Abzocke per SMS-Chat:"War 'ne tolle Nacht. Sehn wir uns wieder?"

Über SMS-Chats zocken dubiose Anbieter Menschen mit ihren Sehnsüchten ab. Ein Aussteiger berichtet, mit welchen Tricks sie arbeiten.

Marco Völklein

Im Grunde ist Boris Hager ein Angler. Wen er am Haken hat, den lässt er nicht so einfach los. Klar, der ein oder andere Fisch entwischt ihm schon mal. Aber bei der großen Masse, bei den dicken Brummern, bei denen es sich lohnt, hartnäckig dranzubleiben, da lässt er nicht locker. Da ist Boris Hager knallhart. Trotz seines jungen Alters, gerade mal knapp über 20 ist er. Und trotz seines netten Auftretens. Geschäft ist nun mal Geschäft.

Abzocke per SMS-Chat: SMS-Abzocke: Für jede Kurzmitteilung zahlt der Kunde 1,99 Euro

SMS-Abzocke: Für jede Kurzmitteilung zahlt der Kunde 1,99 Euro

(Foto: Foto: dpa)

Boris Hager ist natürlich kein Angler im Wortsinne. Er ist, wie er sagt, im SMS-Business. Und sein richtiger Name lautet auch ganz anders. Weil es in diesem Geschäft rau zugeht, möchte er nicht, dass sein Name in der Zeitung auftaucht. "Sonst steht vielleicht mal einer mit 'nem Baseballschläger vor meiner Tür", sagt er. Berichten möchte er trotzdem. Darüber, wie dubiose Anbieter von SMS-Chats die Sehnsüchte von Menschen ausnutzen. Und darüber, mit welchen Tricks diese Branche arbeitet.

"Chatte mit Julia (20)"

Los geht es meist mit einem Werbespot, zum Beispiel auf einem Musiksender wie MTV. "Chatte mit Julia (20)", werben die Anbieter von sogenannten Telekommunikationsmehrwertdiensten in den Spots. Gezeigt wird meist eine attraktive junge Frau mit wahlweise blonden oder brünetten Haaren und einem mutmachenden Lächeln. "Sende 'Julia' an fünfmal die Fünf", sagt die Stimme im Spot. Und wer dann zum Handy greift, Julia eintippt und die SMS an fünfmal die Fünf schickt - ja, der zappelt schon im Netz von Boris Hager.

Der junge Mann ist "Julia (20)". Er antwortet auf die SMS. Aber nur, sofern er Dienst hat. Wenn nicht, dann kann es auch sein, dass eine Hausfrau, Ende 30, reagiert. Oder ein Rentner. "Ich muss alles sein", sagt Hager. Julia (20) oder auch "Manuela (30)". Wenn Hager Dienst hat, dann bedient er mehrere SMS-Chats parallel. Hagers Ziel ist es, sein Gegenüber in einen Dauerdialog zu verwickeln. Denn für jede SMS, die der Fisch in Hagers Netz abschickt, kassiert der Chat-Anbieter, also Hagers Auftraggeber, etwas mehr als einen Euro.

Hager muss sein Gegenüber dazu bringen, möglichst viele SMS zu senden. Denn für jede Kurzmitteilung zahlt der Kunde 1,99 Euro. Hager schickt eine SMS zurück: "Ich habe dir ein Bild von mir angehängt. Kannst du es sehen?", lässt er seine Julia fragen.

"Natürlich hänge ich beim ersten Mal kein Bild an", sagt Hager. Und selbst wenn er ein Bild schickt, ist das eines aus einer großen Datenbank, auf die Hager von seinem PC zu Hause aus zugreifen kann. Dort geht er seiner Nebenbeschäftigung nach. Am Vormittag besucht Hager die Schule, macht Abitur. Nachmittags und abends schiebt er Dienst. SMS-Dienst. Kontakt mit anderen "SMS-Moderatoren", so nennen sich die Trickser und Täuscher, hat er kaum.

"War 'ne tolle Nacht. Sehn wir uns wieder?"

Kontakt zum Anbieter des SMS-Chats hat er aber auch nicht. Zwischengeschaltet sind sogenannte Arbeitsgemeinschaften (AG). Das sind Zusammenschlüsse mehrerer SMS-Moderatoren, also von Schülern, Studenten und anderen, die sich etwas dazuverdienen möchten. Über den Cheforganisator einer solchen AG läuft der Kontakt mit dem Chat-Betreiber. Der AG-Organisator sorgt auch dafür, dass Hager über das Internet einen Zugang zur Chat-Software des Betreibers erhält. Über diese verschickt Hager alias Julia (20) seine SMS.

Die Software erlaubt es Hager auch, jeden SMS-Dialog genau nachzuverfolgen. Hat er mit seinem Fototrick wieder mal Erfolg und einen Fisch an der Angel, spielt Hager gern das "Nummern-Spielchen". Sein Gegenüber möchte Kontakt mit Julia aufnehmen. Nicht per SMS, sondern am Telefon. "Ich schick' dir meine Nummer", lässt Hager seine Julia per SMS säuseln. "Aber dann klappt das natürlich nicht", sagt er. Die Nummern kommen nur zerhackstückt beim Empfänger an. Das Ziel ist klar: Der soll sich per 1,99-Euro-SMS wieder bei Julia melden. "In vielen Fällen klappt das auch."

