Anderen Menschen die Lebensbedingungen des Prekariats zu vermitteln, ist eine schwierige Angelegenheit: Die Armut in der sogenannten Ersten Welt ist relativ gegenüber jener in der sogenannten Dritten Welt. Zudem gibt es die Wahrnehmungsblase der Mittel- und Oberschicht, die oft schon ein Downgrade vom freistehenden Haus zum Reihenhaus oder den Segeltörn auf dem Schwarzen Meer statt am Mittelmeer als unzumutbaren Einbruch empfindet.
Dass es auch in westlichen Industrienationen Menschen gibt, die vielleicht nicht in allen Fällen existentielle Not leiden, aber dennoch von den physischen, psychischen und sozialen Folgen relativer Armut betroffen sind, wird so gerne mal verdrängt oder - noch schlimmer - als individuelles Problem abgetan. Der Science-Fiction-Autor John Scalzi hat mit seinem Text "Being Poor" eine Liste von insgesamt 64 Situationen gezeichnet, die einen groben Eindruck von Armut erlauben. Bemerkenswert ist, dass diese Armut quasi kaum in Computerspielen thematisiert wird. Armut kommt schon irgendwie in Computerspielen vor, ist aber selten ihr spielerischer Mittelpunkt.
So beginnt man zum Beispiel in der *Grand Theft Auto"-Reihe zwar regelmäßig ganz unten, der Weg nach ganz oben ist aber ein Kinderspiel. Das Geld liegt tatsächlich auf der Straße. Dabei ist es ein Kernproblem prekärer Lebensverhältnisse, dass der gesellschaftliche Aufstieg nur in den seltensten Fällen gelingt. "Being poor is knowing how hard it is to stop being poor", schrieb Scalzi.
Armut als reine Kulisse
Andere Computerspiele nutzen Armut hingegen als reine Kulisse, ohne dabei in die Tiefe systematischer Ausgrenzung zu gehen. Beispiele wie "Deus Ex" oder "Skyrim" schleusen die Spieler durch Obdachlosen-Schlafstätten und Slums, mehr als Sozialkolorit oder die Gelegenheit zur Großzügigkeit springt dabei aber nicht heraus. Das Browserspiel "Pennergame" nutzt Obdachlosigkeit als "zeitgenössischen Kontext", unterscheidet sich sonst aber kaum von jedem anderen - von kapitalistischer und neoliberaler Ideologie durchzogenen - Aufbauspiel.
Prekäre Verhältnisse werden so zu einem bloßen Zeichensystem reduziert, das Spielwelten als gesellschaftsmoralisch zwiespältig markiert oder schlicht irgendwie edgy und modern macht. Dabei schwingt eine gehörige Portion positiver Klassismus mit, der prekäre Lebenswelten romantisiert und/oder arme Menschen zu passiven Opfern stilisiert. Wirkliches Verständnis für die Ursachen und das Weiterbestehen von Armut wird dabei kaum vermittelt.
In "Poverty Is Not a Game" hat das belgische Entwicklerstudio Grin, finanziert durch diverse europäische Stiftungen, ein kostenloses Computerspiel für den Einsatz im Schulunterricht entwickelt. In dem Spiel schlüpfen die Spieler in die Haut der Teenager Sophia und Jim, die aus unterschiedlichen Umständen ohne Wohnung und mit wenig Geld auf den Straßen einer europäischen Kleinstadt landen. Zum Überleben gilt es pragmatische Entscheidungen zu treffen ("Die teure Wohnung jetzt oder die billige in einer Woche?") und nach der Schule bis zur körperlichen Erschöpfung zu arbeiten.