Das gläserne Unternehmen:Buffer ist das wohl transparenteste Start-up der Welt

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Sämtliche Emails der Mitarbeiter von Leo Widrich sind öffentlich. "Jede Kommunikation wird geteilt", sagt der Unternehmer. (Foto: oh)
  • Wer will, kann sich ausführlich über Buffer informieren. Viele Firmendaten und Informationen über strategische Entscheidungen sind öffentlich.
  • Mitgründer Leo Widrich sagt, er wolle eine Firma, in der er sich nicht verstellen muss.
  • Buffer ist eine Social-Media-Firma: Mit ihrer Software lassen sich Beiträge in sozialen Netzwerken vorplanen.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Leo Widrich verdient 185 000 US-Dollar im Jahr. Die Zahl spuckt ein Gehaltsrechner aus, den Widrich und seine Kollegen vergangene Woche ins Netz gestellt haben. Knapp drei Monate lang haben sie überlegt, wie sich die Gehälter in der Firma zusammensetzen sollten. Lebt die angestellte Person in New York, verdient sie zum Beispiel mehr als ein Mitarbeiter in Thailand. Widrich lebt in New York. Sein Start-up mit dem Namen Buffer dürfte eines der transparentesten Unternehmen weltweit sein.

Wer will, kann den Gehaltsrechner nach Belieben justieren. Ein Entwickler für Apple-Geräte, der in Mumbai lebt und nur über wenig Erfahrungen verfügt, verdient knapp 48 000 Dollar. Zieht er nach Hongkong, sind es schon 86 000 Dollar. Muss er von seinem Gehalt ein Kind ernähren, sind es 89 000 Dollar. Verzichtet er auf Aktien, werden es 99 000 Dollar - und so weiter.

"Ich habe für eine längere Zeit in San Francisco gelebt, danach ein bisschen in Berlin und jetzt bin ich hier in New York", sagt Widrich während des Treffens in Manhattan. "Ein Dollar hier ist weniger wert als ein Dollar in Mumbai".

"Alle wissen alles"

Die Firma Buffer hat keine Büroräume. Auch das ist im Internet nachzulesen, so wie fast alle anderen strategischen Entscheidungen. Der Umsatz wird in Echtzeit angezeigt, im vergangenen Jahr kamen acht Millionen Dollar zusammen. Wie viele Frauen und wie viele Männer beim Start-up arbeiten (deutlich mehr Männer), wie alt diese Menschen sind (größtenteils zwischen 25 bis 34), welchen Hintergrund sie haben (sehr wenige schwarze Menschen), und welche Bücher sie lesen, all das ist öffentlich.

Für Mitarbeiter der Firma geht die Transparenz noch einen Schritt weiter. Sämtliche E-Mails sind öffentlich. "Jede Kommunikation wird geteilt. Alle wissen alles" heißt es in einem Beitrag auf der Firmen-Webseite, in dem auch gleich Vorteile genannt werden. Einer davon: Für den Fall, dass ein Mitarbeiter kurzfristig als Arbeitskraft länger ausfalle, könne man sich schnell auf den aktuellen Stand eines Projekts bringen. Widrich sagt: "Wir wollten in einer Firma arbeiten, bei der wir uns nicht verstellen müssen. Wir möchten aus Prinzip transparent sein. Wir haben das Glück, dass wir diese Firma gegründet haben und das einfach festlegen können."

Die Firma hat zehn solcher Prinzipien. Neben der Transparenz sind weitere Leitmotive: "Sei dankbar", "kommuniziere klar", "entscheide dich für Positivität". Widrich ist 25 Jahre alt und kommt aus Österreich. Hat er während des Gesprächs das Gefühl, einen lockeren Spruch bringen zu können, dann ist das stets seine erste Option; Positivität.

Buffer stellt einen Dienst zur Verfügung, mit dem Menschen in sozialen Netzwerken steuern können, wann genau sie sich zu Wort melden wollen. Auf das Timing kommt es an. Tweets, Facebook-Beiträge, Meldungen auf dem Karrierenetzwerk Linkedin: Alles wird vorgeschrieben und dann eine Uhrzeit genannt, zu der jener Beitrag veröffentlicht wird. Interessant ist das für Stars wie Arnold Schwarzenegger oder aber für Medienunternehmen wie das Time Magazine. Beide nutzen den Dienst, sagt Widrich. Außerdem die Sängerin Jessica Simpson, die Seattle Times.

"Du hast 1000 Menschen, die für dich mitdenken und in Systemen Fehler finden."

Für Facebook und Twitter ist Buffer ein hilfreicher Dienst. Er animiert Menschen dazu, mehr Inhalte zu posten. Idealerweise zu Zeiten, in denen sie von vielen Menschen gesehen werden. Vermutlich aus diesem Grund hat Buffer gute Kontakte zu den sozialen Netzwerken, glaubt Widrich: "Wir sind keine One-Man-Show. Die wissen, dass sie uns ernst nehmen können." In den vergangenen drei Monaten hat sich das Start-up in seiner Größe verdoppelt. 60 Leute arbeiten nun für die Timing-Firma. "Wir haben das Gefühl gehabt, dass wir unterbesetzt sind", sagt Widrich. "Wir haben keinen guten Job gemacht, keinen guten Kundenservice." Es sei zwar "cool", dass man als Firma wendig bleibe, aber auch "dumm", wenn man deswegen Dinge nicht erledigen könne, so wie man es gerne wolle.

Widrich spricht in einem Ton mit Journalisten, den auch seine Mitarbeiter öffentlich anschlagen: Der Schutzmantel der PR-Sprache fehlt. 2011 versuchten Widrich und sein Mitgründer, Daten für andere Start-ups bereitzustellen. Damals hießen die Blogbeiträge noch: " Wie man in sieben Wochen von einer fertigen Idee zu zahlenden Kunden kommt". Doch daraus wurde schnell mehr. Die meisten Prinzipien von Buffer könne man beim Motivationstrainer Dale Carnegie nachlesen, heißt es in einem ersten Unternehmens-Manifest aus dem Jahr 2013. Carnegie schrieb Bücher über positives Denken.

Nicht alles ist transparent

"Wenn du transparent bist, hast du 1000 Menschen, die für dich mitdenken und in den Systemen Fehler finden, die du dir erdacht hast. Das ist Gratis-Arbeit, die du nicht bekommst, wenn du das für dich behältst", sagt Widrich. Als Buffer die Gehaltstabelle das erste Mal veröffentlichte, diskutierten fremde Menschen, ob es sinnvoll ist, wenn Chefs mehr verdienen als Entwickler. "Wir haben darüber nachgedacht, allen Mitarbeitern dasselbe Gehalt zu zahlen", sagt Widrich. Aus der Idee wurde nichts. Wer eine höhere Position besetze, habe mehr Druck und mehr Verantwortung.

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Doch nicht alles bei Buffer ist transparent. Wer wie lange arbeitet, wird zum Beispiel nicht erfasst. Man wolle niemandem über die Schulter schauen. "Wir sagen: Das ist das Ziel, das wollen wir haben, bis zu diesem Datum. Wie lange die Mitarbeiter brauchen, ist ihre Sache."

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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