Google und Co.:Sehnsucht nach dem größten Markt der Welt

Google und Co.: Vor allem für Google könnte China zum Schicksalsmarkt werden.

Vor allem für Google könnte China zum Schicksalsmarkt werden.

(Foto: Shutterstock/SZ-Grafik)
  • 800 Millionen Chinesen nutzen das Internet. Für Konzerne wie Google könnte das Land zum Schicksalsmarkt werden.
  • Die Internetkonzerne aus dem Silicon Valley stehen allerdings vor einem Problem: Wollen sie in China großes Geld verdienen, müssen sie sich der Zensur beugen.

Von Christoph Giesen, Peking, und Hakan Tanriverdi

Die Eintrittskarte zum freien Internet ist in diesem Jahr weiß und wie immer scheckkartengroß. Jede einzelne ist nummeriert, den Erhalt muss man per Unterschrift quittieren. Rubbelt man die Nummer und das Passwort auf der Rückseite frei und gibt diese Kombination dann ein, kann man jede Website der Welt aufrufen. Man kann nachlesen, welche wüsten Tweets US-Präsident Donald Trump verfasst, sich bei Facebook einloggen, und natürlich googlen - mitten in China. Ausgerechnet in jenem Land, das wie kein anderer Staat seine Bürger von weiten Teilen des erdumspannenden Internets fernhält. Der Ort, an dem in der vergangenen Woche das sonst Unmögliche möglich war, heißt Wuzhen.

Einmal im Jahr tagt in dieser malerischen Wasserstadt, zwei Autostunden von Shanghai entfernt, die World Internet Conference. Organisator ist der chinesische Staat. Für einige Tage sind dann die Touristen verbannt, in den Teehäusern am Wasser ist niemand zu sehen, außer ein paar Beamten der Staatssicherheit, die alles genau im Blick haben. Stattdessen handverlesene Besucher, die sich mit Golfwägelchen zu den Veranstaltungen fahren lassen, um sich anzuhören, wie nach Ansicht der Führung in Peking das Internet der Zukunft aussehen soll: reguliert und streng zensiert.

Die meisten Gäste sind Parteikader und Mitarbeiter chinesischer Unternehmen. Zwischendrin aber: der ein oder andere Emissär aus dem fernen Silicon Valley. Manager von Facebook oder Google etwa. Sie wollen verstehen, wie man in diese so abgeschottete Welt vordringen kann, den größten Internetmarkt der Welt. 800 Millionen Chinesen sind online, fast alle von ihnen gehen mobil ins Netz. In den USA sind es nicht einmal 300 Millionen Nutzer. Wer China aufschließt, verdient Milliarden. Das versuchen die Granden aus Kalifornien mit Charme.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg etwa lobt öffentlich die Bücher von Staats- und Parteichef Xi Jinping, regelmäßig trifft er sich mit hochrangigen Funktionären. Auch Twitter versucht, Peking zu schmeicheln: In China heuerte das Unternehmen eine neue Managerin an, die einmal bei der Volksbefreiungsarmee gearbeitet hat. Ihr erster Tweet ging an das chinesische Staatsfernsehen: "Lasst uns zusammenarbeiten, um der Welt die großartige China-Geschichte zu erzählen!"

Kein anderes Unternehmen beschäftigt jedoch die China-Frage so sehr wie Google. Für den Suchmaschinenkonzern könnte die Volksrepublik zum Schicksalsmarkt werden. Mitmachen und sich zensieren lassen? Oder außen vor bleiben und die eigenen Werte wahren? Der Konzern ist gespalten.

Bis vor Kurzem noch arbeitete Jack Poulson in der Google-Zentrale in Mountain View. Als Programmierer schrieb er an Algorithmen, deren Zweck es ist, die Essenz von Suchanfragen zu verstehen. Fragt ein Nutzer zum Beispiel nach dem Wetter in München, muss Google Annahmen darüber treffen, ob das Wetter im Fokus steht, die Stadt oder aber beides. Solche Annahmen müssen auch bei deutlich komplexeren Suchanfragen zuverlässig funktionieren und das über mehrere Sprachen hinweg. Eine dieser Sprachen sollte Chinesisch sein. "Es hat irgendwann Klick gemacht", erzählt Poulson. Im Sommer berichteten die ersten Medien von einer abgeschirmten Google-Geheimmannschaft, die seit Anfang 2017 eine Such-App für den chinesischen Markt entwickelt. Der Name: Dragonfly.

Außer dem Team selbst wusste bis dahin lediglich ein kleiner Zirkel der insgesamt 88 000 Mitarbeiter von Google Bescheid. Die App soll den strikten Vorgaben der chinesischen Behörden unterliegen. Begriffe wie "Nobelpreis" (Ein Hinweis auf den 2017 in Haft gestorbenen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo), "Menschenrechte" und "studentische Proteste" (Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989) seien zensiert. Die Behörden in China sollen Dragonfly bereits vorgeführt bekommen haben. Auch an einer zweiten App - für Nachrichten - soll gewerkelt worden sein. Auch diese chinesisch akkurat zensiert.

