Barack Obama:Ich bin es, dein Anführer

Barack Obama sucht in der Krise via E-Mail- und Telefon-Aktionen den direkten Draht zum Volk. Doch die Kritiker des "digitalen Mobs" formieren sich.

Tobias Moorstedt

Barack Obama ist zurück auf YouTube, aber man hört sofort, dass es sich hier nicht um das wöchentliche Update aus dem Oval Office handelt. Der US-Präsident vermeidet den Pathos der offiziellen Anrede - "My fellow Americans" -, lächelt nur kurz in die Kamera, sagt: "Hi everybody". Das "New Media"-Team des Weißen Hauses sendete vergangene Woche eine E-Mail mit der Betreffzeile "Recovery" und einer Videobotschaft an 13 Millionen Adressen, welche die Obama-Kampagne im Wahlkampf gesammelt hatte.

Barack Obama: Barack Obama: das Smartphone als postmodernes Zepter der Macht

Barack Obama: das Smartphone als postmodernes Zepter der Macht

(Foto: Foto: AP)

"Ihr habt mich hierhergeschickt, weil die Mechanismen von Washington nicht mehr funktionieren", teilte der Präsident seinen Anhängern mit, "und jetzt möchte ich euch Bericht erstatten." Hier spricht nicht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu allen Bürgern seines Landes, hier stellt sich der Politiker als Teil einer verschworenen Gemeinschaft dar.

Es war in Washington viel darüber spekuliert worden, wie und wann Barack Obama auf seine Webseite mybarackobama.com und die dort stationierten digitalen Hilfstruppen zurückgreifen würde. Der Streit um das gigantische Konjunkturpaket und die Fundamentalopposition der Republikaner im Senat zwangen Obama nun, bereits nach vier Wochen seinen Computer anzuschalten, und Washington im doppelten Sinne hinter sich zu lassen: Der Präsident redete in Elkhart, Indiana, vor entlassenen Industriearbeitern, sein Vize Joe Biden fror demonstrativ vor einer Bahnhofsruine in Ohio, die mit den Staatsgeldern renoviert werden soll - eine herkömmliche Bilderproduktion, die suggeriert, dass die Politiker die Leiden und Sorgen der kleinen Leute teilen.

Kommunizieren mit Graswurzelaktivisten

Obamas Reise in die Provinz koinzidierte allerdings auch mit der Entscheidung, nicht mehr mit Gegnern, Verbündeten und anderen Playern in Washington zu streiten, sondern durch Videos und E-Mails mit Leuten außerhalb der Hauptstadt zu kommunizieren, mit den Graswurzelaktivisten und Fans, denen er in einem Vier-Minuten-Video seine Politik darlegte, und sie bat, "ihre Freunde und Nachbarn von dem Programm zu überzeugen".

Wie jedes Internet-Phänomen unterliegt auch Obama dem Zwang zum Wachstum. Seine Wunsch-Zielgruppe ist die Gesamtbevölkerung.

Rund 800.000 Menschen haben das "Recovery"-Video mittlerweile auf YouTube angeschaut (Quelle: Tube Mogul). Und vergangene Woche veranstaltete die politische Gemeinschaft "Organizing for America", die aus Obamas Wahlkampfmaschine hervorgegangen war, mehr als 3500 Partys, privat organisierte Treffen, auf denen sich Nachbarn, Freunde und Kollegen über die Krise und das Konjunkturprogramm des Präsidenten austauschten. Zwar blieb die Beteiligung der Bürger am landesweiten Plausch über "change" (Wandel) und "turn-around" (Kehrtwende) im Vergleich zum Wahlkampf zurück, wie manche Veteranen enttäuscht bemerkten.

Ich bin es, dein Anführer

Die am meisten beachtete Passage in Obamas Videobotschaft waren nicht die finanziellen Details, sondern folgender Satz: "Wir können den amerikanischen Traum am Leben halten", spricht Obama, "aber nur, wenn die Menschen dies auch wirklich einfordern." Das kann man als wenig verklausulierte Aufforderung an seine Anhänger lesen, sich in die Politik einzumischen und ihre Abgeordneten mit konzertierten E-Mail- und Telefon-Aktionen unter Druck zu setzen

Das Leben in Washington wird bestimmt von Zahlen und Graphen, den Sonntagsumfragen, Meinungstrends und Plus-Minus-Symbolen der Demoskopen. "Ich habe politisches Kapital gesammelt und will es ausgeben", meinte Bush kurz nach der Wahl 2004. Wenig später hatte er nur noch eine Zustimmungsrate von 30 Prozent und galt bald als machtlos, als "lahme Ente". Zurzeit unterstützen mehr als 65 Prozent der Amerikaner Präsident Obama, nur gut 50 Prozent aber halten sein Stimulus-Programm für eine gute Idee.

