20 Jahre Google:Fenster zur Welt

Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin

Die Google-Gründer Larry Page (links) und Sergey Brin nach einer Party in der Anfangszeit von Google.

(Foto: picture alliance/dpa)

Milliarden Menschen finden bei Google, was sie wissen wollen. Zum 20. Geburtstag des Konzerns stellt sich die Frage: Verdient er auch heute noch ihr Vertrauen?

Von Malte Conradi, San Francisco

An einem sonnigen Morgen im August 1998, auf einer Veranda im kalifornischen Palo Alto, wettet ein Mann auf eine Idee, die die Welt verändern wird. Andy Bechtolsheim, erfolgreicher Unternehmer und Investor, hat sich zu einem Treffen mit zwei Studenten überreden lassen. Für die ist es eine große Sache, Bechtolsheim hat die Computer- und Software-Firma Sun mitgegründet und ist schon damals eine Legende im Silicon Valley. Auf ihrem Laptop zeigen sie ihm, woran sie seit zwei Jahren arbeiten. Nach zehn Minuten unterbricht Bechtolsheim sie. Der nächste Termin. Bevor er geht, schreibt er den Studenten einen Scheck über 100 000 Dollar.

"Es war die beste Idee aller Zeiten", sagt der gebürtige Bayer Bechtolsheim heute. Und dann war da diese Entschlossenheit der beiden: "Sie waren sich sicher, dass sie ein großes Problem der Welt lösen würden. Und das war ich auch. Da gab es gar keine Frage."

Die Namen der Studenten: Larry Page und Sergey Brin. Der Name, den Bechtolsheim auf den Scheck schrieb: Google.

Page und Brin sollten in wenigen Jahren eines der mächtigsten Unternehmen aufbauen, die es jemals gab, eines, dessen Name heute als Verb in jedem Wörterbuch steht. Google hat einen weltweiten Marktanteil bei Suchmaschinen von rund 80 Prozent, die übergeordnete Holding Alphabet, die noch anderes bietet, ist mehr als 800 Milliarden Dollar wert (so viel wie die acht wertvollsten deutschen Unternehmen zusammen). Jeden Tag beantwortet die Seite 5,5 Milliarden Fragen.

Seit es Menschen gibt, mussten sie mit Mysterien und Unkenntnis leben. Google hat eine Welt erschaffen, in der jedes Wissen verfügbar ist. Jederzeit, an jedem Ort.

Keine andere Institution genießt so ein Vertrauen, dass ihr alle Fragen und damit ja auch Ängste anvertraut werden. Google-Nutzer haben keine Scheu vor dummen Fragen ("Was ist Brexit?"), vor großen Fragen ("Was ist der Sinn des Lebens?"), vor Trivialitäten ("beste Wurst in Nürnberg?") oder davor, größte Intimitäten zu offenbaren ("Ist das normal?"). Jede sechste Google-Suche sei eine Frage, die der Suchende nie zuvor gestellt hat, sagt der New Yorker Unternehmer und Marketing-Professor Scott Galloway. "Die alten Götter mögen unsere Gebete erhören, aber sie antworten selten. Der neue Gott Google ist freigiebig mit seinen Weisheiten." Und das Tolle: Niemanden stört es, dass dieser Gott dabei unendlich reich wird. Mehr als zwölf Milliarden Dollar Gewinn machte Googles Muttergesellschaft Alphabet 2017.

Wie sehr Google die Welt verändert hat, wird deutlich, wenn man sich an das Internet vor Google erinnert. Auch 1998 gab es schon Suchmaschinen, viele sogar. Die Marktführer Altavista, Yahoo oder Excite glichen allerdings eher einem Versuch der gezielten Verwirrung als der Aufklärung. Die Superstars des ersten Dotcom-Hypes bauten ihre Seiten zu ausufernden Portalen aus - zum Wetter hier lang, Nachrichten da unten, daneben Horoskope, vielleicht noch Börsenkurse oder ein paar Ausflugstipps? Und irgendwo dazwischen, schwer zu finden, das Fenster für die Suche. Es sollte ein "Best of" des Internets sein, die Suchfunktion, dachte man damals, brauche man selten.

