Abmahnungen wegen Streaming:Richter verwirren Pornofreunde

Es geht um bis zu 100.000 Porno-Gucker: So viele Adressauskünfte haben die Anwälte, die wegen der Nutzung des Streaming-Portals Redtube abmahnen, vor Gericht erwirkt. Dabei wussten manche der Richter, die die Anträge genehmigt hatten, wohl gar nicht, was genau sie vor sich hatten.

Von Matthias Huber

Sie scheinen hellseherische Fähigkeiten zu haben, die Versender angeblicher Abmahnungen, die zur Zeit per E-Mail die Runde machen. Der Empfänger, so heißt es darin, soll sich einen Pornofilm auf der Streaming-Plattform Redtube angesehen haben. Angesehen haben werden, um genau zu sein, denn das Datum des Vergehens liegt in den meisten Fällen einige Tage in der Zukunft. Betitelt sind diese E-Mails etwa mit "Redtube Urheberrechtsverletzung an dem Werk Hot Stories". Die Datei im Anhang enthält, natürlich, einen Computervirus.

Der Rat für den Empfänger einer solchen Nachricht ist einfach: Löschen und vergessen, bloß nicht den Anhang öffnen. Wer allerdings einen Brief ähnlichen Inhalts bekommen hat, darf sich in guter Gesellschaft fühlen - bis zu 100.000 Internetnutzer könnten in den nächsten Tagen und Wochen Post von der Regensburger Rechtsanwaltskanzlei Urmann + Collegen (U+C) bekommen.

Mehr als 100 Anfragen zur Herausgabe der zu einer Liste von IP-Adressen gehörenden Kontaktdaten der Anschlussinhaber hat das Landgericht Köln bekommen. Jede dieser Listen war laut einem Sprecher der Behörde zwischen 400 und 1000 Einträge lang. Nur einige wenige Richter wiesen die Anträge ab, ein Großteil der Anträge wurden aber positiv beantwortet.

"Skandalös, wenn verschiedenen Kammern der gleiche Fehler unterläuft"

Wenn auch mit etwas seltsamer Begründung: Das Gericht habe nämlich keine Zweifel gehabt, dass eine Rechtsverletzung "über eine sogenannte Tauschbörse" vorliege, heißt es in einem Beschluss. Obwohl im Auskunftsantrag von keiner Tauschbörse die Rede ist.

"Die Gerichte haben wahnsinnig viel zu tun, da kann ich nachvollziehen, dass so etwas passieren kann", sagt Sebastian Deubelli, Rechtsanwalt in Landshut und ehemaliger Mitarbeiter bei U+C, der jetzt einige der Abgemahnten vertritt. "Aber es ist trotzdem etwas skandalös, wenn sogar verschiedenen Kammern der gleiche Fehler unterläuft."

Die Anträge, um die es geht, stammen aus der Feder des Berliner Rechtsanwalts Daniel Sebastian. Das Wort "Streaming" taucht darin nicht auf, stets ist von "Download-Portalen" die Rede - obwohl keineswegs abschließend geklärt ist, ob das juristisch gleichzusetzen ist. "Das ist durchaus üblich", sagt Deubelli, "solange dieser Umstand beispielsweise in einer dem Antrag beiliegenden Begründung erklärt wird." Ein entsprechender Anhang ist aber nicht ersichtlich.

Wie genau die Software funktioniert, ist unklar

Dafür erklärt Sebastian, dessen Auskunftsersuchen für die Abmahnungen der U+C wohl die erforderlichen Kontaktdaten lieferten, vermeintlich ausführlich die Funktionsweise der Software "GladII 1.1.3" - und wie sie die Identität einer Datei zweifelsfrei anhand einer Prüfsumme, eines sogenannten Hash-Werts, nachweist. Unklar ist allerdings, inwieweit diese Ausführungen überhaupt relevant sind. Ein Hash-Wert wird in der Regel dazu verwendet, eine Datei auch nach Umbenennung noch identifizieren zu können. Bei einem Download-Portal, wo die Datei unverändert bei einer zentralen Quelle liegt, ist das kaum nötig - wohl aber im Falle von Filesharing, wo jeder User eine Kopie der Datei auf dem eigenen Rechner liegen hat und dieser natürlich auch jederzeit einen anderen Namen geben kann.

Jedenfalls sei es mit dieser Software möglich, "die Teilnahme von Nutzern sogenannter Download-Portale für Filme im Internet zu erfassen", heißt es in der eidesstattlichen Versicherung eines Sachverständigen, die dem Antrag beiliegt. Wie genau das funktionieren soll? Darüber schweigen sich Antrag und Gutachten aus, und auch die Softwarefirma ITGuards, von der GladII stammt, reagierte nicht auf eine entsprechende Anfrage der Süddeutschen Zeitung.

Die Frage steht im Raum: Haben die Kölner Richter ungenau gearbeitet - oder wurden sie an der Nase herumgeführt? Ersteres könnte juristisch geklärt werden, falls jemand der Pornofreunde gegen die Abmahnung vorgeht. Die zweite Frage könnte Daniel Sebastian beantworten, der aber jeden Kommentar ablehnt. "Hätte man wirklich versuchen wollen, die Rechtmäßigkeit von Streaming im Vergleich mit Downloads zu klären", sagt Deubelli, "hätte man den Antrag wohl deutlicher formulieren können."

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