Benehmen in der digitalen Welt:"Schluss machen per SMS ist erlaubt"

Darf ich eine Verabredung googeln und was mache ich, wenn mir ein Kollege ständig auf den Bildschirm starrt? Hans-Michael Klein von der Deutschen Knigge Gesellschaft erklärt, wie man digitale Benimmfallen vermeidet und auch im Internet-Zeitalter Haltung bewahrt.

Lukas Köhler und Mirjam Hauck

Hans-Michael Klein ist Vorstand der Deutschen Knigge Gesellschaft. Sie hat ein Büchlein rund um das richtige Benehmen im Netz herausgebracht: "eEtiquette - 101 Leitlinien für die digitale Welt". Es entstand in Zusammenarbeit mit der Telekom und ist inzwischen in der zweiten Auflage erschienen. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt Klein seine überraschenden Dos und Don'ts.

sueddeutsche.de: Welches war der größte Fauxpas, der Ihnen rund um die digitalen Medien begegnet ist?

Hans-Michael Klein: Einmal saß mir im Intercity eine Dame gegenüber, deren Laptop kaputtgegangen war. Während der gesamten Zugfahrt rief sie sieben verschiedene Gesprächspartner an, um sich über diesen Umstand zu echauffieren. Sieben Mal die gleiche Geschichte! Und das in einer Lautstärke, dass schon nach dem ersten Mal der gesamte Waggon alle Details kannte.

sueddeutsche.de: Wo lauern denn die größten Benimmfallen?

Klein: Eigentlich an jeder Ecke. Wie gesagt, eine davon ist viel zu laut zu telefonieren. Vor allem Geschäftsleute oder Rechtsanwälte sollten dabei aufpassen, keine internen Details in aller Öffentlichkeit auszuplaudern. Das ist auch dem Klienten gegenüber unhöflich. Während eines Dates dauernd SMS zu schreiben, ist genauso unhöflich. Auch das Schlussmachen via SMS wird von vielen als ein absolutes No-go empfunden.

sueddeutsche.de: Von Ihnen nicht?

Klein: Neue Medien erfordern neue Umgangsformen. Nach Erfindung des Telegraphen etablierte sich der Telegrammstil, der kurz und knapp ohne große Floskeln die Information mitteilte. Jeder akzeptierte damals diese nüchterne Nachrichtenform. SMS oder E-Mails aber werden heute immer mit dem klassischen Brief verglichen. Dabei wäre es viel zu teuer, jede SMS so umfangreich zu gestalten. So gesehen darf auch in einer knappen SMS Schluss gemacht werden. Der Übermittlungsweg der Nachricht ist ja nicht Schuld daran, dass etwas in einer Beziehung nicht gut lief. Doch gerade Frauen sind in diesem Punkt sehr empfindlich, das sollte man berücksichtigen.

sueddeutsche.de: Warum wird Höflichkeit gerade bei elektronischen Medien gerne vergessen?

Klein: E-Mail, SMS oder Internet-Chats sind sehr schnelle und flüchtige Medien. Deshalb konzentrieren sich viele Menschen einfach nicht mehr so sehr. Der Text ist schnell heruntergetippt und sofort wird der Antwortbutton geklickt. Doch Schreibfehler oder das Missachten der Groß- und Kleinschreibung wirken sehr unprofessionell. Bevor man eine Nachricht abschickt, sollte man deshalb immer kurz innehalten und noch einmal drüberlesen.

sueddeutsche.de: Gibt es weitere Unterschiede zwischen digitaler und analoger Welt?

Klein: Ein Brief wird eigentlich immer vollständig gelesen. Bei E-Mails ist das nicht so. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Menschen nur die ersten sieben Zeilen einer Mail beachten. Daher sollte man sich immer kurz fassen. Wer doch mal einen Roman schreibt, sollte sich gleich zu Beginn der E-Mail dafür entschuldigen und nicht erwarten, dass die Antwort genauso umfangreich ausfällt. Aber trotz des schnelleren Tempos gilt auch bei E-Mails: Immer auf alle gestellten Fragen eingehen.

sueddeutsche.de: Viele fragen sich, wie man sich in sozialen Netzwerken verhalten sollte. Wie reagiert man auf eine digitale Freundschaftanfrage, die man nicht annehmen möchte?

