Süddeutsche Zeitung

"6Wunderkinder":Microsoft kauft Berliner Start-up für mehr als 100 Millionen Dollar

  • Microsoft kauft das Berliner Start-up "6Wunderkinder". Der Preis soll zwischen 100 und 200 Millionen Dollar liegen.
  • Die Firma ist vor allem für Wunderlist bekannt, eine populäre To-do-List-App für Smartphones mit rund 13 Millionen Nutzern.

Von Varinia Bernau

Dreckig und abgewrackt, sagen die einen. Authentisch und inspirierend, die anderen. London, Tel Aviv und San Francisco locken Gründer mit schnellen Internetleitungen, renommierten Hochschulen und üppigen Steuervorteilen. Berlin tat lange Zeit nichts - und trotzdem tummeln sich dort die Kreativen. So ist in der deutschen Hauptstadt eine pulsierende Start-up-Szene entstanden. Und selbst Amerikaner, die als die Taktgeber in der digitalen Wirtschaft gelten, beobachten aufmerksam, was da in Berliner Hinterhöfen gesponnen wird.

Ein amerikanischer Konzern, der in dem Ruf steht, diese Kreativität längst verloren zu haben, hat sich nun eines dieser Start-ups geschnappt: Der Softwarekonzern Microsoft soll die Berliner Firma 6Wunderkinder für einen Betrag, der zwischen 100 und 200 Millionen US-Dollar liegen soll, gekauft haben. Das berichtete zunächst das Wall Street Journal. Microsoft bestätigte dies mittlerweile.

Bekannt für die Wunderlist-App

Das Start-up wurde vor fünf Jahren gegründet - und ist vor allem für die App Wunderlist bekannt, mit der man sich Notizen machen und an wichtige Dinge erinnern lassen kann. 6Wunderkinder gilt als eines der bislang erfolgreichsten Start-ups aus Berlin. Bereits ein knappes Jahr nach der Gründung sammelten die Wunderkinder 4,2 Millionen US-Dollar bei einer Londoner Investorengruppen um Niklas Zennström ein. Der Mann hat einst den Internettelefoniedienst Skype gegründet und diesen später ebenfalls an Microsoft verkauft. Vor eineinhalb Jahren stieg dann auch noch der kalifornische Risikokapitalgeber Sequoia Capital mit 19 Millionen Dollar bei den Berliner Wunderkindern um Gründer Christian Reber ein.

Solche Finanzierungsrunden bringen nicht nur Geld. Die Investoren reichen auch wertvolle Erfahrung weiter. Sie zeigen, wie man aus einer guten Idee ein gutes Geschäft macht. Und sie helfen mit wertvollen Kontakten.

Für die Apps der Wunderkinder hatten sich zuletzt etwa 13 Millionen Menschen angemeldet. Das Ziel, das Christian Reber allerdings schon vor einer Weile ausgegeben hat, sind 100 Millionen Anmeldungen weltweit. Mit Microsoft als Eigentümer dürfte diese Marke schneller zu knacken sein - vor allem wenn es darum geht, Kunden aus Unternehmen zu gewinnen, die für ein paar Extras in den Apps auch eine gewisse Gebühr zahlen. Damit verdienen die Wunderkinder ihr Geld.

Als Anbieter von allerlei Computerprogrammen für den Büroalltag hat Microsoft einen guten Draht zu solchen Geschäftskunden. Sie gelten im Vergleich zu Privatleuten als die besseren Kunden. Sie schließen Verträge über einen längeren Zeitraum ab, sie sind nicht so sprunghaft und auch nicht so knauserig.

Und was hat Microsoft von der Übernahme?

Einen großen Teil seines Jahresumsatzes von knapp 86 Milliarden Dollar macht der Konzern noch immer mit seiner Software für PCs - und viele Versuche, auf all den neuen Feldern, mit Internetdiensten oder Smartphones, Fuß zu fassen, sind bislang gescheitert. Deshalb umgarnt Microsoft, der alte Riese, die jungen Gründer. Der Konzern braucht sie, um sein Geschäft in jene Zeit zu retten, in der sich die Leute nicht mehr vor einen Computer setzen, sondern viel unterwegs erledigen - und zwar auf dem Smartphone. Doch dort haben vor allem Apple und Google das Sagen. Mit den digitalen To-do-Listen der Wunderkinder aus Berlin könnte Microsoft also aufrüsten. Erst kürzlich übernahm der Konzern mit Acompli bereits einen auf Smartphones spezialisierten E-Mail-Dienst und mit Sunrise Atelier einen für Smartphones optimierten Kalender.

Und es gibt noch einen, der von dem Deal profitieren würde: Berlin

Rein rechnerisch entstehen in der Stadt an jedem Tag zwei neue Start-ups. Aber in Berlin scheitern Gründer auch häufiger als etwa in Hamburg oder in München. In keiner anderen deutschen Stadt gibt es so viele Start-ups, die viel Geld verdienen, aber auch so viele, die wenig Geld verdienen: Jedes zehnte Berliner Start-up macht einen Jahresumsatz von zehn Millionen Euro, aber eben so viele machen auch gar keinen Umsatz. Häufiger als anderswo finanzieren sich die Berliner Gründer mit Risikokapital. Das aber fließt nur so lange, wie sich die Investoren auch etwas davon versprechen. Berlin ist ein Labor. Ein Ort zum Herumspinnen. Gemessen aber wird der Erfolg einer Gründerszene letztlich an den großen Deals. Nur wenn es die gibt, kommt auch die nächste Generation von Ideengebern nach Berlin - und mit ihr die nächste Generation von Investoren.

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