Süddeutsche Zeitung

Acta und die Folgen:Warum wir eine Debatte über das Urheberrecht brauchen

Seit Acta ist das Urheberrecht ein Thema für die Hauptnachrichten - doch die Diskussion darüber, ob sich etwas ändern soll und wie eine Reform aussehen könnte, wird nur leise geführt. Höchste Zeit, das zu ändern.

Dirk von Gehlen

"Ich bin Internet-Fachmann", sagt der junge Mann in die Kamera des Tagesschau-Reporters. "Acta bedroht meinen natürlichen Lebensraum. Für mich ist das hier wie Umweltschutz." Er hatte den Anti-Acta-Samstag in Eiseskälte auf einer Demo verbracht und es damit abends in die erste Meldung von Deutschlands wichtigster Fernsehnachrichten-Sendung geschafft.

Seit den Acta-Protesten vom vorvergangenen Wochenende ist das Urheberrecht plötzlich ein Thema für die Hauptnachrichten. Der Rummel um den Bundespräsidenten hat das Thema mittlerweile verdrängt und selbst wenn bei den fürs kommende Wochenende angekündigte Demonstrationen nicht wieder überraschend viele Menschen auf die Straße gehen: Jene, die da demonstrieren, haben das sperrige Thema Urheberrecht auf die große Bühne gehoben. Dort steht es nun und niemand weiß so recht, was man jetzt tun soll. Was wäre eine Alternative zu Acta? Wie kann ein zukunftsfähiges Urheberrecht, dessen Berechtigung niemand in Frage stellt, aussehen? Wenn man verstehen will, wodurch das Thema eine solche Brisanz bekommen hat, hilft die Aussage des Internet-Experten aus der Tagesschau: Das Internet - und dabei ganz konkret die digitale Kopie - hat das Urheberrecht von einem juristischen Spezialgebiet zum Thema in der gesellschaftlichen Mitte gemacht.

Traum der Mixtape-Macher, Albtraum der "Content"-Industrie

Plötzlich kann jede und jeder fast ohne Kosten digitalisierte Inhalte weiterreichen und dennoch behalten. Das ist neu und ungeheuerlich. Das ist der Knackpunkt aller Urheberrechts-Debatten: Ehemals passive Konsumenten können jetzt selber produzieren, rekombinieren, veröffentlichen. Sie werden - wenn man so will - selber wieder zu Urhebern. Im gleichnamigen Gesetz tauchen sie allerdings nicht auf. Die digitale Kopie lässt den Traum aller Mixtape-Macher aus den achtziger und neunziger Jahren Wirklichkeit werden: Inhalte werden ohne Qualitätseinbuße dupliziert. Das kann heute jeder und es ist zum selbstverständlichen Alltag nicht nur der vorwiegend jungen Anti-Acta-Demonstranten geworden.

Doch was denen ein Traum sein müsste, die in den achtziger Jahren den Finger auf der "Aufnahme"-Taste hatten, um Musik aus dem Radio zu speichern, ist jenen ein Albtraum, die Inhalt als Content bezeichnen, den sie verwerten wollen. Das digitale Kopieren macht aus dem Ausleihen ein Weitergeben, Kunst und Kultur fließen so leicht und schnell wie nie und gleichzeitig ist eine angemessene Vergütung dafür so kompliziert und schwer wie lange nicht. Die zentrale Herausforderung muss also sein, die Wünsche der heutigen Kassetten-Kinder und die Ansprüche der Künstler und Verwerter zu vereinen.

Es geht nicht um Kostenlos-Kultur

Denn so viel ist bei aller Unsicherheit über die für viele ach so plötzlich aufgetauchte vermeintliche Netzgemeinde klar: Es geht bei ihrem Protest nicht darum, Markenpiraterie und Fälschungen zu legitimieren. Um Kostenlos-Kultur oder gar Diebstahl (ein ohnehin fragwürdiger Begriff in dem Zusammenhang) geht es ihnen genauso wenig wie es den Mixtape-Machern der Vergangenheit um Raub ging. Es geht ihnen schlicht darum, etwas zu schützen, was nicht nur ihnen "natürlicher Lebensraum" ist: die private Kopie.

Auch diejenigen nutzen sie, die sich eigentlich für ein restriktiveres Urheberrecht einsetzen. Sie kopieren so selbstverständlich, dass sie den Konflikt mit dem Urheberrecht gar nicht bemerken - wie die Beispiele Heveling und Kauder zeigen. Die Gesellschaft spaltet sich also nicht an der Auseinandersetzung, ob man das Urheberrecht braucht oder nicht. Die Gesellschaft spaltet sich sehr konkret an der Frage, die die digitale Kopie aufwirft: Glauben Sie, dass man diese technische Neuerung rückgängig machen kann? Wollen Sie, dass das Kopieren mit strengeren Strafen belegt wird? Denken Sie, dass man die Kopie mit Hilfe technischer oder juristischer Mittel einschränken kann? Halten Sie es für angemessen und flächendeckend umsetzbar, zu überprüfen, ob Menschen private Kopien anfertigen, um sie dann entsprechend zu verfolgen? Ganz konkret: Möchten Sie, dass die Internet-Service-Provider (ISP) künftig stärkere Verantwortung dafür übernehmen, welche Inhalte ihre Kunden sich ansehen und verbreiten?

Welche Schlüsse können wir ziehen?

Wir stellen diese Frage nicht nur Ihnen, sondern werden in den kommenden Tagen auch Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker der Parteien mit den Herausforderungen an ein zukunftsfähiges Urheberrecht konfrontieren: Brauchen wir härtere Sanktionen oder ein Mehr an Freiheit? Wie kann eine angemessene Vergütung für Künstler im digitalen Zeitalter gewährleistet werden? Wie müssen Schutzfristen gestaltet werden? Muss der zum Prosumenten gewandelte Nutzer als Akteur mit Rechten und Pflichten ins Urheberrecht aufgenommen werden? Und welche Schlüsse kann man aus der Geschichte ziehen?

Denn auch für die kopierenden Kassettennutzer fand der Gesetzgeber trotz aller Untergangs-Szenarien eine Lösung. Die so genannte Leermedienabgabe ist ein pauschales Vergütungssystem, das eingeführt wurde, als man feststellte: Man wird die Menschen realistischerweise nicht daran hindern können, Musik oder Filme auf Kassetten aufzunehmen und zu kopieren.

Also müssen sie pauschal beim Erwerb einer Kassette oder eines Rohlings einen Betrag zahlen, der dann an Urheber und Verwerter ausbezahlt wird. Dieses Modell funktioniert bereits. Vielleicht könnte ein Ansatz darin liegen, es auf die digitale Welt zu übertragen. Die Diskussion darüber muss jetzt beginnen.

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