Automatischer Supermarkt:Aufgefüllt von Geisterhand

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In einem Supermarkt in Weiden werden die Waren über ein ausgeklügeltes Transportsystem nachgefüllt. Gefährdet die neue Technik Arbeitsplätze?

Michaela Geiger

Der Wettlauf mit der Zeit beginnt jeden Tag aufs Neue. Schon bevor ein Supermarkt seine Türen für Kunden öffnet, heißt es schlichten, stapeln, räumen, sortieren - schnell und effizient müssen Waren aus dem Lager in die Verkaufsregale geschafft werden, neue Preise müssen angebracht werden.

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Denn egal, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit die Kunden kommen: Sie wollen ihre Lieblingsprodukte im Regal vorfinden. Und Störungen werden ärgerlich registriert - zum Beispiel dann, wenn etwa Rollcontainer und Paletten, vollgepackt mit neuer Ware, die schmalen Gänge versperren. Oder Angestellte mit dem Nachfüllen der Regale beschäftigt sind, während sich an der einzigen besetzten Kasse eine lange Schlange bildet.

Verbesserte Prozesse in Filialen des Einzelhandels verspricht jetzt ein neues Logistiksystem der Firma Witron Logistik + Informatik GmbH, der Fördertechnik-Spezialist aus Parkstein (Oberpfalz), spricht sogar von einer "Weltneuheit". Entwickelt wurde ein automatisches Supermarktregal, das durch ein mechanisiertes System Regale selbständig befüllt und so permanent für Nachschub sorgt.

Funktionalität und Praxistauglichkeit, im Fachjargon Shelf Replenishment System (SRS) genannt, werden seit einigen Monaten im Edeka-Center Grünbauer im oberpfälzischen Weiden getestet. Zwei Jahre davor wurde das System in Zusammenarbeit mit Handelsexperten und Regalbauern bis zur Praxisreife entwickelt, berichtet Ulrich Schlosser, Vertriebsleiter und Prokurist bei Witron.

4200 Quadratmeter misst die Verkaufsfläche des Edeka-Centers. Etwa 40000 verschiedene Artikel hat der Supermarkt ständig im Warenangebot. "Davon werden etwa 13.000 im Abverkauf ständig bis regelmäßig nachgefragt", weiß Marktinhaber Klaus Grünbauer.

Shuttle füllt Regale auf

Drei Mal pro Woche erhält der Markt neue Ware, was für die Mitarbeiter jedes Mal sehr viel Arbeit bedeutet. Durchschnittlich eine Stunde pro Tag verbringt die Mehrzahl der 86 Arbeitskräfte in Weiden bisher damit, die angekommenen Waren zu transportieren und in die Verkaufsregale zu schichten.

Im Mittelpunkt des Pilotprojektes steht eine zehn Meter lange Regalwand des Supermarkts. Hier füllen nicht Mitarbeiter die Regale auf - es wird von einem Shuttle mit Waren bestückt, das in einem Verbindungsnetzwerk direkt unter der Decke des Verkaufsraums läuft und mit dem Nachschubbereich im Lager des Marktes verbunden ist.

Ein solches Shuttle könnte gleichzeitig auch mehrere Regale versorgen. Die für Kunden sichtbare Verkaufszeile selbst besteht aus klassischen Regalen, deren Böden allerdings mit einer speziellen Antriebstechnik ausgestattet sind.

Selbständig erfasst das Fördersystem über Laser den aktuellen Regalbestand und bestimmt so für jeden Artikeltyp den idealen Zeitpunkt und die passende Menge des Nachschubs. Sanft werden dann die Produkte ohne Personaleinsatz über ein rollierendes Band einfach von hinten ins Regal an den richtigen Platz geschoben. Kunden sehen allenfalls, wenn sich Produkte wie von Geisterhand kurz im Regal bewegen, mehr nicht.

Beladen werden die Shuttles im Lager des Supermarktes. Die Ware wird auf Paletten angeliefert, gepackt nach "Familiengruppen", also Bereich Nudeln, Frühstück, Lebensmittel, Kosmetik - wie sie später auch im Regal stehen.

Das SRS-System scannt regelmäßig den Warenbestand im Regal. Fehlt etwas, erhält das Lager per EDV eine Bedarfsmeldung. Per Hand wird die Ware dann auf ein "Tablar" (eine Art Tablett) sortiert. Regelmäßig kommen Shuttles vorbei und holen Ware ab; sie wird automatisch vom Tablar ins Shuttle geschoben und dann zum Regal transportiert.

"Momentan läuft die Vermessung beziehungweise die Bestandsaufnahme der Artikel noch über Lasertechnologie", erklärt Schlosser. Künftig sei auch eine Erfassung der Artikel über Etiketten mit RFID-Technik (Radio Frequency Identification) denkbar. Die Ware kommuniziert dann über Funksignale mit dem SRS-System. Möglich ist mit intelligenter IT-Technik zudem eine elektronische Auszeichnung der Preise für einzelne Artikel, gesteuert durch das Warenwirtschaftssystem des Marktes. All dies geschieht lautlos und vom Kunden fast unbemerkt, während dieser einkauft.

Für Supermarkt-Inhaber Grünbauer bringt das neue Logistiksystem einige Vorteile: "Selbst an Tagen mit hoher Kundenfrequenz sind nun die Regale stets optimal gefüllt. Das Personal wird von körperlicher Arbeit entlastet und hat mehr Zeit, sich um die Kunden und um Servicedienstleistungen zu kümmern", sagt er. Das komme auch bei den Verbrauchern an.

An Grenzen stößt der automatische Regalfüllassistent jedoch, wenn der Kunde ein Produkt - etwa eine Shampooflasche - ins falsche Regal zurückstellt oder wenn eine solche Flasche umfällt. "Die Technik kann den Fehler zwar erkennen, aber nicht eigenständig reparieren", erläutert Schlosser.

Logistikkosten werden gesenkt

Dann muss das Verkaufspersonal ausnahmsweise wieder Hand anlegen. "In Einzelfällen wird dies auch künftig erforderlich sein", sagt Marktinhaber Grünbauer. "Aber die Arbeitskräfte müssen nicht mehr wie bisher 70 Prozent aller Produkte im Laden täglich in die Hand nehmen."

Mit dem neuen, automatisierten SRS-Regalbefüllsystem sieht sich Witron als Vorreiter im weltweiten Markt für Handelslogistik. "Der Trend im Handel geht eindeutig zu immer größeren Filialen und breiteren Sortimenten", sagt Vertriebsleiter Schlosser. Gerade diese großen Filialen könnten von einer vollautomatischen Regalbefüllung besonders profitieren, ist er sicher.

Für die Einführung eines automatisierten Nachfüllsystems sprechen aus Sicht von Einzelhändlern wirtschaftliche Argumente und die Optimierung des Vertriebs. Immerhin entstehen rund 50 Prozent der Logistikkosten im Warenkreislauf im Laden. Würden die Prozesse stärker automatisiert, ließen sich deutliche Einsparungen erzielen - auch beim Personal.

Sind damit also Arbeitsplätze in Gefahr? Zumindest beim Pilotmarkt in Weiden ist nach den Worten von Marktinhaber Klaus Grünbauer auch in Zukunft nicht daran gedacht, weniger Arbeitskräfte zu beschäftigen. "Einkauf soll ein Erlebnis sein", sagt er, "und zur Kundenzufriedenheit gehört die Kommunikation mit kompetenten und freundlichen Mitarbeitern dazu."

© SZ vom 16.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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