20. Jahrestag:Zensur, Narzissmus, Doodle - was Google alles ist

Google - Anfänge des Konzerns - alte Webseite

Wie alles begann: Ein altes Layout mit dem Google-Logo und einer "Such-Box" für Webseiten der Stanford-Uni und einem zweiten für das gesamte Internet auf der historischen Google-Homepage.

(Foto: dpa)

Maps schläft nie, Autocomplete bestätigt Klischees über Flüchtlinge - und der Firmenchef macht Yoga: SZ-Autoren über die vielen Facetten des Konzerns, der überall ist.

Am Anfang stand ein simples Versprechen, das vergisst man heute gern: Suche, und du wirst finden. Bevor Google kam, hatten das auch schon andere versprochen, die in jener Zeit ganz oben waren, Yahoo zum Beispiel, oder Altavista. Sie konnten aber, wie sich dann herausstellte, nicht wirklich liefern. Yahoos Idee, das Internet noch von Menschenhand zu katalogisieren, wurde vom Wachstum des neuen Mediums schlichtweg überrollt. Und Altavista ließ sich so leicht von klickhungrigen Tricksern überlisten, dass die obersten Suchergebnisse oft Schrott waren.

Sergey Brin und Larry Page kamen, sahen - und bewiesen, dass es auch anders geht. Ihre Firma war nicht nur auf das ungebremste Wuchern des Internets eingestellt, an ihrem komplexen Suchalgorithmus beißen sich auch die Täuscher und Trickser bis heute die Zähne aus. Glänzender wurde in der Wirtschaftsgeschichte selten ein Kundenversprechen gehalten - das ist der Gründungsmythos. Und was sollte dafür die Belohnung sein, wenn nicht der Aufstieg zum Weltkonzern?

Der Kern des Versprechens ist eine Idee von kristalliner Klarheit, die sich bis heute in der blütenweißen Google-Starsteite spiegelt: Wir zeigen dir an oberster Stelle nur das, was für dich, den Suchenden, den größten Nutzen hat, und wir verlangen keinen Cent dafür. Mit solchem Altruismus kann aber keine Firma überleben, weshalb hinter das reine Versprechen bald eine Zusatzklausel gestellt wurde, die im Grunde schon wieder Vertragsbruch ist: An noch höherer Stelle zeigen wir dir Ergebnisse, die für dich vielleicht keine Relevanz haben, mit denen wir aber Geld verdienen.

Seitdem lebt Googles Glaubwürdigkeit davon, das reine Versprechen und das gebrochene Versprechen irgendwie zu trennen, um die Suchenden nicht komplett in die Irre zu führen. Etwa durch den kleinen Hinweis "Anzeige" vor einem Suchergebnis. Die größten Profite warten allerdings dort, wo diese Trennung möglichst unauffällig verwischt wird, und mehr als einmal ist Google dieser Versuchung auch erlegen, etwa bei seinem Shopping-Dienst. Von der EU-Kommission, die manchmal auch eine Wächterin der Kundenversprechen ist, gab es dafür schon die gigantische Strafe von 2,42 Milliarden Euro.

Wahrscheinlich muss man sich die beiden Fraktionen - die Hüter des Kundennutzens und die Ritter der Profitmaximierung - als kriegerische Parteien vorstellen, die innerhalb von Google selbst eine unendliche Schlacht ausfechten. Das Geschäftsmodell des Konzerns zwingt sie dazu, und es sorgt auch dafür, dass die Schlacht niemals endet. Welche Siege und Niederlagen es dabei gibt, werden wir als aufmerksame Beobachter auch in den nächsten zwanzig Jahren verfolgen können - täglich auf der Google-Homepage.

Der Algorithmus als Katalysator für Klischees

Dass Google nie schläft, sondern kontinuierlich weiterarbeitet an seiner Kartografierung der Welt, kann man schön auf Google Maps sehen: Wenn man das kleine gelbe Männchen in eine beliebige Straße im Zentrum von Paris, New York oder Rom zieht, öffnet sich links oben ein Fenster, das einen Zeitstrahl zeigt: Google hat die Welt nicht nur einmal durchfotografiert, die Autos der Firma fahren kontinuierlich weiter, und so entsteht ein neues Archiv der Street Photography, die Fifth Avenue, zwischen 2011 und 2017 elfmal fotografiert vom großen, immerwachen Algorithmus.

