Dating-Seite:Sexuelle Vorlieben zehntausender OkCupid-Nutzer veröffentlicht

  • Wissenschaftler, Journalisten und Blogger kritisieren Leaker, die Daten von 70 000 OkCupid-Nutzern im Netz veröffentlicht haben.
  • Die selbsternannten Forscher argumentieren, dass die Daten ja ohnehin schon für jeden Nutzer der Dating-Seite zugänglich gewesen seien.
  • Der Fall wirft die Frage auf, wie es um die Privatsphäre im halböffentlichen Raum bestellt ist - weit über Dating-Seiten hinaus.

Von Hannah Beitzer

Der eine ist gerne high beim Sex, die nächste lebt polyamourös, und mancher will gefesselt werden: Solche Angaben können auf einer Dating-Seite hilfreich sein, um den passenden Partner zu finden. Aber was passiert, wenn diese Informationen schlagartig im offenen Netz auftauchen? Einiges.

Selbsternannte Forscher aus Dänemark haben persönlichste Daten von 70 000 Mitgliedern der Dating-Seite OkCupid gezogen und veröffentlicht. Dazu zählen Nutzernamen, sexuelle Orientierung und Antworten auf Fragen zu sexuellen Vorlieben oder Drogenkonsum, die jeder Nutzer im System beantworten kann (OkCupid hat den Ruf einer "alternativen" Dating-Seite): Wer ist schwul? Was hält er von Kokain? Wird er gern gebissen?

Mit der Aktion haben die Dänen einen Streit über Privatsphäre im halböffentlichen Raum passwortgeschützter Seiten und wissenschaftliche Ethik ausgelöst. OkCupid hat Millionen Mitglieder und zählt zu den bekanntesten Dating-Seiten.

Die meisten Informationen in den Profilen sind eigentlich nur für eingeloggte Nutzer sichtbar, wenn Nutzer die entsprechende Datenschutzeinstellung gewählt haben. Mit einem speziellen Programm lasen die Leaker diese Daten der Nutzer aus. Den Datensatz veröffentlichten sie dann auf der Webseite Open Science Framework, wie mehrere US-Medien berichten. Auf der Seite kann jeder Daten oder Texte zu sozialwissenschaftlicher Forschung veröffentlichen, jenseits des traditionellen Wissenschaftsbetriebs. Eigentlich wollten die Datensammler herausfinden, ob sich aus den Antworten der Nutzer deren kognitiven Fähigkeiten ablesen lassen, schreibt das Online-Magazin Vice. Auch andere Analysten sollten auf die persönlichen informationen zugreifen können.

Die Daten sind eigentlich nur für eingeloggte Nutzer sichtbar

Inzwischen ist das Dokument auf Open Science Framework nicht mehr zugänglich, kursiert aber zumindest in Teilen noch im Netz. Eine Diskussion über die Konsequenzen der Aktion ist in jedem Fall im Gange. Es ist nicht das erste Mal, dass intime Daten einer Dating-Seite schlagartig öffentlich werden. Im vergangenen Jahr erbeuteten Hacker 33 Millionen Kundendaten des Seitensprung-Portals Ashley Madison und stellten deren Klarnamen, Adressen und Kreditkarteninformationen ins Netz.

Ganz so weit ging die OkCupid-Veröffentlichung, deren Hauptautor der Däne Emil O.W. Kirkegaard ist, nicht. Die Autoren publizierten die intimen Informationen lediglich gemeinsam mit den Nutzernamen. Auch so können Betroffene allerdings identifiziert werden, vor allem wenn sie denselben Nutzernamen auf anderen Seiten mit ihrer analogen Identität vernüpft verwenden. Besonders um den Schutz der Privatsphäre besorgt schienen die Autoren ohnehin nicht zu sein. Die US-Seite Vox zitiert sie mit den Worten, sie hätten nur darauf verzichtet, Fotos der Nutzer hochzuladen, weil das zu viel Speicherplatz benötigt hätte.

Warum wurden die Daten nicht anonymisiert?

Die selbsternannten Forscher mussten die Seite für ihre Veröffentlichung anders als die Ashley-Madison-Leaker nicht hacken. Die Daten seien öffentlich zugänglich, sie hätten sie lediglich in einer ansprechenderen Form aufbereitet, zitieren Medien die Autoren der "Studie". Sie könnten daher nichts Verwerfliches daran finden. OkCupid beklagt dagegen, die Studenten hätten mit ihrer Veröffentlichung mindestens gegen die Nutzungsbedingungen der Seite verstoßen. Aber welche Verantwortung trägt eigentlich OkCupid für das Leak? Der Verweis auf den Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen der Seite ist vielen Kritikern der Veröffentlichung zu wenig. Schließlich verlassen sich Nutzer implizit darauf, dass ihre Daten auf derartigen Web-Angeboten geschützt sind.

Auch viele Wissenschaftler und Journalisten kritisieren die Leaker, da sie ethische Standards in der Wissenschaft missachtet hätten. Die dänische Aarhus Universität, an der Kirkegaard studiert, distanzierte sich von der Veröffentlichung und erklärt, er habe auf eigene Verantwortung gehandelt. Weder sei er an der Universität beschäftigt noch seien seine Methoden mit deren Standards vereinbar.

Andere Kritiker betonen, dass Teilnehmer einer Studie in jedem Fall um Erlaubnis gebeten werden müssen. Wieder andere finden, die Autoren hätten die Ergebnisse anonymisieren müssen. So, wie sie jetzt vorlägen, sei es eben einfach, die Identität der OkCupid-Nutzer zu enthüllen.

Die Debatte hat auch mit Facebook zu tun

Es stellt sich noch eine Frage, die über den konkreten Fall hinausgeht: Wie steht es um Privatsphäre im halböffentlichen Raum? Auf einer Dating-Seite erläutert man Persönliches im Glauben, dass nur andere Interessierte dies lesen und verlässt sich stillschweigend auf Schutzmaßnahmen des Betreibers. Werden die selben Informationen ins offene Netz gestellt, kann das für viele Nutzer zum Privatsphären-Problem werden.

Dabei geht es nicht nur um Dating-Seiten, auch das beliebteste soziale Netzwerk Facebook ist ein solcher halböffentlicher Raum. Auch in diesem Fall gehen die Meinungen, wie mit dort geposteten Informationen umzugehen ist, auseinander. Das zeigte vergangenes Jahr die Diskussion um "Online-Pranger", auf denen Aktivisten rechte Hetzkommentare sammeln und diese teilweise auch dem Arbeitgeber der Verfasser meldeten. Auch die Bild-Zeitung hatte im vergangenen Jahr rassistische Facebook-Kommentare veröffentlicht, ohne Nutzerbilder oder -namen zu anonymisieren. Solche Aktionen sind nicht unumstritten. Das Münchner Oberlandesgericht urteilte im März, dass der Bild-Pranger Persönlichkeitsrechte verletze.

Im Fall der veröffentlichten OkCupid-Daten gibt es inzwischen eine Seite, auf der Nutzer überprüfen können, ob sie in der Datensammlung der dänischen Studenten auftauchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: