Apple Watch im Langzeit-Test:Das taugt das teure Männer-Spielzeug

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Die Watch ist Apples erste neue Produktkategorie seit dem iPad. Wie schlägt sie sich im täglichen Einsatz?

Von J. Häntzschel, H. Tanriverdi, F. Müller, G. Jans und H. Martin-Jung

Wenn der wertvollste Konzern der Welt, Apple, etwas präsentiert, geschieht das in einer Art Ritual. In Jeans mit drüberhängendem Freizeit-Hemd beginnt der asketische Firmenchef Tim Cook stets mit einer Erfolgsstory. Als sich die Apple-Gemeinde im Juni zur Entwicklerkonferenz WWDC in San Francisco versammelte, wäre es eine schöne Gelegenheit gewesen, das jüngste Produkt zu feiern, die Apple Watch. Dass sich der Konzern zum Schweigen entschloss, lässt sich auf vielfältige Weise interpretieren.

Eines aber steht fest: Spätestens nach dem Weihnachtsgeschäft, wahrscheinlich aber schon früher, wird sich die Apple Watch besser verkauft haben als der Rest des Feldes zusammen, also mehrere Millionen Male. Doch wie schlägt sich das mit allen Regeln der Werbekunst ins Bewusstsein gedrängte Produkt im Alltag? Was läuft und was nervt? Das haben SZ-Autoren aufgeschrieben, die das erste neue Apple-Produkt seit dem iPad (2010) über mehrere Wochen getestet haben.

Ententanz

Cyborg werden, das war der heimliche Traum. Doch statt der smarten Power der kalt das Handgelenk umschließenden Apple Watch spürte man vor allem deren Schwächen. Sie verlangt wildes Gestikulieren, nur um einem die Zeit zu zeigen. Die Menüs sind für Humanoide kaum zu durchschauen. Sollte nicht überhaupt alles einfacher, selbstverständlicher, geschmeidiger gehen als mit dem Telefon? Aber egal, ob man mit Maps nach dem Weg sucht, E-Mails liest oder Musik hört: Alles ist mühsamer als auf dem iPhone, das man ja leider weiterhin dabei haben muss. Während es sich völlig natürlich anfühlt, das Handy vor sich zu halten und darauf herumzuwischen, gewöhnt man sich auch nach Wochen nicht daran, mit einer Hand am Knöchel der anderen herumzuwerkeln. Beide Hände sind beschäftigt, also nicht mehr frei, um Fahrradlenker oder Tasche zu halten.

Man muss die Ellbogen wie beim Ententanz heben und den Uhrenarm nach innen drehen als schraube man ein Ikea-Regal zu sammeln. Alles nur knapp über der Wahrnehmungsschwelle, doch statt der geschmeidigen Verschmelzung von Mensch und Maschine ist da ein Knirschen, das nicht verschwindet. Nur das, was man zuletzt von ihr erwartet hatte, das gelingt der Apple Watch tatsächlich: Sie kuriert die iPhone-Sucht, den Zwang, das Ding hungrig nach Neuigkeiten alle paar Minuten aus der Tasche zu fischen. Zu wissen, dass die Watch einem mit ihren Klopfzeichen über alles auf dem Laufenden hält, erlaubt paradoxerweise, sich wieder der Welt zuzuwenden. Jörg Häntzschel

Bequemer Luxus

Nur einen Tag absetzen. Die Apple Watch läuft ja nicht weg, sie liegt im Schrank - ich werde schon merken, wie sehr ich sie vermisse. Anerkennung durch Entzug, das war der Plan. Aus einem Tag wurden vier Wochen - und die Gewissheit, dass ich diese Uhr vorerst nicht mehr tragen werde. Die Unternehmen aus dem Silicon Valley besitzen ein Talent dafür, Kleinigkeiten des Alltags so sehr überzudimensionieren, dass man es selbst plötzlich als störend empfindet. Dass ein Smartphone in der Hosentasche sitzt und das Abrufen von Informationen dadurch verzögert, weil man erst in die Hosentasche greifen und das Gerät anschließend entsperren muss, erscheint als Grund genug, 400 Euro für ein neues Gerät auszugeben.

