Urteil im Abofallen-Prozess:Nepper der "Dummen und Angstzahler"

Es war eine ausgeklügelte Betrugsmaschinerie: Mit Hilfe von Online-Abofallen, automatischen Mahnschreiben und sogar eigenen Call-Centern prellte eine Hamburger Bande 800.000 Internet-Nutzer um insgesamt 4,5 Millionen Euro. Nun hat das Hamburger Landgericht die Täter verurteilt.

Ralf Wiegand und Helmut Martin-Jung

Das Geschäftsprinzip, nach dem es immer einen gibt, der dümmer ist als man selber, ist so alt wie der Handel an sich. Verkäufer drehen Kunden wertloses Zeug an, Drücker überreden die nette Oma an der Haustür zu einem Illustrierten-Abo auf Lebenszeit, unabhängige Finanzdienstleister preisen Hochrisiko-Papiere als todsichere Anlage an.

Prozess um Abzocke mit Abofallen

Prozess um Abzocke mit Abofallen: "Auf die Durchschnittlichen kam es den Angeklagten nicht an."

(Foto: dpa)

Um solch teure Fallen machen die meisten aufmerksamen Verbraucher einen Bogen, weshalb die Fallensteller ihre Geschäftsmodelle immer auf die Leichtsinnigen und Gehetzen, die Unachtsamen und Vertrauensseligen ausrichten, oder, wie eine am Mittwoch in Hamburg verurteilte Internet-Abzocker-Bande gerade zu Protokoll gab: "Wir wollen die Dummen und die Angstzahler."

Fünf Monate lang hat das Landgericht Hamburg das Geschäftsgebaren von sieben Angeklagten verhandelt, die mindestens 800 000 Menschen in ihre diversen "Abofallen" im Internet gelockt haben. So viele Menschen hätten die Nutzungsbedingungen auf drei verschiedenen Plattformen akzeptiert und so versehentlich ein Abonnement abgeschlossen.

Zwar haben nur acht bis 14 Prozent der vermeintlichen Abonnenten tatsächlich bezahlt, das aber reichte, um der Bande zu Einnahmen von mindestens 4,5 Millionen Euro zu verhelfen. "Hätten wirklich alle bezahlt, wäre ein Schaden von mehr als 50 Millionen Euro entstanden", sagte die Vorsitzende Richterin.

Operieren in der Grauzone

Der Kopf der Bande, David S., einschlägig vorbestraft, hatte gehofft, in einer "Grauzone" zu operieren, als er mit seinen Angeboten online ging. Dort konnte man Gedichte finden, einen "Liebestest" machen, nach Zitaten suchen oder Programme herunterladen, die es an anderen Stellen sowieso kostenlos im Internet zum Download gab, oft von namhaften Herstellern.

Sogenannte Landing Sites zogen die Nutzer auf seine Seiten, wenn etwa irgendwo im Netz ein Videoplayer zu aktualisieren war. Auch in den Suchmaschinen tauchten die unseriösen Seiten ganz oben auf, obwohl dort nur so genannte Sinnlosangebote mit "wirtschaftlich wertlosen Inhalten" verkauft wurden, wie das Gericht befand.

Mahnschreiben und Beschwerdeanrufe

Aber um Inhalte sei es auch gar nicht gegangen. Die Bande hatte es auf die Adressen abgesehen, die sie beim Anmeldevorgang einsammelte. Danach lief die Abzock-Maschinerie an: Vollautomatisch gingen den Neukunden per E-Mail oder Post Zahlungsaufforderungen zu über 60 bis 84 Euro für ein Jahresabo.

Zahlten sie nicht, verschickte ein zur Bande zählender Anwalt Mahnschreiben, die Summe stieg schnell auf mehr als 100 Euro. Das Netzwerk betrieb sogar eigene Call-Center, bei denen die Beschwerdeanrufe der Kunden eingingen. Doch geholfen wurde ihnen dort nicht, die unter falschen Namen operierenden Mitarbeiter rieten ihnen, zu bezahlen.

Richter kritisieren sorglose Internet-Nutzer

Insgesamt war das nach Meinung des Gerichts ein "betrügerisches Gesamtkonzept" mit hohem organisatorischem Aufwand. Urheber David S. muss unter anderem wegen schweren banden- und gewerbsmäßigen Betrugs für drei Jahre und neun Monaten in Haft, die Mittäter und Gehilfen erhielten Bewährungsstrafen zwischen einem Jahr und 22 Monaten Haft beziehungsweise Geldstrafen.

Strafmildernd wertete die Kammer neben den Geständnissen, dass viele Internet-Nutzer einfach zu sorglos sind. "Der aufmerksame Internet-Nutzer hatte die Möglichkeit, die Kostenpflichtigkeit der Seiten zu erkennen", sagte die Richterin.

Die Hinweise auf entstehende Kosten wurden nicht verschwiegen - sie waren nur schwer zu finden, rückten auf durchschnittlichen Monitoren erst ins Blickfeld, wenn der Kunde ans Ende der Seite scrollte: "Auf die Durchschnittlichen kam es den Angeklagten aber gar nicht an - sondern auf die anderen."

Den Angeklagten sei klar gewesen, dass alle, die die Nutzungsbedingungen akzeptiert hatten, den Hinweis auf die entstehenden Kosten übersehen haben mussten. Und die kassierten sie dann ohne Gegenleistung ab.

Die Seiten der Hamburger Bande sind längst offline, doch Fallensteller gibt es nach wie vor viele. Besonders gerne werden dabei aktuelle Ereignisse als Aufhänger benutzt.

Zahlungsdienst in der Slowakei

Vor kurzem schwappte zum Beispiel eine Welle von Mails durch das Netz, verschickt von einer angeblichen Münchner Rechtsanwaltskanzlei. Sie forderte die Empfänger auf, wegen Urheberrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der kürzlich geschlossenen Internetseite Megaupload "im Rahmen eines Vergleichs" 149,95 Euro zahlen. Wer genauer hinsah, entdeckte nicht bloß den Rechtschreibfehler bei der Grußformel - "Hochatungsvoll" statt "Hochachtungsvoll" -, sondern auch, dass als Bankverbindung ein Zahlungsdienst in der Slowakei angegeben war.

Weil, wie im Hamburger Fall, immer nur ein kleiner Teil der Angeschriebenen reagiert und ein noch kleinerer Teil auch wirklich zahlt, macht es bei solchen Betrügereien stets die Masse.

Die Kriminellen nutzen zum Versand der Lock-E-Mails meist Rechner, deren Besitzer von solchen Aktivitäten nichts ahnen. Durch eine Sicherheitslücke gekapert, werden die Rechner quasi ferngesteuert. Um Betrügern nicht auf den Leim zu gehen, braucht es daher technische Vorsichtsmaßnahmen - aber auch gesundes Misstrauen, um nicht zu den "Dummen und den Angstzahlern" zu gehören.

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