140-Zeichen-Netzwerk:Twitters gefährlicher Strategiewechsel

Lesezeit: 3 min

Minimalismus und Einfachheit war einmal. Twitter will jetzt Geld verdienen und ist bereit, fast alles in Frage zu stellen. So mancher fühlt sich da an MySpace erinnert.

Pascal Paukner

Eigentlich könnte Twitter-Chef Dick Costolo recht zufrieden sein. Sein Unternehmen wächst, schneller als Facebook sogar. Die Nutzer verbringen auch immer mehr Zeit auf Twitter und im Gegensatz zur Konkurrenz verfügt der Webdienst zumindest in Ansätzen über ein funktionierendes Geschäftsmodell im zunehmend wichtiger werdenden Social Web. Werden Tweets von Werbekunden in den Twitter-Timelines der Nutzer eingeblendet, ignorieren die Nutzer diese nicht, sondern klicken ab und an darauf. Damit verdient Twitter ordentlich Geld. Inzwischen sogar mehr als mit der Werbung, die über die Webversion des Dienstes ausgespielt wird.

-

Sogar sein altes Logo (siehe Bild) hat Twitter durch ein neues ersetzt. Wichtiger aber ist der Strategiewechsel, den das Unternehmen derzeit fährt.

(Foto: AFP)

Dick Costolo ist aber nicht zufrieden. Frustriert soll er in der vergangenen Woche sogar gewesen sein, als er der US-Ausgabe der Financial Times ein Interview gab und dem Journalisten von den Problemen, mit denen Twitter kämpft, erzählte. Demnach befindet sich Twitter in einem Dilemma: Man wolle den Nutzern auch weiterhin ermöglichen, unter einem Pseudonym ihre Meinung kundzutun, andererseits wolle man den "entsetzlichen" Missbrauch, der damit getrieben werde, eindämmen.

Twitter überlege deshalb, Tweets von Nutzern künftig auszublenden, falls diese von den Algorithmen als nicht zuverlässig eingeschätzt werden, weil sie beispielsweise nur wenige Follower, ihr Profil nicht ausgefüllt oder kein Profilbild haben. Eine Idee, die Fragen aufwerfen und Probleme mit sich bringen könnte. Dessen sei man sich im Management "schmerzlich bewusst", sagte Costolo.

Kooperation mit Medienunternehmen

Auch wenn die endgültige Entscheidung hierüber noch nicht gefallen ist, überraschen kann der Vorschlag nicht. Twitter hat in den vergangenen Monaten eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die deutlich machen: So wie es war, wird es nicht bleiben.

Die Indizien sind eindeutig: Die Expanded Tweets, die das Unternehmen beim Relaunch im vergangenen Dezember eingeführt hat sind ein Beispiel. Seit Dezember ist es möglich, Fotos und Videos direkt in der eigenen Twitter-Timeline anzusehen. Eine Funktion, die bald auch schon auf Texte und andere Multimediainhalte ausgeweitet werden soll. Twitter kooperiert dazu mit Medienunternehmen wie der New York Times und dem Wall Street Journal.

Es ist eine Strategie, die Twitter wegführt, von dem, was es einmal war: Ein minimalistischer, fast schon puristischer Aggregator individueller Nachrichtenquellen. Twitter wird damit dem großen Konkurrenten Facebook ähnlicher, das seit jeher mit einigem Erfolg darauf gesetzt hat, den Nutzer möglichst lange auf der Seite zu halten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema