Digitale Agenda der Bundesregierung:Böses Netz

Die Regierung hat zwar eine Digitale Agenda beschlossen, doch sie will die Potenziale des Internets vor allem zur Kontrolle und Überwachung der Bürger nutzen.

Von Christian Heise

Acht Monate nach der Veröffentlichung der "Digitalen Agenda" der Bundesregierung kann man festhalten: Die Netzpolitik der schwarz-roten Koalition ist ein Witz. Sie ist gekennzeichnet durch fehlenden Sachverstand und eine grundlegende Abwehrhaltung gegenüber der Digitalisierung. Statt Prioritäten zu deren Ausbau zu definieren, konzentriert sich die Bundesregierung darauf, die Potenziale des Digitalen zur Kontrolle und zur Überwachung der Bürger zu nutzen.

Schleichend wird dabei das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung umgekehrt wie zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung. Dies führt dazu, dass Deutschland den Anschluss an die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung durch das Netz verliert.

außenansicht

Christian Heise, 32, arbeitet am Centre for Digital Cultures der Leuphana Universität in Lüneburg. Er ist Mitglied beim Förderverein Freie Netzwerke.

(Foto: oh)

In Deutschland, als einem der wenigen Länder der Welt, stagniert die Internetnutzung. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. zählt hierzulande nur zwei frei zugängliche Internetzugangspunkte je 10 000 Einwohner; in Schweden sind es zehn, in Südkorea sogar 37.

Nur Platz 10

Folgt man dem aktuellen "Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft" der EU-Kommission, befindet sich Deutschland beim Grad der Digitalisierung nur auf einem enttäuschenden zehnten Platz aller EU-Mitgliedsstaaten. Fast 20 Millionen Bundesbürger werden bei den Entwicklungen der digitalen Transformation "nicht mitgenommen", sagt Malthe Wolf, Internetexperte beim Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest.

Beispielhaft für das Versagen der Bundesregierung auf diesem wichtigen Feld ist die sogenannte Wlan-Störerhaftung. Sie gilt als die kleine Schwester der Vorratsdatenspeicherung und basiert auf dem tradierten Rechtsverständnis, dass jeder Inhaber eines Internetanschlusses auch der alleinige Nutzer ist. Damit haftet er unmittelbar für alle über seinen Anschluss erfolgten (Urheberrechts-)Verletzungen - unabhängig davon, ob sie von ihm selbst verursacht werden.

Die Störerhaftung ist ein ausschließlich deutscher Rechtsbegriff, andere Länder kennen dieses juristische Konstrukt nicht. Im Gegensatz zur oft vertretenen Behauptung hilft die Störerhaftung jedoch nicht, die Verfolgung strafrechtlicher Rechtsverletzungen zu verbessern: Im Strafrecht - etwa bei kinderpornografischen Delikten - wird sie nicht angewandt, dort geht es ausschließlich um die Ermittlung des Täters.

Die Störerhaftung ist ein rein zivilrechtliches Konstrukt. Vor allem bei Urheberrechtsverletzungen erweist es sich als Segen für Abmahnanwälte, die nicht lange nachdenken müssen, an wen sie ihre Einwendung schicken. So hemmt sie die Verbreitung von drahtlosen Internetzugangspunkten in Deutschland bereits im Ansatz.

Die "Störerhaftung" zeigt, wie schwer sich die Koalition tut

Die Entwicklung der Diskussion um die Störerhaftung liest sich wie eine politische Satire: Fast drei Jahre nachdem die Digitale Gesellschaft e.V. einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat, wie die Störerhaftung zu beseitigen wäre, forderten im vergangenen Februar auch die Netzpolitiker der SPD: "Die Störerhaftung muss weg!" Anfang März wiederum legte das SPD-geführte Ministerium für Wirtschaft einen Gesetzentwurf vor, in dem die Störerhaftung für offene Funknetzwerke nicht abgeschafft, sondern im Gegenteil festgeschrieben wird. Wer was tun muss, damit er nicht haftet, ist dort nur unausgegoren formuliert - "eine einzige Unverschämtheit" wie Thomas Hoeren, Professor für Informationsrecht in Münster, sagt.

Fast zeitgleich startete das CSU-geführte Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur einen drahtlosen Internetzugang rund um den Ministeriumssitz in Berlin, ohne den Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium zu berücksichtigen. Der bayrische Finanzminister Markus Söder twitterte daraufhin: "Für freies #WLAN braucht es ein Ende der #Störerhaftung. Wir setzen uns in #Berlin dafür ein." Auch die SPD-geführten Länder Nordrhein-Westfalen und Bremen forderten die Abschaffung der Störerhaftung.

Bleibt es bei diesem absurden parteipolitischen Nebeneinander in der Netzpolitik, wird es selbst ein Jahr nach der Veröffentlichung der Digitalen Agenda keine Rechtssicherheit beim Teilen von Internetanschlüssen geben. Sollte das Gesetz tatsächlich in der vorliegenden Form verabschiedet werden, werden sich die Innenpolitiker über ein vermeintliches Instrument zur Verhinderung und Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen freuen.

Fehlender Wille

Bis auf wenige Ausnahmen, wie bei den Initiativen für digitale Bildung und Medienkompetenz rund um die SPD-Abgeordnete Saskia Esken, fehlen der Berliner Politik offenbar der Wille und die Kompetenz, die Digitalisierung konstruktiv zu gestalten. Nur wenn die politische Abwehrhaltung gegen die digitale Transformation überwunden wird, können die in der Digitalen Agenda floskelhaft angekündigten "Chancen für eine starke Wirtschaft, gerechte Bildung und ein freies und sicheres Internet" mit Leben gefüllt und für alle nutzbar gemacht werden.

Die Digitalisierung zu gestalten bedeutet auch, die Grundlagen für den Ausbau digitaler Infrastrukturen zu schaffen und den Bürgerinnen und Bürgern zu helfen, das Netz bewusst und kompetent zu nutzen. In der Abteilung Digitale Gesellschaft des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur heißt es dazu: "Der kompetente Umgang mit dem Internet ist heute eine Schlüsselqualifikation." Bisher ist es der Bundesregierung weder gelungen, ein schlüssiges Konzept noch ein konkretes Maßnahmenpaket für die Gestaltung der Digitalisierung in Deutschland vorzulegen. Das enttäuschende Resultat der Störerhaftungs-Debatte ist nur eines vieler Beispiele für die Planlosigkeit in der deutschen Netzpolitik.

Die Dimensionen der Digitalisierung sind bisher offenbar nicht ansatzweise verstanden. Um den Rückstand aufzuholen, braucht es hohes politisches Engagement, mehr Transparenz im politischen Prozess und, ganz konkret, eine koordinierende, ministerienübergreifende Stelle. Auf dem bevorstehenden G-7-Gipfel könnte die Bundesregierung einen Anfang machen und der Open Government Partnership beitreten. In diesem Verbund werden gemeinsam mit Vertretern unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen Pläne entwickelt, wie Regierungshandeln konsistenter und transparenter gestaltet werden kann.

Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem sich die Bundesregierung zwischen der Gestaltung der Digitalisierung und der reinen Abwehr der Konsequenzen der Digitalisierung entscheiden muss. Eines ist sicher: Entscheidet sie sich weiterhin für die Abwehr, verschläft Deutschland die digitale Transformation. Und das können wir uns weder gesellschaftlich erlauben, noch wirtschaftlich leisten.

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