Alphabet:Google wird allmächtig - die Politik schaut hilflos zu

A pedestrian walks past the Google offices in Cambridge

Das Google-Büro in Cambridge, USA.

(Foto: REUTERS)
  • Die EU-Kommission versucht, mit einer Milliardenstrafe den Google-Mutterkonzern Alphabet zu regulieren.
  • Das Wettbewerbsrecht ist ein zahnloses Mittel gegen die Datengiganten der Neuzeit.
  • Es droht eine perverse Form des Datenfeudalismus, in der wenige Unternehmen die wichtigste Ressource kontrollieren.

Von Evgeny Morozov

IT-Unternehmen können schnell neue Regularien umgehen, indem sie ganz einfach neue Techniken entwickeln, auf die sich die passgenaue Rechtslage nicht mehr anwenden lässt. Das Risiko gezielter Regulierung, die meist rein ökonomisch ausgerichtet ist, scheint langfristig sogar im Interesse der Unternehmen zu sein, die von ständiger Innovation profitieren: Anstatt sich den Regeln anzupassen, wirft man das alte Geschäftsmodell über Bord.

Auch unter diesem Aspekt sollte die Rekordstrafe der Europäischen Kommission von 2,4 Milliarden Euro für das Google-Mutterunternehmen Alphabet gesehen werden. Die Strafe kam jetzt nach einer siebenjährigen Untersuchung, ob das Unternehmen seine Marktdominanz ausnutzte, indem es seinen eigenen Shoppingdienst oberhalb der eigentlichen Suchergebnisse anzeigen ließ. Die Position der Kommission erscheint vernünftig. Das traurige Schicksal kleinerer Onlinehändler, die über Jahre nicht im Wettbewerb mithalten konnten, spricht dafür.

Trotzdem sollte man hinter der Korrektheit der Brüsseler Entscheidung keine schlüssige Strategie vermuten. Sollte die EU-Kommission einen ausgeklügelten, effektiven Plan haben, wie sie die Macht der Datengiganten einschränken will, ist davon leider nichts zu sehen. Die Realität hat die Kommission unlängst überholt: Auch wenn Alphabet noch immer sehr viel Geld mit dem Verkauf von Anzeigen bei Google-Suchergebnissen verdient, konzentriert man sich inzwischen eher auf lukrative Geschäfte mit den bereits gesammelten Daten, die verarbeitet und in künstliche Intelligenz (KI) verwandelt werden sollen. In Zukunft geht es bei Alphabet eher um informationsintensive Dienstleistungen, weniger ums Anzeigengeschäft.

Alphabet sammelt Daten mit Gratis-Angeboten - und verkauft sie für Milliarden

Die Langzeitstrategie von Alphabet ist eine doppelte. Zum einen wollte man immer so viel wie möglich über den Nutzer erfahren. Dafür hat das Unternehmen uns Anwendungen geboten, die eher wenig rentabel waren, mit denen es uns aber möglichst viele Informationen entlocken konnte.

Dieser Datenschatz erlaubt es Alphabet, unser Informationsbedürfnis schon zu berechnen, bevor wir überhaupt etwas in die Suchmaschine eingetippt haben. Unser Standort verrät uns - oder noch weitergehend werden die Informationen über eine Reise aus unserem E-Mailpostfach oder unserem Kalender ausgewertet. Eingetippte Suchanfragen braucht es kaum mehr.

Zum anderen kann Alphabet mit diesen Daten Dienste konstruieren, meist auf Basis von KI, die sie an Regierungen oder Unternehmen verkaufen können. Hier kommt es vor allem auf die Quantität an: Je mehr Daten Alphabet hat, je mehr man damit neue Produkte schaffen kann, desto weiter wird das Unternehmen auch im Wettbewerb sein, wenn es darum geht, Cyberattacken zu erkennen, Krebs zu heilen oder das Altern zu verlangsamen. Alphabet, ausgerüstet mit fortgeschrittenen, datenintensiven Produkten, kann solche Anwendungen verkaufen wie jedes andere Unternehmen auch. Die New Economy mit ihrem Gratisversprechen wäre dahin.

Eines Tages wird Google die Suchleiste ganz abschaffen

Man betrachte eine Erklärung, die Alphabet kurz vor der Verkündung der Strafe durch die EU abgab. Das Unternehmen teilte mit, es werde uns zwar weiter personalisierte Werbung anzeigen, gleichzeitig aber aufhören, unsere E-Mails zu scannen, um eben jene zielgruppengerichteten Anzeigen zu verbessern. Alphabet glaubt, dass seine Firmenkunden - die zugeschnittene Versionen von Gmail, Google Docs, Google Calender und anderen Programmen für ihre Unternehmenskommunikation kaufen - Zweifel an der Sicherheit ihrer Daten haben, weil sie auch zu Werbezwecken durchsucht werden könnten. Dies war bisher tatsächlich nur bei privaten Accounts der Fall, auch wenn selbst die inzwischen nicht mehr durchsucht werden.

Was sagt uns das? Erstens, dass Alphabet bereits so viele Daten über jeden von uns besitzt, dass es weitere E-Mails nicht mehr braucht. Der Mehrwert neuer Informationen, den eine E-Mail im Posteingang zu den Milliarden von Informationseinheiten beitragen kann, die Alphabet schon besitzt, wird schließlich immer kleiner.

Zweitens wird klar, dass Alphabet seine zahlenden Firmenkunden als für die Zukunft essenziell betrachtet. Im Lichte der Konkurrenz durch Microsoft und Amazon ist Alphabet bereit, alle Vorteile zu nutzen, die Google in der Datenwelt hat, um sich vom Rudel abzugrenzen - zum Beispiel, in dem das Unternehmen seine hervorragende Technik künstlicher Intelligenz dazu bereitstellt, Nachrichten nach Viren und Schadsoftware zu durchsuchen.

Alle Versuche, Alphabet dazu zu bringen, bestimmte Angebote (wie zum Beispiel das Onlineshopping) aus seinen Suchergebnissen zu streichen, zielen also ins Leere. Schließlich wird Alphabet die Suchleiste eines Tages ganz abschaffen. Das wird seinen Einfluss auf die Gesellschaft aber nicht mindern, denn die Firma kann unsere Informationsbedürfnisse auf vielfältige andere Weise stillen, ohne uns grob und unelegant tatsächlich fragen zu müssen, wonach wir genau suchen.

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