Autocomplete

Das Denken nimmt gerne Abkürzungen. In neuem Zusammenhang ergeben Dinge oft einen unerwarteten Sinn. Das kann sehr witzig und geistreich sein. Oder sehr irreführend. Von Google gibt es dafür sogar einen eigenen Service: Man muss nur ein Stichwort ins Suchfeld eintippen, und die Algorithmen vervollständigt die Suche dann basierend auf vorangegangene Anfragen. Interessiert man sich beispielsweise für "Asylbewerber", schlägt das Google-Orakel derzeit "Leistungen", "Abschiebung" und "machen Urlaub im Herkunftsland" als Ergänzung vor. Nicht etwa "Hilfe" oder "Unterstützung". Der Algorithmus wirkt wie ein Katalysator für Klischees und Vorurteile. Das ist dann keine Abkürzung, sondern ein Kurzschluss.

Im Tal der Visionäre

Es gab in der Geschichte der Machtmenschen selten einen Ort, an dem sie mächtiger, reicher und doch unauffälliger waren als im Silicon Valley, dem Tal der Visionäre. Was auch damit zu tun hat, dass einige der Mächtigsten dort Mathematiker und Physiker sind, Menschen also, deren Gehirne so ganz anders verdrahtet sind als die der meisten anderen. Äußerlichkeiten und Insignien der Macht sind ihnen selten wichtig. Larry Page und Sergey Brin aber sind selbst hier zwei Ausnahmeerscheinungen, denen man ihre intellektuelle, wirtschaftliche und inzwischen auch politische Macht nicht anmerkt. Page ist ein unscheinbarer Mittvierziger, der wegen eines Stimmbandleidens fast unhörbar spricht. Brin weiß zwar, wie gut er aussieht, aber wenn er nicht gerade am Rande einer Tech-Konferenz Yoga-Übungen vollführt, übersieht man auch ihn leicht. Nur wenn man mit ihnen spricht, wird schnell klar, dass sie die komplexen Gedankenwege der Mathematik auch auf die wirkliche Welt anwenden können. Genau das aber hat sie auf die Ideen gebracht, mit denen sie das Weltwissen und die Kultur für lange Zeit verändert haben.

Google Books: Auf dem Rücken der Bücher

"Google Books" könnte die totale Bibliothek sein, von der die Menschheit seit Jahrtausenden träumt: Alles, was je einer geschrieben und gedruckt hat, stünde darin für jeden und sogar von überallher zum Studium bereit. Knapp 130 Millionen Bücher gebe es auf Erden, errechnete Google zu Anfang des Projekts, für das man mit Verlagen und Bibliotheken kooperiert. E-Books und Scans von über 25 Millionen Büchern sind inzwischen per Volltextsuche zu durchforsten: Ein unerschöpfliches Netz der Verweise und Zusammenhänge, das keine gewöhnliche Bibliothek herstellen könnte. Fragen nach Urheberrechten stellte sich Google allerdings erst spät. Um sie zu schützen, sind von vielen Büchern heute nur einige Seiten, manchmal sogar nur Zeilen über Google Books einsehbar. Es tut also einerseits nicht mehr Not, sich an einen anderen Ort zu bewegen und ein ganzes Buch zu lesen, um die eine relevante Stelle darin zu finden. Es ist nach der Funktionalität von Google Books aber oft auch gar nicht möglich, den Kontext eines Satzes zu kennen. Der Student in der Google-Bibliothek wird höchstens so schlau, wie es seine Suchwörter sind.

Narzissmus

Spiegel zu befragen, ist aus der Mode gekommen. Aber das Bedürfnis, mal zu hören, was die Welt von einem hält, ist geblieben. Auch wenn niemand gern darüber spricht. Man muss an Bill Clinton denken, der 1992, aufs Kiffen angesprochen, sagte: "Ich habe es nicht gemocht und ich habe es nicht inhaliert, und ich habe es nie wieder versucht." Clinton wurde trotzdem amerikanischer Präsident, dabei war seine Aussage so glaubwürdig wie jene, dass man sich zwar mal selbst gegoogelt habe, aber wirklich nur einmal. Nix für mich. Keine Ahnung, was alle daran finden!

