Inside Facebook:"Dann lösch halt deinen Account" ist keine Lösung

Mark Zuckerberg erhält Ehrendoktorwürde

Facebook-Chef Mark Zuckerberg (rechts) bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde seiner alten Universität Harvard.

(Foto: dpa)

Wer wie Facebook-Chef Zuckerberg die Rettung der Welt verspricht, muss mehr Verantwortung übernehmen - für seine Nutzer, aber auch für die Menschen, die in seinem Auftrag Horrorbilder zensieren.

Kommentar von Simon Hurtz

Sie wühlen sich durch die abscheulichsten Beiträge von fast zwei Milliarden Internetnutzern. Sie sehen Foltervideos aus Syrien, Hinrichtungen. Auf den Computerbildschirmen vor ihnen werden Kleinkinder missbraucht, Tiere gequält, verzweifelte Menschen versuchen, sich vor der Kamera umzubringen. Facebooks Content-Moderatoren entscheiden innerhalb weniger Sekunden: Ist das zumutbar, oder muss das weg?

Das Schlimme ist nicht, dass es diese digitale Müllabfuhr gibt. Das Schlimme ist, unter welchen Bedingungen sie den Schmutz aus dem Internet fischen.

Ende vergangenen Jahres zeigten Recherchen des SZ-Magazins, wie in Berlin 600 Angestellte der Bertelsmann-Tochter Arvato im Auftrag von Facebook versuchen, das soziale Netzwerk sauber zu halten. Viele davon arbeiteten mit Zeitverträgen für Personaldienstleister, erhielten wenig mehr als den Mindestlohn, sprachen kaum oder gar kein Deutsch und klagten über hohen Druck und unzureichende psychologische Betreuung.

Offenbar haben Facebook und Arvato wegen der Enthüllungen - oder des folgenden politischen Drucks und der Untersuchungen der Arbeitsschutzbehörden - die gröbsten Missstände beseitigt. Diese Schritte, etwa ein zusätzlicher Psychologe oder ein Rückzugsraum, kommen reichlich spät. Aber immerhin, sie kommen.

Leider war das nicht die einzige Auswirkung der Recherchen. Arvato versuchte auch, die Moderatoren noch stärker abzuschotten, um weiteren Leaks vorzubeugen. Mitarbeiter mussten Schweigeverpflichtungen unterschreiben, die Suche nach den Whistleblowern begann, wie die neuen Recherchen des SZ-Magazins zeigen. Außerdem stand die Drohung im Raum, Arbeitsplätze auszulagern, etwa ins marokkanische Casablanca.

Diese Reaktion konterkariert die Aussagen von Arvato und Facebook. Der deutsche Dienstleister des US-Konzerns betont, wie ernst er das "Wohlergehen seiner Mitarbeiter in seinen Tochterunternehmen" nehme und spricht von "hohen Standards", die "im offenen Dialog mit den Mitarbeitern" weiterentwickelt würden. Journalisten, die mit eben jenen Mitarbeitern reden oder die Firmenzentrale besuchen wollen, werden aber strikt abgewiesen.

Auch Arvatos Auftraggeber Facebook beteuert immer wieder, transparenter werden zu wollen. Die Planungen für die Löschtruppe in Berlin begannen vor etwa zwei Jahren. Seitdem hat kein Medium Einblick erhalten, es gab keine Führungen, keine Interviews mit Angestellten, keine konkreten Zahlen.

Zyniker könnten sagen: Jedes große Unternehmen will Kosten senken. Osteuropäische Zeitarbeiter schlachten für deutsche Konzerne im Akkord Schweine und Rinder. In Bangladesch nähen Kinder T-Shirts für sogenannte Premium-Marken. Und Facebook spart eben bei seinen Content-Moderatoren. Firmen nutzen jede Regulierungslücke, die ihnen die Politik bietet. Das sei die Logik des Kapitalismus, sagen die Zyniker.

Dieses Argument zieht bei Facebook aus zwei Gründen nicht: Erstens ist die Plattform längst globale Infrastruktur, ein Leben ohne Facebook-Konto ist für viele Menschen mit erheblichen Einschränkungen verbunden. "Gewissensbisse? Dann lösch halt deinen Account" ist dementsprechend weniger überzeugend als "Niemand zwingt dich, bei Primark zu kaufen". Mit großer Macht kommt große Verantwortung, und Facebook hat sehr große Macht.

Zweitens sendet das halbe Silicon Valley ständig neue Heilsversprechen in die Welt. Das Internet verbinde Menschen, Digitalisierung rette die Welt, Technologie löse die drängendsten Herausforderungen der Zukunft. Mark Zuckerberg versteht sich längst als globaler Problemlöser, in seinen Manifesten klingt er wie eine Mischung aus Dalai Lama und UN-Generalsekretär.

Der Chef eines der einflussreichsten Unternehmen der Welt formuliert und verfolgt politische und soziale Ziele. Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Nur muss sich Facebook dann auch selbst daran messen lassen. Ein Konzern, der in den ersten drei Monaten dieses Jahres mehr als drei Milliarden Euro verdient hat, sollte in der Lage sein, allen Angestellten gute Arbeitsbedingungen zu bieten. Angeblich ist das ja bereits der Fall. Wenn sich Journalisten vor Ort selbst davon überzeugen könnten, müssten Arvato und Facebook auch keine Angst vor weiteren Leaks haben.

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