Republica:Steinmeier fordert mehr Nebensätze

re:publica 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet die Republika in Berlin - und nutzt sogar Internet-Slang.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)
  • Frank-Walter Steinmeier eröffnet die Digitalkonferenz Republica in Berlin mit staatstragenden Worten und ein bisschen Internet-Slang.
  • Der Bundespräsident spricht sich für mehr Austausch zwischen der digitalen Zivilgesellschaft und analogen Institutionen. Und tatsächlich waren sich Staat und Netzgemeinde selten so einig wie auf der Konferenz in Berlin.
  • Zudem mahnt er an, die großen Intenet-Plattformen wie Facebook und Twitter müssten sich an europäische Regeln halten, wenn sie in Europa Geschäfte machen wollen - dazu gehörten Datenschutz und Wettbewerbsrecht.

Von Jannis Brühl und Mirjam Hauck, Berlin

Erst einmal gibt es in der Halle des stillgelegten Postbahnhofs eine Lektion in hierarchiefreier Kommunikation - und zwar für den Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeiers hält gerade seine Rede, als jemand aus einer der vorderen Reihen in sein Handy quatscht. Steinmeier unterbricht und fragt: "Wer ist dran?" Applaus und Lachen im Saal. "Dennis war dran", ruft die Angesprochene in Richtung des Staatsoberhauptes.

Steinmeier geht es um die "Zivilität" in Debatten, wie er es nennt. Dazu gehört, den anderen ausreden zu lassen, auch wenn die digitale Technik dazu einlädt, pausenlos zu kommunizieren. Debattenkultur ist Steinmeiers großes Thema - und auch das der hier versammelten Netzgemeinde. Er eröffnet mit seiner Rede in der Halle in Berlin die Republica, die größte Digitalkonferenz Europas. Vergangenes Jahren sind rund 10 000 Besucher gekommen.

Dieses Jahr findet die Republica zum 13. Mal statt. Wie wird im Netz gestritten? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Zensur? Wie ist mit Hass und Verleumdung umzugehen? Wie mit der Verwendung persönlicher Daten, die veröffentlicht werden, um Menschen bloßzustellen? All das sind seit Jahren die Themen der Macher, der Sprecher und der Besucher. Und Steinmeier verkündet ihnen: "Nicht etwa die Digitalisierung der Demokratie, sondern die Demokratisierung des Digitalen - das ist die drängendste Aufgabe!"

Es sind staatstragende Worte, die der Bundespräsident da an die Netzgemeinde richtet. Wenn man so will, ist e gekommen, um die digitalen Aktivisten dafür zu gewinnen, gemeinsam für die liberale Demokratie zu kämpfen: "Ich wünsche mir mehr Austausch zwischen der digitalen Zivilgesellschaft und den lange gewachsenen analogen Institutionen", sagt er. Zu Letzteren zählt auch sein eigenes Amt. Erreichen will Steinmeier diesen Austausch durch inhaltliche Tiefe. Man müsse sich auch auf lange, kompliziertere Themen einzulassen. "Wer Nebensätze nicht zum Feind erklärt, der hat in diesem Bundespräsidenten einen natürlichen Verbündeten", so Steinmeier. Das Publikum applaudiert, die Netzgemeinde nimmt ihn an diesem Tag herzlich auf.

Steinmeiers ausgleichende Rede, in der der 63-Jährige sich mit szeneüblichen Begriffen wie "toxisch" und "Hater" in Anbiederungsverdacht bringt, dürfte viele im Publikum entschädigen, die sich sonst oft vom Staat missverstanden fühlen. Bevor Steinmeier spricht, steht zum Beispiel Markus Beckedahl auf der Bühne, Mitveranstalter der Konferenz und Betreiber des Blogs netzpolitik.org. Gegen ihn ermittelte der Generalbundesanwalt 2015 wegen des Verdachts auf Landesverrat, nachdem sein Blog interne Dokumente aus dem Verfassungsschutz veröffentlicht hatte. Viele im Saal waren im vergangenen Jahr auf der Straße, um gegen die EU-Urheberrechtsreform zu demonstrieren, und mussten sich daraufhin von einzelnen Europaabgeordneten beschimpfen lassen, sie seien vom Silicon Valley gesteuert.

Der Europaabgeordnete Axel Voss (CDU), der die Reform federführend vorangetrieben hat, dürfte es am Dienstag schwerer haben als Steinmeier. Voss wird mit Beckedahl auf der Bühne streiten. Der Kampf gegen die Reform war das einigende und mobilisierende Moment für die Szene im vergangenen Jahr. Dass dieser Kampf, den hier viele kämpfen, eine dunkle Seite hat, daran erinnern die Veranstalter vor Steinmeiers Rede. Sie bekunden ihre Solidarität mit der derzeit im Gefängnis sitzenden Whistleblowerin Chelsea Manning. Sie war 2018 der prominenteste Gast der Republica.

