Zuwanderung:Kurs halten

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In Deutschland sind die Arabischkurse voll - mit Behördenmitarbeitern, Lehrern, Krankenschwestern. Über eine neue Art der Flüchtlingshilfe.

Von Katja Hanke

Für Laien sieht das Tafelbild mit den geschwungenen Linien, den Punkten und Häkchen wie ein Kunstwerk aus. Für die Teilnehmer des Arabisch-Anfängerkurses sind es die neuen Vokabeln: Zucker, Brot, Honig, Obst. Sie lesen die Worte laut vor, Dozent Otmane Lihiya bestätigt mit einem nasalen "na'am" die Aussprache oder korrigiert sie, ergänzt Artikel und Pluralformen. Lihiya, ein enthusiastischer Mann von Mitte fünfzig, streut in seinen Unterricht gern Anekdoten und unterhaltsame Geschichten aus dem Alltag der arabischen Welt ein. Deutschen Arabisch beizubringen, das heißt für ihn nicht nur, mit ihnen Grammatik und Vokabeln zu pauken, sondern sie auch die Kultur verstehen zu lassen. Seit fast zwanzig Jahren tut er das an der Volkshochschule in Berlin-Friedrichshain.

Der 11. September, Arabischer Frühling, Flüchtlingskrise - die Politik ist ein Katalysator

Mitte der 1980er-Jahre kam der gebürtige Marokkaner nach Deutschland, um Germanistik zu studieren, heiratete, ging mit seiner Frau in die USA, kam zurück und blieb. Zuerst war er Französisch-Dozent an der Volkshochschule, 1997 fragte die Leitung, ob er nicht einen Arabischkurs geben wolle. Ein, zwei Kurse pro Trimester, mehr Interessierte fanden sich damals nicht. Nach den Anschlägen 2001 in New York änderte sich das. "Auf einmal wollten viele Leute wissen: Wie ticken diese Menschen? Was macht ihre Sprache und Kultur aus?", so Lihiya. Ähnlich war es zu Zeiten des Arabischen Frühlings oder eben jetzt - in der sogenannten Flüchtlingskrise. "2015 verzeichneten wir die größte Nachfrage überhaupt", sagt Lihiya. Das Interesse an Arabisch sei an seiner Schule momentan größer als für Chinesisch, Italienisch oder Russisch. Das ist in ganz Deutschland so. Nicht nur in Bonn, Frankfurt oder München, sondern auch in Städten wie Halle, Bielefeld oder Wuppertal - überall haben die Volkshochschulen das Angebot aufgestockt. Dass so viele Deutsche auf einmal Arabisch lernen möchten, hat mit den vielen Arabisch sprechenden Flüchtlingen zu tun, die 2015 nach Deutschland kamen. "Zuerst waren es die Flüchtlingshelfer, die die Sprache ein bisschen lernen wollten", sagt Otmane Lihiya. In vierstündigen Crashkursen hat er ihnen die Grundlagen beigebracht. Auch jetzt sitzen vor allem Menschen in den Kursen, die im Beruf oder privat Kontakt zu Flüchtlingen haben. "Sie wollen ihnen mit etwas Smalltalk in ihrer Muttersprache eine Freude bereiten und das Eis brechen. Allein die Begrüßung 'as-salamu alaykum' öffnet viele Türen", so Lihiya.

Es sind Lehrer, Mitarbeiter von Behörden und sozialen Einrichtungen, Trainer in Sportvereinen oder Personen aus dem Gesundheitswesen, die über Monate in ihrer Freizeit die neue Sprache lernen. So wie die Krankenschwester Anne Baginski. Seit neun Monaten besucht sie die Kurse von Otmane Lihiya. "Wir haben immer öfter arabische Patienten", sagt sie. "Sie freuen sich unwahrscheinlich, wenn ich sie in ihrer Muttersprache frage, wie es ihnen geht, und ob sie Schmerzen haben." Angefangen Arabisch zu lernen, hat sie aber nicht nur deshalb. Vor allem wollte Baginski, die momentan in einem Ärztehaus arbeitet, irgendwann in ein Krankenhaus wechseln. "Dort sind in Berlin aber Türkisch oder Arabisch als zweite Sprache erwünscht", sagt sie. Ein wenig kann sie die Sprache inzwischen. Stolz erzählt sie von einer Familie, die abends durch das Ärztehaus irrte. Sie habe sie auf Arabisch gegrüßt, und darüber aufgeklärt, dass die Praxen schon geschlossen seien. "Sie waren total überrascht, dass ich Arabisch konnte", erzählt sie. "Alle haben sich gefreut und auf einmal ging ein Wortschwall auf mich nieder. Ich habe nichts verstanden."

Anne Baginski ist eine der Kursteilnehmerinnen, über die Otmane Lihiya mit Begeisterung spricht - eine von denen, die nicht nachlassen, auch zu Hause üben und das Material vollständig durcharbeiten. Es freut ihn, dass viele Deutsche jetzt mehr über seine Sprache und Kultur wissen möchten. "In der Regel zucken die meisten ja zusammen, wenn man die arabisch-islamische oder arabische Kultur erwähnt", sagt er. "Da herrschen ganz verquere, falsche Bilder."

Lihiya will sie gerade rücken. Im Sommer hat er zwei Kompaktkurse gegeben; beide ausgebucht mit Teilnehmern, die Bildungsurlaub machen wollten. Im Gegensatz zu den regulären Sprachkursen behandelten sie Sprache und Kultur gleichermaßen. Diese Mischung gefällt Lihiya. Geht es ihm doch auch um zwischenmenschliche Feinheiten: Warum haben einige Flüchtlinge Schwierigkeiten mit dem Händeschütteln, warum ist der Respekt vor den Eltern so wichtig, warum sind Araber oft unpünktlich? "Bei uns entdecken die Leute, dass diese Kultur sehr vielseitig, aber im Grunde ganz normal ist", sagt Lihiya. Und dass es neben allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten gibt.

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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