Wenn Hager nach ein paar Stunden seine Schicht am SMS-Chat übergeben hat, übernimmt ein anderer, zum Beispiel ein Student aus Hamburg, seinen Julia-Chat. "Der kann über die Software genau den bisherigen Verlauf des Dialogs verfolgen", sagt Hager. Der Student steigt dann, erneut als Julia, in den Chat ein. Er kann sehen, was Hager alias Julia schon alles zusammenfabuliert hat. Wo sie angeblich wohnt. Wie sie sich kleidet. Welche Musik sie hört. "Und wenn er gut ist, übernimmt er auch meine Sprache und meinen Auftritt", sagt Hager. Hat er selbst zum Beispiel seine SMS nur in Kleinbuchstaben verfasst, verwendet auch der Student Kleinbuchstaben.

Verbraucherschützer kennen das Problem seit Jahren. "Es gibt Menschen, die süchtig danach sind", sagt Henrik Egli von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Bei dem Juristen sitzen zuweilen Menschen, auch 30- oder 40-Jährige, mit Mobilfunkrechnungen auf dem Schoß, die bis zu vierstellige Summen aufweisen. Abgerechnet werden die Mehrwertdienste über die monatliche Handyrechnung. Aber auch Eltern, deren Söhne oder Töchter auf Hagers Julia reingefallen sind, melden sich bei Egli.

Er rät ihnen dann, den Teilbetrag der Rechnung, der auf die SMS-Dienste entfällt, nicht zu bezahlen. Allerdings kann es dann sein, dass der Mobilfunkbetreiber, also zum Beispiel T-Mobile oder Vodafone, den Handyanschluss sperrt. Doch nach einem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf ist eine solche Sperre unzulässig (Az.: 52 C 3772/05). Urteile einer höheren Instanz, die Leitlinien für andere Richter in ähnlich gelagerten Fällen sein könnten, gibt es laut Egli nicht.

"War 'ne tolle Nacht. Sehn wir uns wieder?"

Und so können Hager und seine Kollegen fast ungestört weitersimsen. Nahezu endlos. Selbst dann, wenn sich der SMS-Chatter am Ziel seiner Träume wähnt. "Klar, irgendwann muss Julia ihm ein Date anbieten", sagt Hager. Per SMS wird ein Treffpunkt vereinbart. Wer nicht auftaucht, ist Julia. Stattdessen schickt Hager neue Kurzmitteilungen: "Ich habe mich verfahren", lässt er Julia schreiben.

Hager: "Über Google Earth kann ich mir ja ein Bild von der Umgebung des Treffpunkts machen." Wurde zum Beispiel ein Treffen am Stachus in München vereinbart, gibt Julia an, gerade in der Bayerstraße zu sein, also nur ein paar Ecken weiter. "Wie komme ich denn jetzt zum Stachus?", fragt sie wieder per SMS. Wegen der vielen Einbahnstraßen in der Gegend ist das gar nicht so einfach. "So lassen sich noch mal ein paar SMS rausleiern", sagt Hager.

1,99 Euro pro Mitteilung kassieren die meisten Anbieter für diese Dienste. In der Regel gehen 19 Cent an den Betreiber des Mobilfunknetzes, also beispielsweise T-Mobile oder Vodafone. Sieben Cent erhält Hager für jede von ihm generierte Kurzmitteilung. Und einen kleinen Betrag erhält auch der AG-Betreiber. Der große Rest geht an den Mehrwertdiensteanbieter. Das sind unterm Strich 1,20 bis 1,50 Euro pro SMS, schätzt Hager.

Und das ist noch nicht alles. Die Betreiber haben Aufpasser engagiert, die SMS-Moderatoren wie Hager auf die tippenden Finger schauen. Über die Software können sie jeden SMS-Dialog nachverfolgen. Macht Hager einen Fehler, vertippt er sich zum Beispiel bei einem Wort oder kommt er durcheinander, gibt er sich gegenüber einem Julia-Kunden mal als Manuela aus, dann brummt ihm der Aufpasser eine Vertragsstrafe auf. Und zwar drei Euro pro Fehler. "Bei zehn Fehlern im Monat sind das 30 Euro", sagt Hager. Von den 300 Euro, die er im Monat mit seinem Nebenjob verdient, gehen so schon mal zehn Prozent weg. Einfach so.

Das war auch ein Grund, warum Hager nun ausgestiegen ist. "Es geht in der Branche sehr hart zu", sagt er. Nicht nur im Umgang untereinander, natürlich auch im Umgang mit den Kunden, den potentiellen Opfern. Als Hager anfing mit dem Job, das war vergangenes Jahr, sei es noch so gewesen, dass ein Dialogpartner jederzeit den SMS-Chat abbrechen konnte, indem er "STOP" oder "ENDE" einsimste - die Nummer sei daraufhin aus dem Rechner gelöscht worden.

"Das gibt es jetzt nicht mehr", sagt Hager. "Wer einmal schreibt, ist drin." Nach ein paar Wochen sendet eine Spezialsoftware, Trigger genannt, wieder eine SMS raus. Da steht dann zum Beispiel: "Warum meldest du dich nicht mehr?" Oder auch: "War 'ne tolle Nacht. Sehn wir uns wieder?" Und das Spiel beginnt von vorne.

Auch wer noch nie auf ein solches Angebot reagiert hat, macht die Erfahrung, dass auf seinem Handy hin und wieder solche Lock-SMS eingehen. Verbraucherschützer vermuten, dass dubiose Datenhändler Dateien mit Handynummern an die Betreiber verkaufen, die dann ihren Trigger einsetzen. In der Hoffnung, dass jemand auf Mitteilungen wie "Bianca hat dringend versucht, dich zu erreichen" antwortet - und den SMS-Anglern ins Netz geht.

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