Klein: Einfach ignorieren. Das ist tatsächlich erlaubt. Man muss niemanden aus Höflichkeit als Freund akzeptieren. Meist fällt das auch gar nicht auf, denn zumindest bei Facebook wird keine Nachricht an den Betreffenden geschickt, dass seine Anfrage abgelehnt wurde.

sueddeutsche.de: Was macht man, wenn man selbst abgelehnt wurde?

Klein: Dann sollte man nichts tun, sondern das so akzeptieren. Auf keinen Fall sollte man die Sache persönlich nehmen und sich darüber aufregen. Manche fühlen sich ja tatsächlich durch so eine Abweisung persönlich angegriffen, sogar wenn sie am Handy weggedrückt werden. Dabei gibt es eigentlich immer wichtige und gute Gründe für eine solche Ablehnung. Denn nichts ist unhöflicher, als in einer Oper, wo allein schon das Klingeln ein Affront darstellt, an sein Handy zu gehen.

Darf ich meine Verabredung googeln?

sueddeutsche.de: Im Büchlein heißt es auch, dass man eine Verabredung nicht googeln sollte. Warum nicht?

Klein: Da fragen Sie den Falschen, denn persönlich habe ich nichts dagegen. Der Leitfaden wurde unter Mitarbeit verschiedenster Gruppen und Menschen erstellt. Der allgemeine Konsens war, dass man nur im persönlichen Kontakt das Unbekannte entdecken kann. Ich vertrete eher die Meinung, dass dazu auch das Bild gehört, was von einer Persönlichkeit im Netz gezeichnet wird. Deshalb sollte man sich auch immer wieder selbst googeln, um korrigierend eingreifen zu können.

sueddeutsche.de: "Starre nicht auf fremde Bildschirme" ist auch eine Empfehlung. Wie weise ich Kollegen darauf hin, wenn ich sie dabei ertappe?

Klein: Lieber nicht maßregeln. Wer schulmeisterlich auftritt und so den anderen in eine peinliche Situation bringt, handelt auch nicht wirklich höflich. Lieber dezent das geöffnete Fenster am Bildschirm schließen. Grundsätzlich sollte man auch darauf achten, Blicke nicht zu provozieren. Wer im Zug anzügliche Bilder an seinem Laptop anschaut, sollte sich nicht wundern, Blicke des Sitznachbarn auf sich zu ziehen. Erst wenn es um sicherheitsrelevante Daten geht, etwa am Geldautomaten oder bei der Passworteingabe, sollte man aktiv darauf hinweisen und um etwas Abstand bitten.

sueddeutsche.de: In anderen Ländern gehen die Menschen scheinbar freizügiger mit ihren Daten um als bei uns. Gibt es kulturelle Unterschiede beim Verhalten im Netz?

Klein: Genauso wie im realen Leben auch. In einigen Kulturen, vor allem des arabischen Raums kann es einem passieren, dass man während eines Gesprächs im Durchschnitt 60 Mal pro Stunde angefasst wird. Auf einen Westeuropäer wirkt das irritierend. Das überträgt sich natürlich auch auf das soziale Miteinander im Netz. Im nordamerikanischen Raum gibt es häufiger Formen des Cybermobbings und das bewusste Bloßstellen Dritter, das sich nun auch bei uns immer mehr verbreitet.

sueddeutsche.de: Die Empfehlungen wurden als Buch veröffentlicht, jetzt schon in der zweiten Auflage. Das Buch ist erfolgreich, obwohl die Leitlinien auch frei im Internet verfügbar sind. Warum?

Klein: Viele Menschen fragten sich, wie man sich höflich und korrekt im Netz verhält. Gerade im beruflichen Bereich gibt es da oft Unsicherheiten. Die im Buch festgeschriebenen Leitlinien deckten diese Nachfrage ab. Im Netz konnte sich dann jeder an der Diskussion beteiligen, so dass schnell weitere Leitlinien hinzukamen und die alten perfektioniert wurden. Das floss alles mit in die zweite aktualisierte Ausgabe mit ein. Die Leitlinien sind auch weiterhin frei im Netz einsehbar, um die Diskussion auch in Zukunft zu fördern.

sueddeutsche.de: Welches war der größte Fauxpas, den sie selber begangen haben?

Klein: Da gibt es bestimmt so einige. Ganz sicher habe ich schon mal unvollständige Mails verschickt und damit die Empfänger irritiert. Man kann nicht immer alles perfekt machen, im Zweifel aber sollte man lieber auf einen vollständigen Inhalt achten als auf eine perfekte äußere Form. So erspart man sich einige Peinlichkeiten.

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