Der Erfolg von Google basiert auch darauf, dass die Suchmaschine großen Egos eine Art Überdruckventil bietet. In der Politik reicht das Spektrum derjenigen, die mal kurz einen Blick geworfen haben, was auf Google wohl über sie steht, vom schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther bis zu US-Präsident Donald Trump. Die Dunkelziffer ist hoch.

Doch der Blick in den digitalen Spiegel liefert nicht immer angenehme Ergebnisse. Der Suchende ist dem Algorithmus von Google ausgeliefert und liest dort mitunter Dinge über sich, die er selbst ganz anders formulieren würde oder vielleicht besser: gar nicht. Daniel Günther kann ganz gut leben mit dem, was er so über sich findet, Trump weniger.

Ihn hat das anscheinend unvorbereitet getroffen. Wer Nachrichten über ihn suche, bekomme von Google vor allem Berichte von "überregionalen, linksorientierten Medien", tadelte Trump: "Sehr gefährlich". Google widersprach: Die Suchmaschine zeige nur die "relevantesten Antworten". Aber wer will im Spiegel schon die Wahrheit über sich sehen?

Zensur

Keiner liest aufmerksamer als der Zensor, heißt es, keiner schaut genauer hin: Boris Pasternaks "Doktor Schiwago", Naguib Mahfouz' "Kinder unseres Viertels", Pier Paolo Pasolinis "100 Tage von Sodom" - alles irgendwann anstößig gewesen, alles durch die empfindsamen Hände eines Zensors gegangen. Alles nicht mehr nötig. Google kann die schlimmen Stellen, also: die schlimmen Seiten in Sekundenbruchteilen herausfiltern und sperren, demnächst vielleicht in China. Dort hatte sich das Unternehmen 2010 unter lautstarker Verurteilung der chinesischen Informationspolitik zurückgezogen. Nun bereitet es sich wohl auf die Rückkehr vor auf den Flügeln von "Dragonfly", der Libelle, einer Filter-App für die Internetsuche. Das Versprechen des Weltwissens trägt die Versuchung der Kontrolle stets in sich. Googles Säuberungsfuror fürchtet niemand mehr als der so grausam deklassierte Zensor.

Ende des Alphabets

Immer schön vorne anfangen: Die alphabetische Reihenfolge ist erstmals in den Keilschrift-Archiven von Ugarit im heutigen Syrien belegt. Google, dessen Mutterfirma "Alphabet" heißt, hat 3 500 Jahre später die Abhängigkeit zwar nicht von der Schrift, aber vom Alphabet beendet. Im Internet verschwindet die Technik des "Nachschlagens", das einen früher in Enzyklopädien auch zu Stichworten führte, die nur Nachbarn des Gesuchten waren. Ein paar Refugien der alphabetischen Ordnung gibt es noch: Die Schule pflegt sie beim Schriftlernen der Anfänger, im Sprachunterricht, aber auch bei der Reihenfolge der Schülerinnen und Schüler, wenn sie eine Klassenarbeit zurückkriegen. Alphabetisch ist die Aufstellung der Bücher in Buchhandlungen und das Dropdown-Menü im Netz, wenn wir unser Herkunftsland angeben sollen. Sonst nicht mehr viel.

Doodle

Der Schriftzug macht nicht viel her, schlicht und bunt wie eine Kiste Legosteine. Das "Google Doodle" ist die Steigerung der Camouflage. Erstmals wurde es im Jahr 2000 von einem professionellen Gestalter entworfen, der zum französischen Nationalfeiertag eine Trikolore über dem L hisste und ein paar Kringel Feuerwerk aufsteigen ließ. Die intern "Doodlers" genannte Abteilung feiert seither globale Ereignisse mit solchen Kritzeleien, olympische Spiele etwa, zur Fußball-EM dürfen Kinder mal ein Zeichen setzen. Das erste Video wurde zu John Lennons 70. Geburtstag online gestellt, ein Animé mit Schmetterling, unterlegt mit ein paar Takten Imagine. Die verspielten Doodles sind die Tarnkappe über dem mächtigen Firmennamen: mehr Logelei als Logo, vor allem kein Zeichen, nichts, das man auf Protestplakaten gegen Google verwenden könnten.

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