Hier ist das Wissen, sagt die Seite. Keine Tricks, nur das Wissen

Über dem Chaos schwebte, blinkte und nervte: Bannerwerbung. Wie eine Werbetafel am Highway brüllte sie jedem entgegen, der vorbeikam. Und wie am Highway wurde der Werbeplatz wertvoller, je mehr Stau es gab. Yahoo und die anderen hatten kein Interesse daran, ihre Nutzer schnell vorankommen zu lassen. Längere Wartezeiten, mehr Geld für die Suchmaschinen. Es war ein System für Internetfirmen. Und ein System gegen die Kunden.

Noch schlimmer: Die Suche selbst funktionierte nicht. Die Suchmaschinen dieser Zeit durchkämmten das Internet nach dem eingetippten Begriff und warfen dem Nutzer das Ergebnis in keiner bestimmten Reihenfolge vor die Füße. Es war, als suche man in einer Bibliothek nach Anleitung zum Pferdestriegeln und kriegte alle Bücher vorgesetzt, in denen irgendwo das Wort "Pferd" vorkommt.

Und dann kam Google.

Die Seite: weiß, der bunte Google-Schriftzug, ein Suchfenster. "Search the Web". Ein Versprechen, das heute selbstverständlich erscheint, damals war es eine Erweckung: Hier ist das Wissen, sagt die Seite. Keine Tricks, nur Wissen.

Und Google funktionierte. Die Nutzer fanden, was sie suchten - sofort, ohne erst zahlreiche Seiten zu öffnen (damals konnte das ein paar Minuten dauern), nur um festzustellen, dass sie nutzlos waren. Wer Google ausprobierte, wollte nichts anderes mehr und erzählte seinen Freunden von dieser neuen Seite.

Ihre Suchmaschine war für Page und Brin noch ein Uni-Projekt, da gingen die Nutzerzahlen schon durch die Decke. Die beiden stellten ihre Ecke des Gemeinschaftsbüros mit Servern voll, dann das Wohnheimzimmer des einen, dann das andere und ja, dieser Gründungsmythos stimmt, die Server hielten sie mit Legosteinen zusammen. Und sie zapften heimlich die Hauptstromleitung der Uni an.

Page und Brin hatten die goldene Formel entdeckt, eben die "beste Idee aller Zeiten". Als Kinder von Wissenschaftlern wussten sie, dass jene Arbeiten am meisten gelten, die am häufigsten zitiert werden. Dieses Prinzip wandten sie nun auf die Internetsuche an: Im Ergebnis wird eine Webseite weiter oben angezeigt, je mehr andere Seiten auf sie verweisen. Denn desto maßgeblicher ist sie wohl.

Der Stromverbrauch, die Kosten für die Server, all das wurde bald so teuer, dass Page und Brin sich entscheiden mussten: Google oder Uni? Sie wählten die Uni, fanden aber, dass ihr rasender Erfolg ein Vermögen wert sei. Und boten Google zum Kauf an. Für eine Million Dollar. Erst lehnte Altavista ab, dann Excite. Altavista ist lange untergegangen. Und wer war noch mal Excite?

Auch Investoren sagten der Reihe nach ab - dann trafen die beiden verzweifelten Studenten Andy Bechtolsheim.

Es folgte der klassische Silicon-Valley-Traum: Der Start in einer Garage, wahnwitziges Wachstum von 50 Prozent im Monat, immer größere Büros. Nun gerieten die Marktführer in Panik, die nur Monate zuvor abgewinkt hatten. Yahoo schaltete Fernsehwerbung, die teurer war, als Google es gerade noch gewesen wäre. Doch zu spät: 1999, ein Jahr nach Gründung, war Google die größte Suchmaschine.

Es war die Zeit, in der Google sein freundliches, buntes Image schuf: Eine Firma, die Wissen demokratisiert, die an Geld nicht interessiert zu sein scheint, die ihr Logo an wichtigen Jahrestagen witzig verfremdet. Nun entstand auch der inoffizielle Slogan der Firma "Don't be evil", der sich später noch gegen sie wenden sollte.

