Überwachung durch britischen Geheimdienst:Sie haben die Kontrolle

Der britische Geheimdienst GCHQ überwacht massenhaft Videochats. Was vor wenigen Jahren noch Science Fiction war, ist nun Realität. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob sich die Kameras zurückdrängen lassen, sondern darum, wer sie kontrollieren darf.

Eine Analyse von Pascal Paukner, San Francisco

Im Jahr 1996 erschien im Technikmagazin Wired ein Aufsatz, der aus damaliger Perspektive etwas abwegig geklungen haben muss. Der Science-Fiction-Autor David Brin erzählt darin die Geschichte zweier Städte aus der nahen Zukunft, so um das Jahr 2016. An beiden Orten sind Kameras und Drohnen allgegenwärtig, die das Leben der Menschen überwachen.

Die wenigen Unterschiede zwischen den beiden Metropolen: In der einen Stadt hat allein eine mächtige Geheimpolizei Zugriff auf die Bilder. Sie überwacht alles. In der anderen Stadt gibt es eine solche Geheimpolizei nicht, stattdessen können alle Menschen die Bilder abrufen und private Haushalte sind weitgehend vor Überwachung geschützt. "Beide Zukunftsvisionen mögen nicht wünschenswert klingen", schreibt Brin. "Aber kann es irgendeinen Zweifel daran geben, in welcher Stadt wir leben wollten, wenn diese beiden doch unsere einzigen Wahlmöglichkeiten sind?"

Boom der Bilder

Die Zukunft, in der alles überwacht werden kann, ist nun die Gegenwart. Seit Monaten enthüllen Journalisten unter Rückgriff auf Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden, was westliche Staaten im Geheimen treiben. Nun folgte eine neue Episode: Der britische Geheimdienst GCHQ habe die Webcam-Kommunikation von mindestens 1,8 Millionen Menschen angezapft, berichtet der Guardian am Donnerstag. Der Artikel offenbart abermals eine neue Dimension der Überwachung, einen direkten Draht in die Wohn- und Schlafzimmer unbescholtener Bürger. Was wirkt wie eine Szene aus der schaurigen Zukunftsvision des Science-Fiction-Autors, ist die Realität.

Der Aufstieg des Internets hat nicht nur zu einem rasanten Wachstum schriftlicher Kommunikation geführt. Vor allem in den letzten Jahren hat auch Kommunikation in Form von Bildern überproportional an Bedeutung gewonnen. Online-Netzwerke wie Snapchat, die vollständig auf Bildern basieren, sind dafür nur der jüngste Beleg. Ausgebaute Datennetze und günstige Kamera-Technologie haben zu einem Boom der Bilder geführt. Zunächst waren es vor allem Fotos, die ins Datennetz eingespeist wurden, doch zunehmend sind die Netzwerke auch in der Lage mit den größeren Datenmengen von Videoaufnahmen fertig zu werden.

In einer Punk-Kneipe in San Francisco kam es vor wenigen Tagen zu einem gewalttätigen Streit. Eine Frau hatte dort mit Freunden den Abend verbracht und dabei die Datenbrille Google Glass getragen. Andere Gäste fühlten sich durch die ungewohnte Präsenz der neuen Technologie offenbar so bedroht, dass sie die Frau beleidigten und versuchten, ihr die Datenbrille vom Kopf zu stehlen. Als der Angriff begann, aktivierte die Frau die Videoaufnahmefunktion der Brille und erreichte somit, dass der Angreifer von ihr abließ. Es ist ein Konflikt, der gut beschreibt, wohin uns der technische Fortschritt manövriert.

Die entscheidende Frage ist längst eine andere

Wenn eine neue Technologie ganz offensichtlich in einen Raum eindringt, wo sie bisher nichts zu suchen hatte, dann fordert uns das heraus. Als Handys mit Kamerafunktionen aufkamen, gab es eine Debatte darüber, ob man sie nicht von den Schulhöfen verbannen müsste. Nun bahnen sich Datenbrillen den Weg in unseren Alltag. Schon bald werden noch unauffälligere Aufnahmetechniken hinzukommen. In den jetzt veröffentlichten Dokumenten ist von einer Spielkonsole die Rede. Bald wird es auch um Mini-Drohnen und Satelliten im All gehen. Auch dann wird es Debatten über Verbote geben. Doch die eigentlich entscheidende Frage ist längst eine andere. Sie findet sich bereits in dem Aufsatz aus dem Jahr 1996 wieder. Sie lautet nicht: Wie können wir die Kameras zurückdrängen? Sie lautet: Wer darf die Kameras kontrollieren?

Weil diese Frage in der Gesellschaft aber viel zu selten debattiert wird, weil viele immer noch glauben, die Revolution der Aufnahmetechnik, die ja auch Vorteile bringt, ließe sich aufhalten, haben die Geheimdienste eine einseitige Antwort gegeben. Sie haben die Macht übernommen und kontrollieren die Kameras. Die gegenwärtige Situation kommt der Dystopie, die Brin in seiner Zukunftsvision zeichnet, sehr nahe. Das Verheerendste daran ist, dass die Überwachung so unsichtbar geworden ist. Wenn jemand ein Aufnahmegerät auf uns richtet, während wir in einer Bar sitzen, reagieren wir empört. Es verletzt die Regeln des Anstandes. Wenn wir ein Aufnahmegerät selbst auf uns richten und der Geheimdienst schneidet mit, dann empört sich niemand.

Noch sind die Gefahren, die von der Videoüberwachung der Geheimdienste ausgehen, überschaubar. Aus den jüngsten Veröffentlichungen geht hervor, dass sich das GCHQ mit der Analyse der Daten schwer tat. Obwohl Forscher auf der ganzen Welt im Auftrag von Staaten und Unternehmen an besserer Gesichtserkennungssoftware arbeiten, sind die Ergebnisse, die solche Programme liefern, häufig noch fehlerhaft. Doch auch das ändert sich. Die Algorithmen werden besser. Vielleicht auch die politischen Antworten.

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