Interaktive Meinungsumfragen

Die PR-Aktionen im Web sind deshalb auch ein Versuch des Obama-Teams, öffentlich sichtbare Unterstützung zu generieren. Im 24-Stunden-Nachrichtenkreisel gewinnt man politisches Kapital nicht länger nur bei Wahlen, sondern auch in Foren, interaktiven Meinungsumfragen, digitaler Präsenz. Wenn sich Menschenmassen auf Obamas Zuruf versammeln (und die Bilder der 3500 Partys im Fernsehen zu sehen sind) und Millionen Mails in den Büros der konservativen Abgeordneten einschlagen, dann wirkt das auch wie ein Update für sein politisches Mandat.

Obama tippt auf seinem Blackberry - das war in den vergangenen Monaten eines der Lieblingsmotive der Medien, das Smartphone als postmodernes Zepter der Macht. Die Journalisten schrieben lange Artikel über "Washington 2.0" oder die "YouTube Präsidentschaft", und wirken nun trotzdem überrascht, dass Obama nicht nur ein Macbook im Oval Office aufstellt (und twittert wie die anderen Kids), sondern die Rituale des politisch-medialen Komplexes grundsätzlich in Frage stellt.

In seiner ersten Pressekonferenz als Präsident rief er noch vor den altgedienten Washingtoner Reportern einen Journalisten des Blogs "Huffington Post" auf. Obama, so die implizite Botschaft, kann auf die großen TV-Networks verzichten, er spinnt seine eigenen Netzwerke aus DSL-Leitungen und W-Lan-Wellen. Das Fernsehen, meinte sein Vorvorgänger Bill Clinton nach der eigenen Amtseinführung, "hat mir die Möglichkeit gegeben, direkt zu den amerikanischen Bürgern zu sprechen". Wie lange ist 1992 schon her.

Das Internet ermöglicht es den Menschen in einem nie da gewesenen Umfang, Informationen zu sammeln, diese mit anderen Menschen zu teilen und gemeinsame Aktionen zu planen. Man kann mit den Web-Werkzeugen wunderbar eine Kegelfahrt planen - oder eine Attacke gegen politische Gegner. In den USA haben sich im Internet längst mächtige Netzwerke wie moveon.org (liberal) oder drillnow.org (konservativ) gebildet, die mit E-Mail-Aktionen in Sekunden Millionen Menschen erreichen und viel Geld einsammeln können.

Ich bin es, dein Anführer

Kritiker sehen diese neue Gattung von politischen Organisationen als digitale Mobs, die ohne Legitimation in die politische Debatte eingreifen und gewählte Repräsentanten unter Druck setzen (nicht ganz klar ist jedoch, warum es in einer modernen Demokratie Organisationen wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden oder Lobbygruppen vorbehalten sein soll, Interessen zu organisieren und Geld für partikulare Ziele zu sammeln).

Die Kritiker des virtuellen Mobs sind keine objektiven Beobachter, die die Verfassung rein im Herzen tragen, sondern Teil des Systems. Die klassischen Medien fürchten durch die direkte Kommunikation zwischen Obama und der Bevölkerung um ihr Alleinstellungsmerkmal, und die gewählten Volksvertreter beobachten die neu erwachte Kommunikationslust der Menschen mit Sorge.

"Ihr werdet sehen, wo euer Geld hingeht"

Fast scheint es so, also würde nicht einmal Barack Obama dem Parlament und der vierten Gewalt zutrauen, seine Regierung effektiv zu überwachen. In seiner Videobotschaft kündigte er deshalb auch den Start der Webseite recovery.gov an, auf der alle Ausgaben des Konjunkturprogramms dokumentiert werden sollen. "Ihr werdet sehen, wo euer Geld hingeht", verspricht Obama seinen Anhängern, "ihr seid unsere Augen und Ohren."

Die vernetzten Bürger werden hier zur fünften Gewalt, welche die Zahlungen und Bauvorhaben in einem Staat, einem Bezirk, einer Gemeinde kontrolliert. "Es ist ein großartiges Werkzeug für eine Regierung", kommentiert Micah Sifry von der Denkfabrik Personal Democracy Forum, "aber es könnte das Leben für einige Regierungsangestellte ziemlich unangenehm gestalten". Schon fordern manche "Politerati", wie die politisch besonders engagierten Internetnutzer in den USA heißen, weitere Zugeständnisse des Präsidenten in Sachen Transparenz.

"Obama sollte sich die Wiki-Kultur aneignen", meint Dan Froomkin von der Nieman Foundation in Harvard: "Wichtige Gesetzgebungsverfahren könnten in einem öffentlichen Raum organisiert werden, in dem die Menschen zusammenarbeiten können." Die Nutzer wollen nicht nur die Botschaft des Präsidenten im Land verbreiten, sondern auch mit am Text schreiben. Obama sollte vorsichtig sein: In einem Kollaborationsnetzwerk, das den Namen verdient, gibt es keinen Anführer mehr.

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