"A Way Out" im Test:Flucht auf dem Sofa

Screenshot A Way Out

Vincent (links) und Leo wollen in "A Way Out" aus dem Gefängnis ausbrechen. Abseits der Story können sich die Spieler auch Mini-Games widmen - etwa Vier Gewinnt.

(Foto: Electronic Arts / PR)

Im Action-Adventure "A Way Out" müssen zwei Spieler gemeinsam aus einem Gefängnis ausbrechen. Alleine spielen ist nicht möglich. Macht das Spaß?

Spieletest von Marc Baumann und Caspar von Au

Spoilerwarnung: Der folgende Text verrät zwar nicht, wie "A Way Out" ausgeht, enthält aber Informationen über den Spielverlauf.

Wie sitzt man im Gefängnis? Natürlich unschuldig. Im Falle von Vincent Moretti und Leo Caruso scheint es tatsächlich so zu sein. Das Schicksal führt die beiden in einer nordkalifornischen Haftanstalt in den Siebzigerjahren zusammen. Vincent tritt gerade eine 14-jährige Haftstrafe an. Leo sitzt schon seit sechs Monaten, siebeneinhalb Jahre stehen ihm noch bevor. Das alleine wäre schon bitter, aber es kommt noch schlimmer: Vincents Ehe mit seiner hochschwangeren Frau droht zu zerbrechen und Leos Familie lebt mittellos in einem Trailerpark. Der Knast ist hart, die Wärter skrupellos, die Mithäftlinge brutal. Die beiden brauchen also dringend "A Way Out". So heißt das im Vorfeld viel gelobte neue Videospiel von Electronic Arts, entwickelt von dem schwedischen Indie-Studio Hazelight.

A Way Out

ist für PC, Playstation 4 und Xbox One erhältlich.

Kaum haben sich die Gefängnistore hinter ihm verschlossen, wird Vincent auch schon Zeuge einer üblen Schlägerei und hilft Leo. Freunde werden sie nicht, aber sie haben einen gemeinsamen Feind, der sie hinter Gitter gebracht hat. Und wenn sie hier raus wollen, dann geht das nur im Team. Das ist für die Spieler vor dem Bildschirm nicht anders als für Vincent und Leo - in A Way Out kann man nur zu zweit antreten, gemeinsam auf dem Sofa oder zumindest übers Internet verbunden.

Kein Single-Player-Modus, keine Open World, ein enges Storygerüst und nur rund sieben Stunden Spielzeit: A Way Out ist eher ein interaktiver Spielfilm für zwei. Macht das Spaß oder haben sich die Entwickler um Josef Fares, bekannt als Filmregisseur und für sein Spiel "Brothers: A Tale of Two Sons (2013), damit selber Fesseln angelegt?

Dazu haben wir nicht nur eine Meinung, sondern gleich zwei. So wie Sie im Spiel zwischen Vincent und Leo wählen können, stehen auch hier zwei Kritiken zur Auswahl.

Wählen Sie Ihren Spielekritiker:

Spieler 1: Caspar von Au ist 27 Jahre alt, wollte als Kind immer eine Konsole haben, hatte aber nur einen PC. Schreibt seit zwei Jahren regelmäßig für die SZ über neue Games.

Spieler 2: Marc Baumann ist 40 Jahre alt, Generation C64, später Amiga, PC, Super Nintendo. Dann 20-jährige Spiele-Pause bis 2018. Jetzt Xbox One.

Spieler 1: absolutes Zu-zweit-Spielen

Screenshot A Way Out

Leo Caruso sitzt seit einem halben Jahr für bewaffneten Raubüberfall. Er ist der Hitzkopf und hat Höhenangst.

(Foto: Electronic Arts / PR)

Gerade am Anfang ist A Way Out viel gucken, wenig anfassen. Das liegt zum einen an der Handlung, die sich nur langsam entfaltet. Leo und Vincent müssen einander erst beschnuppern, schließlich steht für beide die Freiheit, im schlimmsten Fall sogar ihr Leben auf dem Spiel. Auf der anderen Seite ist es für die Spieler vor dem Bildschirm ein ungewohntes Gefühl. Die meisten anderen Koop-Spiele ermöglichen es, alleine Fortschritte zu machen, A Way Out lässt das gar nicht zu.

Ohne jedoch, dass das Spielkonzept erzwungen wirkt: Bei den meisten Aufgaben ergibt es Sinn, dass sie sich nur gemeinsam lösen lassen. In den dunklen Abwasserkanälen des Gefängnisses leuchtet zum Beispiel ein Spieler mit der Taschenlampe, während der andere ein Ventil aufdreht, damit das Wasser abfließen kann. Allerdings sind die Rätsel selten anspruchsvoll. Das liegt auch an der simplen Steuerung: Kurbeln funktioniert über eine Rotation des Analogsticks. Häufig folgt eine Videosequenz, bei der die Spieler nur zusehen können. Das muss man mögen.

Screenshot A Way Out

Die Breite des Splitscreens passt sich an das Spielgeschehen an. Links unterhält sich Vincent mit Mithäftlingen, während Leo rechts zeitgleich verprügelt wird.

(Foto: Electronic Arts / PR)

Der dynamische Splitscreen verstärkt die Wirkung des Zu-zweit-Spielens. Je nach Spielsituation verschiebt sich die Trennlinie auch mal so, dass ein Spieler 80 Prozent des Bildschirms zur Verfügung hat, während sich der andere mit den übrigen 20 Prozent begnügen muss. Erstaunlich, wie beklemmend eine eigentlich nur virtuelle Beschränkung auf den realen Spieler wirken kann.

Filmisch können sich Entwickler etwas abschauen

Nachdem Leo und Vincent erfolgreich ausgebrochen sind, öffnet sich die Spielewelt deutlich - und das tut dem Spiel gut. Zwar bleibt A Way Out weiterhin sehr linear, aber die Spieler können sich freier bewegen. Oft gibt es mehrere Lösungen für ein Problem, die Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf haben. Neben der für den Spielfortschritt wichtigen Rätsel, können Leo und Vincent mit Mini-Spielen ein bisschen Zeit verdaddeln: im Trailerpark ein Ründchen Baseball spielen oder im Haus, in das Leo und Vincent einbrechen, das Geschirr spülen. Auch die Mini-Games erfordern keine komplexe Steuerung, sind aber gut in die Welt integriert, ohne sich aufzudrängen. Wer keine Lust darauf hat, kann sie ignorieren.

Josef Fares spinnt eine starke Geschichte, die vor allem die Beziehung der beiden Protagonisten schön illustriert. Es fällt leicht, sich in Leo und Vincent hineinzuversetzen, mit dem Spielverlauf hat man die sehr unterschiedlichen Charaktere gern. Auch deshalb funktioniert A Way Out das Zwei-Spieler-Konzept. Da stört es auch nicht so sehr, dass die Handlung an einigen Stellen von schlechten Klischees strotzt. Ein Beispiel: Zum Ausbrechen benötigen Leo und Vincent, na klar, eine Feile, die ihnen ein Mithäftling in einem ausgehöhlten Buch in die Zelle schmuggelt.

Auch dass A Way Out gefühlt mehr Videosequenzen enthält als Szenen, in denen die Spieler selbst ran dürfen, ist letztendlich nicht schlimm. Im Gegenteil lehnt man sich als Spieler gerne zurück, um die Kamerafahrten, Perspektivwechsel und Dialoge zu genießen. Gerade filmisch können sich andere Spieleentwickler von Fares einiges abschauen, die Handlung wird nicht langweilig.

Spieler 2: Äquivalent zum Popcorn-Kino

Screenshot A Way Out

Vincent Moretti wandert zu Beginn des Spiels für 14 Jahre in den Knast, für einen Mord, der ihm angehängt worden sein soll. Er handelt stets überlegt.

(Foto: Electronic Arts / PR)

Lust auf einen tollen Film? Mit guten Schauspielern, dichter Atmosphäre, schönen Kulissen, einer spannenden Handlung - und sogar noch einem überraschenden Ende? Das stark cineastisch aufgebaute Videospiel ist eine gute Alternative zu Kino, Stream oder DVD. Wer "Flucht aus Alcatraz" mit Clint Eastwood oder "Auf der Flucht" mit Harrison Ford mochte, kann mit A Way Out wenig falsch machen.

Etwa 30 Euro Kaufpreis sind, verglichen zur doppelt so teuren Neuerscheinung "Sea Of Thieves", geradezu günstig (der zweite spielt auch online umsonst mit per Freischaltcode) - aber natürlich teurer als ein geliehener Film bei Netflix, Amazon Prime oder Sky. Ins Kino gehen wäre aber ähnlich teuer (mit Popcorn-Cola-Nachos-Smarties). Und statt 120 Minuten Film gibt es hier gut sieben Spielstunden.

Dies ist das Äquivalent zum Popcorn-Kino: das Popcorn-Videospiel. Das als kleine Warnung für Menschen, die von einem Videospiel wochenlange Herausforderungen in unendlichen Welten verlangen, also etwa alle, die das Ritterspiel "A Kingdome Come" kurzweilig fanden. Die Rätsel in A Way Out sind kinderleicht zu lösen. Also wortwörtlich: Ein Grundschulkind konnte problemlos in einer Getränkehol-Pause des Vaters weiterspielen (eine harmlose Kletter-Szene, denn das Spiel ist erst ab 18 freigegeben). Dass man sich dennoch nicht langweilt, liegt am ausgezeichneten Drehbuch, dass weit entfernt ist von eindimensionalen Spielhandlungen wie etwa "Mafia 3", das ebenfalls atmosphärisch dicht in einer ähnlichen Zeit spielt. Am Anfang der Handlung ist das Spiel tatsächlich mehr Film, den der Spieler mit dem Joypad von Szene zu Szene drückt. Später, als man gerade etwas unterfordert ist, wird die Handlung komplexer, jetzt scheitert der Spieler tatsächlich auch mal und stirbt - um unmittelbar mit neuem Leben weitermachen zu können.

Der nächste Schritt ist immer klar

Dabei bleibt A Way Out immer eine Geschichte, die erzählt wird - keine, die man selber gestaltet. Das wäre ein Problem, wenn die Handlung nicht so gut erzählt wäre, dass man gar nichts daran ändern möchte. Ein Beispiel: Ob man als Spielfigur den hitzköpfigen Leo wählt oder den bedachteren Vincent, scheint anfangs keinen großen Unterschied auszumachen. Leo gräbt auf seiner Bildschirmhälfte als erster in der Zelle ein Loch und Vincent hält zeitgleich Wache. Je weiter die Spielhandlung voranschreitet, desto prägender wird die Wahl für das eigene Spielgefühl. Am Ende des Spiels wird einer der beiden Spieler die Lust verspüren, den anderen anzuschreien oder niederzuschlagen - so nah geht einem die Lebensgeschichte von Vincent und Leo.

Hier zeigt sich die fast schon in Vergessenheit geratene Stärke eines linearen, vorgegebenen Videospiel im Unterschied zum populären Open-World-Spielerlebnis. Momente wie in Assassins Creed, wo man auch mal sinnlos oder aufgabenlos durch die Gegend läuft, gibt es hier nicht. Der nächste Schritt ist bei A Way Out immer klar. Und wer kurz auf der Toilette war oder Popcorn holt, während der andere am Splitscreen weitermacht, kriegt oben im Bildschirm die gerade zu lösende Aufgabe immer eingeblendet.

So können Spiele also auch sein: einfach gut.

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