Die Apple Watch ist nicht bloß hübsch designt, sie kann was. Vor allem: zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen trennen. Das funktioniert gut. Wenn die Sensoren der Uhr am Handgelenk vibrieren, dreht man seinen Arm, das Display leuchtet automatisch auf - ein Blick, eine Entscheidung. Will ich mich jetzt darauf einlassen, ja oder nein? Ein sehr bequemer Luxus, ein eingelöstes Versprechen. Doch wer die Apple Watch trägt, muss sich mit drei Problemen herumschlagen, die allesamt ausschließlich mit der Uhr zusammenhängen: die Ladezeiten und Apps, die Synchronisation und die Mitmenschen.

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Das Problem mit den Menschen ist: Sie reden über die Uhr. Das Quadrat am Handgelenk fällt auf, gerade wenn im Sommer kein Pulloverärmel da ist, den man über die Uhr ziehen kann. Für ein neues iPhone interessiert sich nach vier oder fünf Gerätegenerationen niemand mehr. Bei der Apple Watch, der Neuerfindung, ist es anders. Alle wollen reden. Ist das die Uhr? Was kann sie? Darf ich sie anprobieren? Wer das Handgelenk dreht, sieht das Display aufleuchten - allerdings kommt das zu spät. Auch Apps zu öffnen dauert länger als nötig. Außerdem: Das gesamte Apple-Ökosystem lebt von den 1,5 Millionen Apps. Sie funktionieren für Smartphones und Tablets und erfüllen dort einen klaren Zweck. Die meisten Apps für die Uhr tun das noch nicht. Sie wirken nicht durchdacht.

Das größte Problem: die Synchronisation: Am Wochenende funktioniert das Prinzip gut, denn: ich sitze nicht am Arbeitsplatz und habe keinen Rechner neben mir. Fünf Tage in der Woche hingegen tue ich das schon. Dann kann ich dabei zusehen, wie eine E-Mail zuerst auf dem Rechner angezeigt wird, anschließend das iPhone die Nachricht anzeigt und kurz darauf die Uhr vibriert. Und während das Smartphone reagiert und Benachrichtigungen löscht, die man sich auf der Uhr anschaut, funktioniert das umgekehrt nicht.

Es gibt also viele Gründe, die Uhr gut zu finden, aber eben auch viele, um das nicht zu tun. Für ein Gerät, das ich so nah an mich heranlassen soll, überwiegen die Nachteile. Hakan Tanriverdi

Personal Trainer

"Und wozu brauchst du die jetzt?", lautet eine der skeptischen Standardfragen watch-loser Freunde an den Watch-Besitzer. Mal abgesehen davon, dass "brauchen" keine passende Kategorie für den Besitz von E-Spielzeug ist: Die Apple-Uhr ist schon nützlich, weil sie in prägnante Worte fasst, was man sonst nur diffus spürt. Neulich im Büro, zwei Konferenzen am Stück, die zweite ist noch nicht beendet, da surrt die Uhr und meldet auf dem Bildschirm: "Zeit aufzustehen! Stehen Sie auf und bewegen Sie sich eine Minute." Ein derart striktes Zeitmanagement würde man sich von manchem Konferenzleiter wünschen.

Auffällig daran ist auch, dass die Uhr einen durchaus fordernden Tonfall anschlagen kann. "Zeit aufzustehen": Das ist eine Ansage, die keinen Aufschub duldet. Sie kontrastiert mit dem süßlichen Sound, in den die Watch ansonsten ihre Mitteilungen kleidet: Wie toll es doch sei, dass man schon einen Großteil seines Stehziels erreicht habe, obwohl der Tag noch so jung sei. "Stehziel", das muss man wissen, ist, dass man in jeder von zwölf Stunden pro Tag einmal aufgestanden sein sollte.

