Außenminister Steinmeier und Enzensberger:Zwischen Ironie und reaktionärem Ratschlag

Außenminister Steinmeier und Schriftsteller Enzensberger sorgen sich ums Internet. Der eine will einen Cyberdialog, der andere bringt zehn Ratschläge, um sich vor Fallgruben der Digitalisierung zu schützen. Beide übersehen, dass die Überwachung durch den Staat vor allem einer politischen Botschaft bedarf.

Von Dirk von Gehlen

Frank-Walter Steinmeier macht sich Sorgen. Der deutsche Außenminister hat vergangene Woche bei seinem Besuch in Washington einen transatlantischen Vertrauensverlust angesprochen. Gerade den jüngeren Deutschen, "die einen großen Teil ihres Lebens online führen", müsste man genau erklären, was so bedeutsam ist an dem Verhältnis zu Amerika. Dem Land also, dessen Geheimdienst anlass- und maßlos die Kommunikation nicht nur derjenigen überwacht, die einen großen Teil ihres Lebens online führen.

Steinmeiers Lösung ist kein politischer Widerstand gegen diese wohlgemerkt politische Überwachung. Steinmeiers Lösung ist ein so genannter Cyberdialog, der einzig dem falschen Eindruck nützt, bei der skandalösen Überwachung handele es sich um irgendeinen randständigen Cyberquatsch - dabei ist es ein zentrales politisches Problem.

Wenn Frank-Walter Steinmeier sich aber schon auf den Weg macht, der jüngeren Generation von der guten alten Bundesrepublik zu erzählen, dann kann er auch noch ein paar Sätze über Hans Magnus Enzensberger vorbereiten. Denn dass dieser einer der führenden Intellektuellen in dieser Bundesrepublik ist, mag für jüngere Menschen, die einen großen Teil ihres Lebens online führen, irgendwie ironisch wirken.

"Das mag für einen Rentner möglich sein"

Enzensberger hat am Wochenende den Lesern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zehn einfache Regeln mit auf den Weg gegeben, wie sie sich vor den "Fallgruben der Digitalisierung" schützen und "ihrer Ausbeutung und Überwachung widersetzen können". Da diese Regeln sehr einfach sind, kann man sie leicht zu einem Vergleich mit der Autobahn zusammenfassen, die den Datenhighways als metaphorisches Vorbild diente: Enzensberger rät dazu, die Gefahren des Straßenverkehrs dadurch zu lösen, dass man sein Haus einfach nicht mehr verlässt. Ein Leser auf faz.net schreibt unter dem Text: "Das mag für einen Rentner möglich sein."

Enzensbergers Auflistung beginnt mit dem Punkt "Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg" und führt über die grundsätzliche Ablehnung von Online-Banking, Ebay und Amazon zur Aufforderung, Facebook alsbald zu verlassen. E-Mail hält er für gefährlich, wie überhaupt alles Betrug ist, was kostenfrei angeboten wird.

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher verbreitete dann Samstagabend auch über den börsennotierten US-Großkonzern Twitter den Satz "Ironie scheint es schwer zu haben auf digitalen Endgeräten". Verbunden war der Tweet mit einem Hinweis auf den von Rainer Wieland 1999 herausgegebenen Suhrkamp-Titel "Der Zorn altert, die Ironie ist unsterblich" über Hans Magnus Enzensberger. Dabei liegt die größte Ironie in den Ratschlägen Enzensbergers gar nicht in ihrer Überspitzung, sondern in der Tatsache, dass Leser, "die einen großen Teil ihres Lebens online führen", sie auf faz.net lesen können. Da kommt es zu einer Art Ironie-Feedback im Sinne des Hendrixschen E-Gitarren-Pfeifens, weil Enzensberger ja rät, "auf alle Angebote, die auf diese Weise vermarktet werden, zu verzichten", und somit vor seinem eigenen Reklame-finanzierten Rat warnt.

Rätschläge zum Sich-Drüber-Ärgern

Die absonderliche Wendung der Werbefinanzierung ist dabei noch humorvoll zu nehmen, seine halbrichtigen aber vor allem ganz falschen Empfehlungen machen einen etwas ratlos, weil der Text eher undeutlich zwischen kluger Ironie und reaktionärem Ratschlag flackert.

Es stimmt ja, dass eine Mail unverschlüsselt so sicher ist wie eine Postkarte, und es ist auch richtig: Bei Diensten, bei denen man nicht bezahlt, ist man meist nicht der Kunde sondern das Produkt. Es ist allerdings falsch anzunehmen, man könne sich nicht im Sinne der digitalen Mündigkeit wehren. Man wünscht sich dann, Enzensberger hätte ganz unironisch zehn Ratschläge zur Verschlüsselung in die werbefinanzierte Zeitung geschrieben.

Richtiggehend ärgerlich ist hingegen die in den Ratschlägen flackernde Annahme, das Problem der Überwachung sei zunächst ein digitales Problem. Hier bewirbt sich Enzensberger um eine Einladung zu Steinmeiers Cyberdialog: Statt politisch deutlich zu sagen, dass ein Staat seine Bürger nicht abzuhören hat - egal auf welchen Wegen -, erwecken nun beide den Eindruck, der fortgesetzte Angriff auf das Fernmeldegeheimnis habe etwas mit Mobiltelefonen oder amerikanischen Großkonzernen zu tun. Dabei hat Enzensberger den Kern des Problems eigentlich erkannt.

Es handelt sich hier in erster Linie um ein politisches Problem, wenn eine Gesellschaft hinnimmt, dass staatlich finanzierte Organisationen die Bürger überwachen. Nicht die Frage, ob jemand freiwillig Daten an Facebook gibt, sollte diskutiert werden, sondern die Frage, warum dieser Bürger eigentlich mit seinen Steuern dafür aufkommt, dass der Staat ihn überwacht.

Eine freiheitlich-demokratische Öffentlichkeit muss sich politisch wehren. Hans Magnus Enzensberger hat dazu einen Versuch gemacht. Man sollte sein Ansinnen aufnehmen, auch wenn seine Ironie dem Ansatz eher im Weg steht. Die Enthüllungen Edward Snowdens sind zunächst ein politisches Problem, dann erst ein digitales.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: