Gewalt in Charlottesville:Im Kampf gegen Nazis zeigt sich die Macht des Silicon Valley

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Rechtsradikale Demonstranten mit Fackeln am Freitag vor einer Woche in Charlottesville, Virginia. (Foto: ALEJANDRO ALVAREZ/NEWS2SHARE)

Dass Google, Cloudflare, Spotify und sogar Dating-Seiten nach Charlottesville geschlossen gegen Nazis vorgehen, ist sympathisch - und ein bisschen unheimlich.

Kommentar von Jannis Brühl

Auch Faschisten brauchen Liebe, aber Chris Cantwell bekommt künftig ein bisschen weniger davon. Die große Dating-Webseite OkCupid hat sein Profil gelöscht und ihn auf Lebenszeit gesperrt. Cantwell steht im Mittelpunkt einer Vice-Doku über die rassistische Demo in Charlottesville, nach der am Samstag eine Gegendemonstrantin getötet wurde. Vor der Kamera protzt er mit Pistolen und Gewehren. Und erklärt, dass er sich einen Präsidenten wünsche, der "deutlich rassistischer als Donald Trump" sei und "seine Tochter keinem Juden geben" würde (gemeint ist Ivanka Trumps Ehe mit Jared Kushner).

Cantwells Dating-Blockade ist die persönlichste Straf-Aktion eines IT-Unternehmens gegen die amerikanische Rechtsradikalen-Szene nach der Gewalt von Charlottesville. Sie ist noch die harmloseste. Binnen weniger Tage haben die Tech-Konzerne praktisch geschlossen versucht, die Szene, die sich vor allem im Netz organisiert, unsichtbar zu machen (hier eine Übersicht über die Unternehmen, die gehandelt haben). Propagandakanäle der US-Rechtsradikalen wurden massiv eingeschränkt.

Um "Zensur" geht es nicht, schließlich übt der Staat keinen Druck auf die Unternehmen aus. Und weniger Hakenkreuze und Theorien von der Überlegenheit der "weißen Rasse" im Netz - das ist erst einmal sympathisch. Dennoch haben die Aktionen der Konzerne etwas Unheimliches. Was in den vergangenen Tagen passiert ist, ist auch eine Machtdemonstration des Silicon Valley. Praktisch live lässt sich beobachten, dass die Kontrolle über Informationsflüsse mittlerweile in den Händen einzelner Unternehmen konzentriert ist. Google, Facebook, Godaddy, Paypal, AirBnB, Cloudflare - alle dominieren das Netz in bestimmten Bereichen. Und in denen können sie bestimmen, was stattfindet.

Diese Macht kann nicht nur gegen Rechtsradikale eingesetzt werden. Die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation weist darauf hin, dass die US-Rechte bereits im Gegenzug versucht, die "Black Lives Matter"-Bewegung als "hate group" einzustufen - womit wiederum Unternehmen unter Druck gesetzt werden könnten, gegen deren Online-Auftritte vorzugehen.

Kampf gegen Nazi-Inhalte, von Godaddy bis zum Spotify

Angesichts der deutschen Debatte über den Umgang der Konzerne mit Beleidigungen und Verleumdungen lässt sich sagen: Die Unternehmen können offensichtlich, wenn sie wollen. Nach Charlottesville wenden sie endlich ihre Hausregeln gegen Rassismus - die sie auf dem Papier seit langem haben - auch praktisch an, zumindest in den USA.

Ein paar Beispiele: Die Musikdienste Spotify und Deezer werfen rassistische Lieder raus, Facebook löscht Seiten rechtsradikaler Gruppen. Google hat Gab aus seinem App Store geworfen, eine unter Rechten beliebtes soziales Netzwerk, deren Macher sich nicht an Hetze über Minderheiten oder politische Gegner stören (Apple blockiert das Programm schon seit längerem in seinem App Store).

SZ JetztNach rechter Gewalt
:Airbnb, OkCupid und Co. wollen Nazis verbannen

Die Plattformen ziehen damit ihre eigenen Konsequenzen aus den Ereignissen von Charlottesville. Aber ist das umsetzbar?

Plattformen wie Facebook oder Google sind dank ihrer gigantischen Marktanteile faktisch Teil der Kommunikations-Infrastruktur. Richtige Schlagkraft entwickeln die Aktionen der vergangenen Tage aber erst dadurch, dass auch Anbieter der technischen Infrastruktur des Internets handeln, die eine besondere Nadelöhr-Funktion haben, wenn es um Inhalte im Netz geht. ( Zeit Online fasst die verschiedenen Ebenen dieser Infrastruktur hier zusammen.)

Die Launen der CEOs

Der Registrierungsdienst Godaddy warf den Daily Stormer raus, eine der übelsten Nazi-Seiten. Über Dienste wie Godaddy werden Webseiten unter Domainnamen (wie etwa SZ.de) registriert, damit sie einfach zu erreichen sind. Ohne sie sind Webseiten praktisch nicht mehr auffindbar. Als der Daily Stormer weiterzog und es bei einem entsprechenden Dienst von Google versuchte, sperrte sich auch dieser: keine Chance für den Stormer. Zuletzt kündigte das Unternehmen Cloudflare an, die Seite nicht mehr vor so genannten DDoS-Attacken zu schützen, die Webseiten so überlasten können, dass sie nicht mehr erreichbar sind. So hat die Seite außerhalb des Darknets keine Überlebenschance.

Nach den Zentralisierungsprozessen der vergangenen Jahre hat übrigens auch Amazon eine zentrale Stellung im Fundament des Internets inne. Auf den Servern seiner Tochter Amazon Web Services liegt ein großer Teil der Online-Inhalte weltweit.

Der Cloudflare-Chef schreibt in einer Mail an seine Mitarbeiter, die Macher des Daily Stormer seien schlicht "Arschlöcher". Sollen solche Launen darüber entscheiden, wer seine Inhalte im Internet verbreiten darf? Zudem ist unklar, ob die Unternehmen konsequent bleiben. Was, wenn der Aufschrei über Charlottesville abgeflaut ist? Die Unternehmen können tun, was sie wollen.

Es bleibt zu hoffen, dass es sich um eine einmalige Aktion handelt, ausgelöst durch den außerordentlich brutalen Nazi-Auftritt. In jedem Fall muss die Gesellschaft genau beobachten, wie die Unternehmen ihre Macht in kommenden politischen Auseinandersetzungen einsetzen werden.

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