YouTube-Dialoge als Mini-Dramen:Und Jesus sagte *LOL*

Spam oder Kunst? Ein österreichischer Verlag veröffentlicht Hunderte digitaler Bücher mit Nonsense-Dialogen von YouTube-Nutzern. Amazon löscht die Werke - doch darf der Konzern überhaupt bestimmen, was Literatur ist?

Johannes Kuhn

YouTube Buch Traumawien

Cover eines E-Books vom Traumawien-Verlag: Ist das nicht Kunst oder kann das weg?

(Foto: Traumawien, oH)

Dass viele YouTube-Videos als Kunst gelten können, ist zumindest bei netzaffineren Zeitgenossen inzwischen unumstritten. Doch sind die Kommentare unter den Clips womöglich Literatur? Ein Wiener Verlag wirft diese und weitere durchaus essentielle Fragen auf.

Der Verlag Traumawien veröffentlicht bereits länger Literatur, die im Netz oder am Computer entsteht. Wobei Literatur hier durchaus breit gefasst ist: Der Autor Julian Palacz beispielsweise installierte zwei Jahre lang einen Keylogger auf seinem PC, um die mitgeschnittenen Tastaturbewegungen dann als 349-seitiges Hardcover-Buch zu veröffentlichen.

In einem neuen Projekt publizierte Traumawien gemeinsam mit dem Künstler Bernhard Bauch nun E-Books mit YouTube-Kommentaren bei Amazon als Mini-Dialogdramen. Die Methode: Ein Algorithmus suchte über Schlagworten aus den Amazon-Kategorien (z.B. "kochen, vegetarisch") nach YouTube-Videos, speicherte sämtliche Kommentare zu den entsprechenden Clips und wies sie fiktiven Personen einer Dramenhandlung zu. Das so automatisiert erstellte Manuskript stellte der Verlag ebenso automatisiert in Amazons Kindle-Store ein und bot es für zwei Dollar an. Autorenname und Werktitel errechnete ebenfalls der Algorithmus.

Das Resultat sind Bücher mit Namen wie "Alot was been hard" oder "On you an". Beispiel für einen Dialog (zitiert aus Reedus Nathcuz: "That Ok of Bush now. the people", Szene 4)

SEDEF: utopia lol

EDMUND: Wow, Al Quaida is a branch of the Masonic Order! It all makes sense now!

URAFIKI: There are stupid people everywhere and smart people as well. Shows like this may just go around picking up people until they find some of the stupid ones. No one can honestly say they have never met a stupid person in their own country.

JESUS: Well, I am not saying that a lot of Americans are not stupid, because a lot of them are. But they should NOT show stuff like this, because then everyone else is going to try to be stupid just to be like Americans. Same way they copy our music, styles, TV shows, movies, What else? Everything else. See my point? There are a lot of smart Chinese, Japs and Indians, but who the hell copies them? Mimic maybe, but copy?esaelp reggin (read right to left)

LILY: Nice to fire a tow missle at a tank half way around the world, but if you even can't find the country it's gonna be damn hard to find the tank. Start thinking first why you are even wanna bomb other countries where you have no business at all.

Hunderte Kurzdramen publizierte Traumawien bei Amazon, bis der Online-Buchhändler diese schließlich mit Verweis auf die "schlechte Qualität" der Werke löschte und die zugehörigen Konten sperrte.

Aktion und Reaktion weisen auf ein grundsätzliches Problem hin: Amazon hat immer häufiger mit E-Book-Spam zu kämpfen, bei dem schlicht Texte aus dem Netz einkopiert und in digitaler Buchform publiziert werden. Doch die Grenze zwischen ausreichender Qualität und Spam definiert Amazon selber - obwohl, wie Luc Gross von Traumawien betont, es sich auch um Kunst handeln könnte. Der Verlag selbst hat bereits mehrfach YouTube-Dialoge von professionellen Schauspielern aufführen lassen.

Gross verweist darauf, dass in den YouTube-Kommentaren Literatur steckt. Gross: "Der YouTube-Slang entwickelt sich zu einem digitalen Esperanto, es bildet sich eine internationale Community von Acht- bis 14-Jährigen, die echte Poesie machen." Präzision, Brutalität sowie die ständige Veränderung und Perfektionierung von Phrasen zu gnadenlosen Aussagen seien Kennzeichen dieser Sprache, wie sie auch bei 4Chan zu lesen sei.

Man mag die Traumawien-Aktion als unsinnig verwerfen oder sie satirisch interpretieren, doch sie trifft durchaus den Kern der digitalen Debatte. Dabei geht es nicht nur um eine Veränderung des Literaturbegriffs im Internet-Zeitalter, sondern um auch das Wesen nutzergenerierter Inhalte.

Wer profitiert vom Nutzer-Inhalt?

Nutzerdiskussionen dienen als kollaborativ erstelltes Nebenprodukt meist dem Zweck, die Verweildauer auf Internet-Portalen und damit die Zahl der ausgelieferten Werbeanzeigen zu erhöhen. Doch der einzelne Autor profitiert davon nicht: Bei YouTube behält er zwar das Recht an eigenen Kommentaren, doch das gesamte "Werk" eines Threads könnte nur die Videoplattform selbst vermarkten, die sich die Lizenzrechte für jeden Nutzerinhalt in den Geschäftsbedingungen sichert.

Nun taugt ein Buch mit YouTube-Debatten oder Facebook-Diskussionen kaum zum Bestseller. Doch wäre dies der Fall, würden nicht die Schöpfer, sondern einzig die Plattform-Betreiber davon profitieren können.

Traumawiens Rolle ist nun die eines diebischen Parasiten: Der Crawler saugt nicht nur die Dialoge auf, sondern verarbeitet sie zugleich zu einem neuen Werk, das wiederum an die Produzenten von Nutzerinhalten (im Facebook-Zeitalter also: uns alle) verkauft werden kann. Der nutzergenerierte Inhalt wird damit zum Gut, für das die Schöpfer unter Umständen selbst noch bezahlen.

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