Die Ansprache durch die Watch kann man nervig oder witzig finden - Tatsache ist in jedem Fall, dass sie funktioniert. Das leichte Anstacheln über den ganzen Tag führt eindeutig dazu, dass sich der Besitzer mehr bewegt. Und sich freut über die kleinen virtuellen Fleißbildchen, die man für besonders gute Leistungen in Form von animierten Plaketten auf sein iPhone geschickt bekommt. Bei alledem liegt die Frage an die Uhr nahe, ob sie eigentlich auch Sport betreibt. Per Spracherkennung Siri gefragt, antwortet die Uhr schriftlich sofort: "Ich trainiere gerade meinen Core-Prozessor." Frank Müller

Ab in die Schublade

Es sollte die Sport-Edition sein. Die ist zwar die am wenigsten teure, für eine Sportuhr aber alles andere als günstig - zumal eine Sportuhr ohne GPS so sinnvoll ist wie ein MP3-Player ohne Kopfhöreranschluss - auch den hat sich Apple gespart bei dieser Uhr, die sich nicht wirklich abkoppeln lässt vom iPhone. Doch genau das möchte ich ja beim Laufen nicht mit mir rumschleppen. Muss man aber mit der Watch, auf der die gängigen Sport-Apps wie Runtastic oder Strava zwar mit speziellen Apps vertreten sind, die aber während eines Laufs nicht wirklich übersichtlich zu handhaben sind. Die Apple-eigene Aktivitäten-App dagegen läuft eher in der Kategorie unnützes Wissen: Mir muss kein Programm dreimal am Tag verklickern, dass ich mein Bewegungsziel erreicht hätte, ich brauche nach einer Stunde am Schreibtisch keine aufdringliche Aufforderung, nun endlich mal aufzustehen, und wenn ich mitten in der Nacht im Bett liegend einen Hinweis bekomme, dass ich mein "Stehziel erreicht" hätte, finde ich das eher befremdlich. Taugt das teure Männer-Spielzeug, das nicht mal richtig Spaß macht, also gar nichts?

Doch: Push-Nachrichten sowie eingehende Mails und Kurznachrichten auf der Uhr zu checken, ist durchaus praktisch - zumindest während längerer Meetings, bei denen das Hervorholen des iPhones als unaufmerksam und unhöflich gilt. Ehrlich gesagt, nutze ich die Apple Watch nur noch an Tagen mit vielen Konferenzen - oder während eines schlechten Kinofilms. Und manchmal auf dem Fahrrad, um auf eine Whats App mit Siris Hilfe zu antworten: Die Diktierfunktion klappt erstaunlich gut. Ansonsten warte ich aufs neue Betriebssystem Watch OS2, das bessere Apps verspricht und im Herbst erscheinen soll. Bis dahin darf die Apple Watch in der Schublade mit dem ausrangierten Elektroschrott schlummern. Gunnar Jans

Aufstehen auf der Autobahn

Wer nicht irgendwann lernt, den Nachrichtenfluss zu steuern, wird zu dessen Gefangenen. Mit einem Gerät am Handgelenk, das auch noch taktil auf sich aufmerksam macht, lässt sich bewusst gesteuerte News-Askese kaum verwirklichen. Etwas Bewegung, das kann aber doch nicht schaden. Eigentlich nicht, aber warum müssen Algorithmen so dumm sein? Wie kann einen das Ding drei Stunden lang Auto fahren lassen, um zwei Minuten nach einer Pause zum Aufstehen aufzufordern? Bei 150 auf der Autobahn? In der S-Bahn misst es schließlich auch, wenn die 120 fährt und man vergessen hat, beim Radl-Training auf Stop zu drücken. Andererseits ist das aber gut für den Schnitt. Der wird schließlich manchmal versaut, wenn die Uhr nicht exakt am Handgelenk pappt. Dann ist die Herzfrequenz ganz schnell im mortalen Bereich. Und die Apps? Eigentlich kommt nur der Musikplayer öfters zum Einsatz und die für Sport. Helmut Martin-Jung

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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