Trotz ihres Erfolgs ließen sich Page und Brin von Investoren überzeugen, dass ein wenig elterliche Aufsicht nötig sei. "Parental Supervision" nennt man es im Silicon Valley, wenn jungen, unerfahrenen Gründern ein knallharter Manager an die Seite gestellt wird, der dafür sorgt, dass mal richtig Geld verdient wird.

2002 löste der neue Chef Eric Schmidt innerhalb von Monaten ein Problem, das viele Fans bislang begeisterte: Google hatte Hunderte Millionen Nutzer, aber es verdiente kaum Geld. Gemeinsam mit Page und Brin setzte Schmidt die vielleicht zweitbeste Idee aller Zeiten um, sicher aber eine der lukrativsten: Schlagworte unter Anzeigenkunden zu versteigern. Die höchsten Bieter bekommen die wenigen Werbeplätze über den Suchergebnissen. Das Entscheidende: Ihre Werbung erscheint nur in den Ergebnislisten derjenigen Nutzer, die nach diesem Schlagwort gesucht haben, sie erreicht also nur die, die sich für ihren Inhalt interessieren.

Das System bietet Werbetreibenden eine so hohe Treffsicherheit, dass die Einnahmen bald jede Vorhersage übertrafen.

Zumindest einen Teil des hereinströmenden Geldes investierten Page und Brin immer wieder in neue Produkte: die gezielte Suche in Online-Shops, Nachrichtensuche, Bildersuche, ein kompletter Katalog an Straßenkarten, ein Betriebssystem für Handys, ein Internetbrowser, ein E-Mail-Angebot. Immer gratis für die Nutzer, immer finanziert durch Werbung und fast immer so erfolgreich, dass die Konkurrenz bald an den Rand gedrängt war. So geht es bis heute. Und Google wird immer mehr zum natürlichen Teil des Alltags.

Für die einen ist Google die aufregendste Firma der Welt. Für andere eine Bedrohung

Inzwischen ist es gar nicht mehr einfach, zu sagen, was Google eigentlich ist. Für die einen ist der Konzern eine Geld druckende Werbemaschine mit angeschlossenen Spinner-Abteilungen, in denen an der Raumfahrt und am ewigen Leben gebastelt wird. Für andere ist Google das innovativste und aufregendste Unternehmen der Geschichte, dasjenige, das die künstliche Intelligenz zur Blüte bringen wird. Und für wieder andere ist Google eine unkontrollierte und unkontrollierbare Institution, die Macht und Wissen in einem Ausmaß anhäuft, wie keine vor ihr.

Tatsache ist: Googles nettes Image hat Kratzer bekommen. Was vor allem mit Größe, Macht und Profiten zu tun hat. Denn je genauer Google seine Kunden kennt, indem es die Daten der verschiedenen Dienste verknüpft, desto zielgenauer und somit teurer kann es Werbung verkaufen. Desto unheimlicher wird die Sache aber auch, weshalb immer mehr Kartellbehörden sich das Unternehmen vornahmen und Politiker in Europa forderten: Zerschlagt Google! Und dann sind da noch Projekte mit dem Pentagon, ein vielleicht etwas zu geschicktes Ausnutzen diverser Steuerschlupflöcher und eine nicht gerade stringente Haltung in der Frage, ob man bei der staatlichen Zensur mitmacht, um auf den riesigen chinesischen Markt zu gelangen.

Um zu dem zu werden, was es ist, brauchte das Internet Vertrauen. Google gab es den Menschen. Die Frage ist, ob Google selbst dieses Vertrauen noch verdient.

Den "Don't be evil"-Slogan jedenfalls hat der Konzern irgendwann still und heimlich begraben. Aber es gibt da noch ein anderes Motto, das Google seit den Anfängen mit sich herumträgt und das die Öffentlichkeit vielleicht bis heute nicht ernst genug nimmt. Es lautet: "Alle Informationen dieser Welt zu organisieren."

Ja, sie meinen wirklich "alle" Informationen.

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