"Wir sind in vielen Ländern tätig, in denen Zensur herrscht", lautet Googles Argumentation

"Es gab heftigen Protest innerhalb von Google", sagt Poulsen. "In internen Diskussionen sprachen Entwickler über Details. Alles sei genauso schlimm, wie es berichtet wird." Nachdem der Fall öffentlich geworden sei, hätten die Entwickler endlich über die Frustration reden können, die viele von ihnen empfunden hätten. Vom Management sind seitdem vor allem Metaphern zu hören: Entweder sei das Fenster, an dem man arbeite, leicht verdreckt, oder aber es gebe gar kein Fenster. "Intern haben Entwickler mit der Fenster-Analogie dafür geworben, dass Google auch in China aktiv sein sollte", sagt Poulsen. Lieber so ein Google als kein Google. Der Dreck steht für jene Suchbegriffe, die der Konzern zensieren würde, und damit für den Preis, den Google zu zahlen bereit wäre, um in einen Markt mit 1,4 Milliarden Menschen vorzudringen.

Rückendeckung gibt es vor allem von chinesischen Google-Mitarbeitern. In internen Diskussionsforen des Konzerns heißt es etwa: "Als chinesischer Staatsbürger ist es demotivierend, für eine Firma zu arbeiten, auf deren Dienste meine Eltern und Verwandten nicht zugreifen können." Zur Mission von Google gehöre es, alle Informationen der Welt zu ordnen. Man könne nicht einfach ein Fünftel der Welt ignorieren.

Genau das ist die Haltung von Google-Chef Sundar Pichai. Bereits vor einem Jahr ist er zur Konferenz in die Wasserstadt gefahren und hat sich dort aufs Podium gesetzt. Jetzt legt er in der New York Times nach: "Wir sind in vielen Ländern tätig, in denen Zensur herrscht", sagt Pichai. Als Beispiel führt er das "Recht auf Vergessenwerden" und die Datenschutzgrundverordnung in Europa an. In der Tat werden nicht alle Suchergebnisse in der Europäischen Union angezeigt; im Unterschied zu China sind es allerdings einige wenige Treffer, nicht ganze Dienste und unliebsame Zeitungen, die digital wegsperrt werden. "Ich bin fest entschlossen, den Nutzern in China zu dienen", sagt Pichai dennoch, "in welcher Form auch immer."

Um die reine Suchfunktion geht es dabei längst nicht mehr, wenn vom dienen die Rede ist, mithin also vom Geschäftemachen. Die Sorge im Silicon Valley ist, dass die Internetkonzerne bei künftigen Entwicklungen außen vor blieben. Beispiel autonomes Fahren. Jedes Jahr werden in China knapp 30 Millionen neue Autos verkauft, so viele wie in der EU und den USA zusammen. Und natürlich sollen auch in der Volksrepublik die Autos dereinst fahrerlos unterwegs sein. Doch wer programmiert die notwendige Software dafür?

2005 unternahm Google seinen ersten Versuch, auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen

In China ist Google bislang außen vor. Die große Hürde ist das Cybersicherheitsgesetz, das im vergangenen Sommer in Kraft getreten ist. Telekommunikationsunternehmen, Energie- und Wasserversorger, Transportfirmen oder Finanzkonzerne dürfen seitdem nur noch IT-Produkte kaufen, die eine staatliche Sicherheitsüberprüfung bestanden haben. Außerdem sind Firmen in China verpflichtet, ihre Daten den Behörden auf Anfrage zur Verfügung zu stellen. Unternehmen, die Daten ohne Genehmigung außerhalb Chinas speichern, können ihre Geschäftslizenz verlieren. Google hat so eine noch nicht einmal. Derweil haben etliche Autohersteller Kooperationen mit dem chinesischen Konkurrenten Baidu geschlossen, einem Technikgiganten - so wie es Google im Westen auch macht.

2005 unternahm Google seinen ersten Versuch, auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Eine Werbeagentur erdachte extra einen chinesischen Namen. Im April 2006 stellte der damalige Google-Chef Eric Schmidt ihn in Peking dann vor: "Guge". Übersetzt: "das Lied aus dem Tal". Der Song aus dem Valley. Heute mag das genial klingen, vor zwölf Jahren verstand die Anspielung in China kaum jemand.

Marktführer war bereits damals der chinesische Anbieter Baidu, der nun auch zum großen Wettbewerber auf dem Automarkt werden könnte. In den Anfangsjahren war Baidu kaum mehr als eine schlechte Google-Kopie. Der Erfolg kam vor allem durch Raubkopien. Guge hingegen musste sich an das chinesische Recht halten. Wer bei Google.cn nach dem Tiananmen suchte, bekam Fotos der Verbotenen Stadt oder die Öffnungszeiten des Mao-Mausoleums angezeigt. Keine Spur von den Panzern, die den Studentenprotest niederwalzten. Die Selbstzensur währte bis 2010, dann zog sich Google zurück. Ein Konzern, dessen Firmenmotto "Don't be evil" ist, hieß es, könne sich nicht verbiegen. Jetzt aber doch wieder? Jack Poulsen hat für sich entschieden, den Konzern zu verlassen. Google entlohne seine Mitarbeiter gut, sagt er, wer jedoch von solchen Entscheidungen profitiere, mache sich mitschuldig.

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