Computerspielemesse E3:Moderner Fingerkampf

Inside The E3 Electronic Entertainment Expo Conference

Konsolen, PCs oder Smartphones: Die Gamer von heute spielen überall.

(Foto: Bloomberg)

Es kracht, rumst und irgendwo spritzt Blut. Auf der Computerspielemesse E3 kämpfen Pixel-Helden um die Gunst der Nutzer und die großen Player Microsoft und Sony wollen mit ihren neuen Konsolen Xbox One und Playstation 4 das Spielen neu erfinden.

Von Helmut Martin-Jung, Los Angeles

Was soll man schon machen, wenn es ums nackte Überleben geht und da ein Vorschlaghammer rumliegt? Da nimmt man ihn eben und haut dem fiesen Zombie eins auf den Kopf. Von dem Blut, das aufspritzt, ist dann kurzfristig sogar die imaginäre Kameralinse besudelt. Kameralinse, imaginär? Nun, was auf der großen Leinwand des Galen Center in Los Angeles abläuft, ist zwar eine Hommage an Zombiefilme, aber ein Film ist es nicht.

Es ist genauso ein Computerspiel wie die Gefechtsszene auf einem Zerstörer. Die Schüsse aus den gewaltigen Kanonen lassen den gesamten riesigen Raum vibrieren, in dem der Microsoft-Konzern seine Pressevorführung abhält, mal zischt es hier, mal kracht es dort. Während man sich unwillkürlich duckt nach dem Einschlag einer Granate oder was immer da geflogen kam, schreiben die Kollegen nebenan völlig ungerührt etwas von "fantastischen Licht- und Welleneffekten" in ihren Live-Ticker.

Sie hätten auch anmerken können, wie anmutig das Röckchen des römischen Anführers sich bewegt, wenn der über den Kampfplatz läuft, wie sein Kurzschwert noch ein bisschen nachschwingt, als er stehen bleibt, wie der Sand aufstiebt - es sind all diese Kleinigkeiten, die den Spieleliebhaber entzücken und die Industrie anstacheln.

Neue Spielekonsolen

Auf der Electronic Entertainment Expo, kurz E3, in Los Angeles, der wichtigsten Messe für Computerspiele, sind die Konkurrenten soeben zur nächsten Runde in ihrem Kampf angetreten, der genauso ewig zu sein scheint wie der ihrer Pixel-Helden. Und vor allem zwei Firmen, Microsoft und Sony, wollen mit der neuen Generation ihrer Spielekonsolen, der Xbox One und der Playstation 4, das Spielen am Computer auf eine neue Stufe heben.

Den beiden Geräten sieht man äußerlich nicht an, dass sie ganze Welten der Phantasie auf die Fernsehbildschirme bringen können - es sind schlichte schwarze Kisten, so groß wie ein Hifi-Gerät. Ihre Technik gleicht sich mehr denn je, und sie ist so leistungsfähig, dass die fast beängstigend real wirkenden Szenerien in Echtzeit - also während des Spielens - erzeugt werden können. Und das sogar mit bis zu 60 Bildern pro Sekunde, das ist mehr als bei fast allen Kinofilmen. Für viele Spiele verpflichten die Hersteller inzwischen Schauspieler, deren Bewegungen und vor allem deren Mimik mit Spezialkameras erfasst und auf ihre virtuellen Pendants übertragen werden.

Es werden die Spiele entwickelt, die die Spieler wollen

Aber reicht das, immer mehr Realismus, immer beeindruckendere Optik? Wie wichtig ist es wirklich, dass sich im glänzenden Lack eines rasenden Autos die Bäume und Straßenschilder wie im echten Leben spiegeln, wenn doch bei der Mehrheit der Spiele eigentlich noch immer eine Art Pac-Man gegen mehrere fiese Gegner kämpft? Pac-Man, man erinnert sich: Das war jenes grobpixelige Spiel aus der Anfangszeit der Computer-Games, bei dem zu ziemlich furchtbarem Gedudel aus dem PC-Lautsprecher ein gekerbter Kreis durch ein Labyrinth aus Linien gelenkt werden musste.

Und heute? Die Betonmauern irgendwelcher Tunnel haben nicht bloß feine Texturen, es tröpfelt Wasser aus defekten Leitungen, es dampft aus Rohren, die Monsterjäger haben die verrücktesten Waffen, die man sich vorstellen kann, und die Monster, ja die Monster, diese Ausgeburten der Hölle sind wirklich nicht zu vergleichen mit Pac-Mans simpel gestrickten Gegnern. Aber geht es nicht bei den weitaus meisten Spielen immer noch wie damals darum, zu kämpfen oder zu entkommen?

"Es werden die Spiele entwickelt, die die Spieler wollen", sagt Uwe Bassendowski, Leiter von Sonys Spielegeschäft in Deutschland, zunächst entwaffnend, "die wollen keine anderen, die wollen genau die Spiele, die Sie hier sehen." Genres wie Rennen, Action und Abenteuer seien einfach Klassiker der Branche, die sich gut verkauften. "Es geht da um die Erfüllung von Wunschträumen", sagt auch Phil Harrison, der Europa-Chef von Microsofts Spielegeschäft, "viele wünschen sich eben, mal einen schnellen Rennwagen zu steuern." Oder herumzuballern.

Blockbuster im Portfolio

Aber so ganz stimmt es natürlich auch nicht, dass bloß für den Geschmack der Gamer-Massen entwickelt wird. So wie ein Verlag mit einem Blockbuster im Portfolio auch mal ein Buch herausbringt, von dem sich erahnen lässt, dass es kein Bestseller wird, zeigen auch die Großen der Branche immer wieder mal Mut und geben kleineren Studios, den sogenannten Independents, eine Chance oder sie lassen sich auf ein etwas ausgefalleneres Vorhaben ein.

Ein Beispiel dafür ist "Beyond two souls", das neue Projekt von David Cage - eine interaktive Geschichte, die ganz verschieden ausgehen kann. Cage ist der Schöpfer des hochgelobten interaktiven Film noir "Heavy rain". Oder es könnte "Projekt Spark" von Microsoft werden. Es ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil es eigentlich gar kein Spiel ist, sondern ein Programm, um einfache Spiele, wie sie auf Handys laufen, mal eben selbst zu produzieren. Es macht auch Gebrauch von den besonderen Fähigkeiten der neuen Xbox, die unter anderem hochempfindliche Mikrofone hat. Man startet bei null, wählt eine Landschaft, lässt Gras wachsen oder pflanzt Bäume, legt fest, welche Tages- oder Nachtzeit herrscht - und das meiste davon lässt sich auch per Sprachbefehl erledigen. So kann sich dann jeder Spieler als Gott in seiner Bildschirmwelt fühlen: Es werde . . .

Die Hallen des L.A. Convention Center, dem Veranstaltungsort der Messe, aber werden dominiert von den Krachern für den Massengeschmack. Gerade dort, wo es am meisten rumst, wo die neuen Kriegsschocker, Alienjäger-Sagas und Zombie-Schlächtereien zu sehen sind, stehen ziemlich vorhersehbar die meisten Besucher an. Und fast alle von ihnen erzählen, dass sie auch selber gerne spielen.

Hobby zum Beruf

Viele haben ihr Hobby zum Beruf gemacht - und wer es schlau anstellt wie jener junge Kerl aus L.A. namens Brandon, kann es schnell dazu bringen, dass aus einem privaten Blog ein kleines Unternehmen wird: "So zwölf Leute schreiben jetzt für mich", erzählt er einem Kollegen im Presseraum beim Essen aus der Plastikbox und überreicht einem anderen am Tisch seine - sehr bunte - Visitenkarte: "Vielleicht gehörst du ja auch bald dazu."

Die Themen jedenfalls werden ihnen so schnell nicht ausgehen. Denn nicht genug damit, dass ständig neue Spiele auf den Markt kommen und die Technik kontinuierlich verbessert wird. Mittlerweile ist Spielen durch die Smartphones eine noch größere Massenleidenschaft geworden, als es schon immer war. Denn ein Smartphone kauft man sich zwar nicht wegen der Möglichkeiten, damit zu spielen, aber die Dinger können es eben. Und die meistgenutzten Apps sind - genau: Spiele. Sony-Mann Bassendowski sieht das gelassen. Nicht bloß, weil seine Firma auch Smartphones herstellt. Er glaubt auch, dass die Basis an Spielern eher erweitert wird als dass viele sagen, auf den Handys zu spielen, das reiche ihnen schon, wozu also noch eine Konsole?

Allerlei Beschränkungen

Billig sind die ja wirklich nicht. 399 Euro verlangt Sony für die Playstation 4, Microsoft verlangt 499 Euro für die Xbox One. Die Xbox kam nicht nur wegen des höheren Preises ins Gerede, den man mit dem mitgelieferten Kinect-Sensor begründen kann. Der Sensor, der auch im Standby-Betrieb auf Kommandos lauscht, kann mit seiner Stereo-Kamera die feinsten Nuancen erkennen und soll - optional immerhin - zu Werbezwecken eingesetzt werden.

Microsoft plant, den Nutzern auch noch allerlei Beschränkungen aufzuerlegen, was die Verwendung gekaufter Spiele angeht. An einen Freund zum Beispiel soll man ein Spiel nur einmal ausleihen dürfen. Für eine gute Strategie halten das auf der Messe nur wenige, zumal Sony sich bemühte, in seiner Pressekonferenz diese Themen positiv zu besetzen. Keine Beschränkungen bei Wiederverkauf oder beim Ausleihen. Die Halle war begeistert.

Viel Begeisterung löst auch ein anderes Thema aus, eines, das die Welt der Computer derzeit sehr stark verändert: die Cloud. Diese Wolke aus Rechnern kann man im Spieleumfeld sehen als ein unsichtbares Netz, das zum Beispiel Geräte miteinander verwebt, die eigentlich nicht miteinander kompatibel sind. Werden die Spielstände aber in der Cloud registriert, kann man zum Beispiel auf einer Konsole anfangen und auf einem mobilen Gerät da weiterspielen, wo man aufgehört hat.

Dass die Spiele nicht mehr unbedingt auf Datenträgern vertrieben werden, sondern aus der Cloud geladen werden können, liegt auch auf der Hand. Aber so richtig spannend wird es erst, wenn die Cloud beim Berechnen großer Datenmengen hilft oder wenn, wie beim neuen Rennspiel "Forza 5" für die Xbox, aus dem Verhalten eines Spielers ein virtueller Spieler geschaffen wird, der die etwas doofen und berechenbaren Computergegner ablöst. Dann kann Papa auch während der Arbeit gegen den Sohn antreten.

Obwohl er vermutlich nicht viele Chancen hätte, wenn der Jugendliche im richtigen Alter ist: so zwischen 17 und 20, sagt ein Kenner der Szene. Das sei die goldene Zeit. Die Reaktionsfähigkeit, die man hier braucht, könne man später auch durch viel Erfahrung nicht mehr erreichen. Auf der E3 watscheln viele sehr dicke Menschen über die Gänge, die offenbar zu viel am Computer gespielt und sich zu wenig bewegt haben. Die wahren Könige der Computerspiele aber sind ganz anders drauf. Sie trinken keinen Alkohol, halten sich fit, trainieren ihre Finger, damit sie bei ihren Wettkämpfen nur ja schnell genug damit sind. Und es ist ihnen ganz egal, welchen Inhalt ein Spiel hat, sie sehen die Sache eh als Sport. Moderner Fingerkampf. Wird vielleicht auch mal olympisch.

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