Der Bundespräsident weiß, was die Netzgemeinde hören will - und was nicht

Vor den anwesenden Netzmenschen hütet sich Steinmeier, digitale Technologie zu verdammen und vordigitale Politik zu verklären. Mit Hinblick auf die Ängste, die neue Technik wie das Telegramm einst auslöste, sagt er: "Dass sich mit Technologie auch Kulturpraxis verändert und manche dann prompt den Sittenverfall beklagen, das ist nicht neu." Und weiter: "Am Telegrafieren ist Preußen jedenfalls nicht zugrunde gegangen." Das Publikum quittiert die Äußerung mit dankbarem Applaus.

Offensichtlich weiß der Bundespräsident: Mit Maschinenstürmerei kommt man auf der Republica nicht weit und steht schnell als prädigitaler Bildungsbürger da, der sich dem Netz aus Borniertheit oder Ahnungslosigkeit verweigert.

Das Motto der diesjährigen Republica lautet "tl;dr" - Internet-Slang für "too long; didn't read", und steht für eine knappe Zusammenfassung langer Texte. Praktisch, weil so nicht jeder jeden Text lesen muss - aber trotzdem bleibt so die Beschäftigung mit dem Thema nicht oberflächlich.

Zur Illustration des Mottos haben die Macher lange Papierbahnen an die Decken der Station Berlin gespannt. Bedruckt sind sie mit Herman Melvilles Epos' Moby Dick. Warum, erklärt eine Moderatorin kurz vor Beginn der Steinmeier-Rede: "Jeder weiß nur, dass es in dem Buch um einen Wal geht, aber keiner hat es gelesen." Um das zu ändern, gibt es auf der Republica auch eine Veranstaltung, bei der die Besucher gemeinsam das Werk lesen können.

Gemeinsam mit der Netzgemeinde will Steinmeier aber mehr als nur eine zivilisierte Debattenkultur möglich machen: "Demokratie muss digital gelingen und wir haben nur diese eine Demokratie!" ruft er dem Publikum zu. Unsere demokratische Debattenkultur beruhe auf einem Fundament und dieses bestehe aus Regeln. Eine davon sei nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die "Meinungsfreiheitverantwortung".

Die großen Plattformen Youtube, Facebook und Twitter seien daher in der Pflicht: "Wer hier in Deutschland und Europa das große Geschäft macht, der muss sich an unsere Regeln halten und nicht immer wieder Grenzen austesten und Schlupflöcher suchen und Umsetzung verschleppen. Wer das dennoch tut, der muss mit Konsequenzen und Strafen rechnen, vom Datenschutz bis zum Wettbewerbsrecht".

Staat und Internet waren sich selten so einig

Steinmeier mahnt die demokratische Regulierung der politischen Debatte an, man dürfe die Räume im Netz nicht den tobenden Scheinriesen überlassen. "Warum lassen wir zu, dass die Vernünftigen so leise sind?" Er meint damit auch Menschen wie Nanjira Sambuli. Die kenianische Menschenrechts-Aktivistin, die für die Web3-Foundation des Internet-Pioniers Tim Berners-Lee arbeitet und die UN berät, spricht nach Steinmeier.

Dem Staatsoberhaupt gelingt es mit seiner Rede, die Szene zu umarmen, während aktuelle Gesetze und Gesetzesvorhaben wie die Urheberrechtsreform samt Upload-Filtern, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Anti-Terror-Filter die Szene nach wie vor auf die Barrikaden treiben.

Doch Macher und Gäste der Republica leben seit Jahren mit Widersprüchen im Selbstverständnis. Daimler sponsert sie seit Langem, dieses Jahr ist Porsche mit dabei - und dann kommt auch noch der Bundespräsident. Vergangenes Jahr gab es einen Streit mit der Bundeswehr, die einen PR-Stand gegenüber der Konferenzhalle aufgebaut hatte - als Reaktion darauf, dass die eher linken Konferenzmacher kein Militär auf dem Areal wollten.

Steinmeier fängt das Problem mit einem Scherz zu Beginn der Rede auf: "Wie weit ist es eigentlich mit dieser freigeistigen, ungebundenen, nicht-hierarchischen Konferenz gekommen, dass sie das Staatsoberhaupt zur Eröffnung bittet? Müssen wir etwa gleich noch die Nationalhymne mit ihm singen?" Aus dem Publikum ruft einer: "Machen wir!" Selten waren Staat und Internet sich so einig wie an diesem Tag.

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