Bei all diesen Anwendungen hat der Nutzer ein Gerät in der Hand. Natürlich wäre es viel praktischer, wenn sich die verbesserte Realität wie ein Film direkt vor den Augen abspielen könnte und nicht nur auf einem kleinen Handy-Display. Eine Handvoll Firmen wie Vuzix, Optinvent oder Meta-View schraubt deshalb an eigenen Datenbrillen, die teilweise schon in sechs Monaten, also noch vor Googles Glass, fertig sein sollen. Entweder haben sie aber ein winziges unscharfes Display, oder sie sind so schwer, dass sie ständig vom Kopf rutschen. Bleibt das Produkt des Internet-Riesen. In den USA ist es bereits nicht mehr ungewöhnlich, einen Tester mit Glass zu sehen. Zum ersten Mal könnte ein Augmented-Reality-Gerät den Massenmarkt erobern.
Doch mit Google ist man hier nicht recht zufrieden. "Google Glass ist ein unvollständiges System", kritisiert etwa der Pionier der Technik, Steve Mann. Die Brille von Google ist zwar schnittig und deutlich leichter als andere Produkte - doch ihr Glasprisma-Bildschirm liegt nicht direkt vor dem rechten Auge, sondern leicht darüber. Man müsse ständig nach oben schauen, das mache einen verrückt, bemängelt Mann. Er hatte eine andere Vision für die Technik: "Eine Computerbrille muss mir zuallererst helfen, besser zu sehen. Sonst ist sie wie eine Uhr, die keine Zeit anzeigt." Bei seinen eigenen Entwürfen verlagerte Mann die Optik direkt vors Auge: Auf der Außenseite die Kamera, innen der Bildschirm, dessen Inhalt dem Auge auch auf die kurze Distanz scharf erscheint. Der Forscher zeigt auf der Augmented World Expo sein eigenes Lebenswerk: 25 Kamerabrillen mit verrückten Displays, Visieren, bunten Kabeln und Schaltern, viele davon hat er in den vergangenen 30 Jahren selbst gebaut. Manche erzeugen Wärmebilder, andere haben Radar. Sein neuestes Modell ist über Elektroden direkt mit seinem Gehirn verbunden. Beeindruckende Relikte der Technik - doch gewissermaßen ist es auch ein Arsenal des Scheiterns: Keine der Brillen kam je über ein paar Exemplare hinaus. Während der Mobilfunk und das Internet die Welt veränderten, blieb Augmented Reality immer eine Sache für Nerds.
Womöglich liegen die wirklichen Anwendungen von Augmented Reality auch ganz woanders. "Glass ist ein netter Anfang", sagt der deutsche Unternehmer Mostafa Akbari, "aber für unsere Zwecke ungeeignet." Akbari und sein Partner Simon Heinen von der Technischen Hochschule Aachen arbeiten an etwas, mit dem sie "die Lücke zwischen Maschine und Mensch schließen" wollen, wie Akbari es beschreibt. Große Industriemaschinen etwa in der Textilbranche können mit der Technik ihrer Firma Bitstars selbständig defekte Teile melden. Über die sichtbare Fabrikhalle legt ihre Software eine Art digitalen Schleier, auf dem sie die Information über den Defekt abspeichert. Mit geeigneten Brillen oder Tablets können die Mechaniker diese Information wieder sehen.
Sie sehen aber noch mehr: Die Maschine zeigt ihnen die Lage des defekten Teils und liefert die Anleitung für ihre eigene Reparatur gleich mit. Einer der ersten Kunden ist ein Medizintechnik-Hersteller, der bislang stets einen Mitarbeiter ins Flugzeug setzen musste, wenn eine seiner Pumpen im Krankenhaus kaputt war. Mit der Augmented-Reality-Anleitung der Deutschen können diese Pumpen vor Ort repariert werden, das spart Zeit und Geld. Im Unterschied zu vielen anderen arbeitet Bitstars schon eher an der Verschmelzung zwischen realer und digitaler Welt. Ihre Technik bildet eine Art Wolke von realen Objekten wie den Maschinen, und lernt so, was sie vor sich hat. "Mit diesem Maschinenlernverfahren findet tatsächlich auch eine Interpretation von Daten statt, also eine Art Dialog zwischen dem realen Objekt und der Software", sagt Akbari.
Die erste Anwendung davon entwickelten die beiden Unternehmer noch an der Uni: Es war ein vernetztes Skateboard, das anhand der Bewegungsmuster erkannte, welche Tricks man probierte und dafür je nach Schwierigkeitsgrad Punkte vergab.