Süddeutsche Zeitung

Abtreibung:Was Google über die Verzweiflung schwangerer Frauen verrät

  • 2015 wurde in den USA mehr als 700 000 Mal nach Methoden gegoogelt, ohne ärztliche Hilfe abzutreiben.
  • Das wachsende Interesse dürfte daran liegen, dass die Arbeit von Abtreibungskliniken eingeschränkt wird.

Von Sara Weber

Wie treibe ich mit einem Kleiderbügel ab? Wo kann ich Abtreibungspillen online kaufen? Fragen wie diese tippten Frauen in den USA in den vergangenen Monaten häufig in Googles Suchmaske ein. Sie recherchieren, wie man mit Petersilie, Bleichmitteln oder Schlägen in den Bauch eine Schwangerschaft abbrechen kann. Die steigende Zahl den Anfragen verrät viel über den Abtreibungskampf in den Vereinigten Staaten.

2015 gab es in den USA mehr als 700 000 Suchanfragen zu selbst herbeigeführten Schwangerschaftsabbrüchen via Google, berichtet die New York Times. Die Frage "Wie bekommt man eine Fehlgeburt" ("How to have a miscarriage") wurde etwa 119 000 Mal eingetippt.

Abtreibung ist in den USA legal - eigentlich. Doch in vielen Bundesstaaten wurde in den vergangenen Jahren durch Vorstöße der Republikaner der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen durch Gesetze und Regulierung stark eingeschränkt. Seit 2011 wurden in US-Bundesstaaten mehr als 200 Beschränkungen für Abtreibungen erlassen, Dutzende Kliniken mussten danach schließen. Für Frauen bedeutet das, wochenlang auf einen Termin warten und stundenlang zu weit entfernten Kliniken fahren zu müssen.

Die Zahlen der New York Times sagen nicht aus, wie viele Frauen tatsächlich selbst zu Hause einen gefährlichen Schwangerschaftsabbruch versuchen. Doch dass Politik Verzweiflung schüren kann, die Suchanfragen wie diese veranlasst, lässt sich aus den Zahlen herauslesen.

Strengere Gesetze, steigende Suchanfragen

Denn von 2004 bis 2007 blieben die Suchanfragen für selbstinduzierte Schwangerschaftsabbrüche vergleichsweise konstant. Mit der Finanzkrise im Jahr 2008 und der Rezession stieg die Zahl der Suchanfragen. Doch der größte Sprung, um 40 Prozent nach oben, kam 2011. Allein in dem Jahr wurde der Zugang zu Abtreibungen mit insgesamt 92 neuen Gesetzen in US-Bundesstaaten eingeschränkt. In Kanada, wo keine Gesetze geändert wurden, hat sich der New York Times zufolge das Suchverhalten nicht verändert.

In den Staaten, in denen besonders häufig nach Begriffen rund um selbst herbeigeführte Schwangerschaftsabbrüche gesucht wird, sind Abtreibungen besonders stark reglementiert. Der Pro-Choice-Nichtregierungsorganisation Guttmacher Institut zufolge gibt es in 18 US-Staaten mehr als sechs gesetzliche Einschränkungen für Abtreibungen. In neun dieser 18 Staaten lag die Anzahl der Suchanfragen nach Formulierungen wie "Methoden, um zu Hause abzutreiben" deutlich über dem nationalen Durchschnitt. In Staaten, in denen Abtreibungen entweder gar nicht oder mit maximal einem Gesetz beschränkt werden, liegt die Zahl der Suchanfragen dagegen unter dem Schnitt.

2015 wurde in den USA etwa 160 000 Mal nach Abtreibungspillen gegoogelt. "Abtreibungspillen online kaufen" und "kostenlose Abtreibungspillen" gehörten zu den häufigsten Formulierungen. Suchanfragen nach Abtreibung in Zusammenhang mit Petersilie (in hohen Dosen kann die Pflanze Wehen auslösen) oder Vitamin C: Zehntausende. Nach Abtreibungen mit Kleiderbügeln: etwa 4000. Nach dem Einführen von Bleichmitteln in die Gebärmutter und Schlägen in den Bauch: Hunderte.

Studien zu dem Thema gibt es kaum. Einer Umfrage des Texas Policy Evaluation Projects zufolge haben 1,7 Prozent der texanischen Frauen schon einmal versucht, selbst abzutreiben - das entspräche rund 100 000 Frauen. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Supreme Court entscheidet über die Zukunft der Abtreibungsgesetze

Die Situation von Frauen, die abtreiben wollen, könnte noch schwieriger werden: Aktuell wird vor dem Obersten Gerichtshof über zwei Gesetze verhandelt, welche die Regulierungen noch weiter verschärfen und in einigen Staaten dazu führen könnten, dass dort kaum noch Abtreibungskliniken existieren.

Whole Woman’s Health v. Hellerstedt

Vor dem Supreme Court wird derzeit der größte Abtreibungsfall seit mehr als 20 Jahren gehört. Die Frage, um die es geht: Ergibt sich durch Anti-Abtreibungs-Gesetze in Texas eine unzumutbare Belastung für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen?

2013 wurden in Texas zwei Gesetze erlassen. Danach müssen Abtreibungskliniken so (um)gebaut werden, dass sie dieselben Voraussetzungen erfüllen wie ambulante Operationszentren. Allein am Tag, nachdem das Gesetz in Kraft trat, mussten zwölf Abtreibungskliniken in Texas schließen. Ärzte, die Abtreibungen durchführen, müssen zudem die Erlaubnis haben, Patienten in ein Krankenhaus im Umkreis von 30 Meilen einzuweisen (trotz der geringen Gesundheitsrisiken einer Abtreibung).

Auch wenn das Gericht nur die Rechtmäßigkeit der texanischen Gesetze verhandelt, wird der Urteilsspruch Auswirkungen auf das ganze Land haben. Fällt keine eindeutige Entscheidung (nach dem Tod von Antonin Scalia besteht das Gericht aktuell aus nur acht Richtern, ein 4:4 ist also möglich), bleiben die Gesetze in Texas bestehen, was andere Staaten ermuntern könnte, ähnliche Regeln einzuführen. Schaffen es die vier liberalen Richter, einen der Konservativen auf ihre Seite zu bringen, wären die texanischen Gesetze nicht mehr rechtens.

Im Juni wird der Supreme Court voraussichtlich entscheiden, wie stark Frauen in Zukunft der Zugang zu Abtreibungen erschwert wird. Erklärt das Gericht die beiden Gesetze für rechtens, gäbe es künftig nur noch zehn Abtreibungskliniken in Texas, einem Land mit 5,4 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2896981
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jab/rus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.