gute Ergebnisse und möglichst attraktive Dienste anbieten zu können und verweist ansonsten auf Pages und Brins schwammig sympathisches Versprechen: "Don't be evil."

Das ist schon beeindruckend. Google ist eines der mächtigsten Unternehmen der Welt. Nie zuvor verfügte ein Staat, geschweige denn ein Unternehmen über derart viele Informationen. Ist es da nicht grotesk, auf ein Versprechen von zwei Mittdreißigern zu verweisen? Außerdem ist das Unternehmen seit dem Börsengang gezwungen, permanent weiterzuwachsen.

Die Verlockung, das mittels der gesammelten Informationen zu tun, ist zumindest groß. So schrieb Jo Bager kürzlich in der Computerzeitschrift c't: "Google ist kein gemeinnütziger Verein, sondern ein nach Profit strebendes, seinen Aktionären verpflichtetes Unternehmen. Die Benutzerdaten sind so etwas wie eine stille Kapitalreserve für schlechtere Zeiten, die Google eines Tages in klingende Münze verwandeln könnte."

Stellt man Fragen dieser Art, bekommt man sowohl in Zürich als auch in der deutschen Zentrale in Hamburg ein und dasselbe Mantra zu hören: Der nächste Anbieter ist nur einen Klick entfernt. Soll heißen: Die Macht, die Google habe, sei immer nur geliehene Macht. Sie basiere auf dem Vertrauen von uns allen, dass das Unternehmen so nett und freundlich ist wie seine legobunten Buchstaben und seine Zürcher Zentrale aussehen.

Dabei kann man Googles Sammelwut selbst als halbwegs aufgeklärter User kaum noch entkommen. Denn auch dort, wo nicht Google drauf steht, ist Google längst mit drin: Laut dem Internet-Beratungsunternehmen Ontraxx.net registrieren mehr als 80 Prozent der wichtigsten 300 000 Web-Seiten die Besucher auf ihren Seiten mithilfe der Google-Software Analytics. Viele dieser Webseiten weisen ihre Besucher mit keinem Wort daraufhin, dass ihnen Google beim Surfen über die Schulter schaut und die Daten zentral auswertet.

Als George Dyson nach seiner Rede auf den Computerpionier John von Neumann mit einem Googlemitarbeiter über das umstrittene Book-Search-Projekt diskutierte, sagte dieser kühl: "Wir scannen all diese Bücher nicht, damit sie von Menschen gelesen werden, wir scannen sie, damit sie in Zukunft von einer Künstlichen Intelligenz gelesen werden."

Besagte Zukunft sehen die Zürcher übrigens vor allem im Cloud Computing, im mobilen Netz und im sogenannten semantischen Web, in dem die Rechner selber die Bedeutung von Informationen interpretieren und weiterverarbeiten sollen. Matthias Graf sagt, ähnlich wie John von Neumann selig vor 60 Jahren: "Wir wissen noch gar nicht, was alles möglich ist, wir haben erst ein Prozent des Netzes ausgeschöpft." Das klingt nicht nur nach einem Versprechen.

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