Süddeutsche Zeitung

Wohnungsnot:Wenn das Bafög nicht zum Wohnen reicht

  • Seit 2008 ist die Zahl der Studienplätze in Deutschland um 42 Prozent gestiegen, die der Plätze in Studentenwohnheimen allerdings nur um fünf Prozent.
  • Folglich haben Tausende Studierende noch Wochen nach Semesterbeginn kein Zimmer am Studienstandort.
  • Ein weiteres Problem: Die Mieten sind deutlich teurer als vom Bafög-Amt veranschlagt.

Von Susanne Klein

Josua E. hat Glück gehabt. Obwohl der Student im ersten Semester "als einer der letzten reingerutscht" ist in die Notunterkunft in Schwabing-West, war noch ein Platz in einem "richtigen" Zimmer frei. Drei mal vier Meter, ein Bett rechts, eins links, zwei klamottenbeladene Stühle. Auf dem Tisch stapelt der 21-Jährige Uniunterlagen neben den Suppennudeln seines Mitbewohners.

"Ist okay hier, wie Jugendherberge", sagt er über den bunkerartigen Flachbau, den das Studentenwerk München für Studierende hergerichtet hat, die in der Stadt mit den teuersten Mieten Deutschlands zu Beginn des Wintersemesters kein Zimmer gefunden haben. Fünf Euro zahlt der Tübinger pro Nacht, nicht mehr als diejenigen, die sich in der Notunterkunft mit einer Matratze auf dem Boden begnügen müssen, in einer Halle voller Stellwände. 34 Studenten aus sechs Nationen wohnen in diesem Provisorium. Es gibt vier Toiletten, zwei Duschen, eine Küche "und normale WG-Probleme", so Josua E., "weil einige sich wie im Hotel fühlen und nie sauber machen."

Ende November sind die WG-Probleme vorbei, dann müssen alle ausziehen. Wenn er bis dahin nichts anderes hat, dann weiß er auch nicht, sagt Josua E., der Internationale Wirtschaftskommunikation studiert und seit Juni auf Zimmersuche ist. WG-gesucht, Ebay-Kleinanzeigen, die Privatzimmerbörse des Studentenwerks, Social Media, eine Studentenverbindung mit eigenem Wohnheim - der junge Mann zieht viele Register, aber in der Regel bekommt er auf seine Anfragen nicht einmal Antwort. Dabei kann er schon eigene Einkünfte vorweisen, aus einem Job im Supermarkt. Auch bei "Wohnen für Hilfe" hat er sich registriert, die Initiative bringt Senioren, die sehr kostengünstig Zimmer bereitstellen, mit hilfsbereiten Studenten zusammen. Und natürlich steht er auf der Liste des Münchner Studentenwerks. "Aber einen Platz im Wohnheim kriege ich frühestens in einem Jahr."

So wie ihm geht es in Deutschland Zehntausenden. Allein die sechs größten Studentenstädte - Berlin, München, Hamburg, Köln, Frankfurt und Stuttgart - melden auch zwei Wochen nach Vorlesungsbeginn noch etwa 24 000 Bewerber auf ein Zimmer im Studentenwohnheim. Das ergab am Freitag eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung beim Deutschen Studentenwerk (DSW). Der Dachverband hat dafür die Wartelisten seiner Mitglieder, die 80 Prozent aller Wohnheimplätze stellen, und die der übrigen öffentlich geförderten Träger ausgezählt.

"Spätestens dann, wenn Studenten sonst nicht fündig werden, probieren es selbst die bei uns, die eigentlich lieber in WGs oder allein wohnen wollen. Insofern sind unsere Wartelisten ein sehr guter Indikator für die generelle Wohnungssituation", sagt Georg Schlanzke vom DSW. Fast 240 000 Zimmer gibt es insgesamt in deutschen Wohnheimen, frei ist so gut wie keines. Die jungen Menschen auf den Listen müssen warten, bis Bewohner ausziehen oder neue Unterkünfte entstehen. Viele von ihnen sind angewiesen auf eine Bleibe, deren Preis sich nicht nach den Margen des freien Mietmarkts bemisst, sondern nach der Summe, die das Bafög-Amt vorsieht: 250 Euro im Monat.

Am krassesten ist das Missverhältnis in München. Durchschnittlich 570 Euro hat ein neu angemietetes WG-Zimmer dort im vergangenen Jahr gekostet, wie das Moses-Mendelssohn-Institut (MMI) in seinem jährlichen "Anspannungsindex des studentischen Wohnungsmarktes" ermittelte. Das waren 80 Euro mehr als zwei Jahre früher und 217 Euro mehr als im bundesweiten Schnitt (353 Euro). Dabei ist das WG-Zimmer nach dem Wohnheim, das im Schnitt 241 Euro kostet, eigentlich die günstigste Unterkunft. Kein Zufall, dass fast jeder dritte Münchner Student bei den Eltern wohnt, anderswo nur jeder Fünfte. Aber auch die anderen großen Studentenstädte sind mit Mieten zwischen 400 und 450 Euro weit teurer als das Bafög-Amt veranschlagt. Selbst Berlin, die Metropole mit den meisten Studienanfängern, lange für ihre kleinen Mieten geliebt, reiht sich inzwischen oben ein.

Wie stark Studenten heute um Wohnraum konkurrieren müssen, merken auch Vermieter. In Hamburg, das trotz bemerkenswerten Engagements für den sozialen Wohnungsbau unter dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) auf dem Anspannungsindex des MMI einen unrühmlichen zweiten Platz belegt, vermietet beispielsweise Ursula Ehmcke-Tewis ein Apartment in ihrem Haus seit 30 Jahren an Studenten. Zum Wintersemester wurde es frei, also schaltete die Hamburgerin ein Online-Inserat: 32 Quadratmeter, Einbauküche, Duschbad, fünf Minuten zur TU Hamburg-Harburg, 470 Euro inklusive allem. "Es wurde 3564 Mal gelesen, ich habe 118 schriftliche Anfragen erhalten, die Anrufe habe ich gar nicht erst gezählt", berichtet Ehmcke-Tewis. So groß war der Andrang noch nie, ist ihr Eindruck, dabei müssen sie und ihr Mann schon lange keine Kompromisse mehr machen bei der Frage, wer mit ihnen unter einem Dach wohnt: "Wir nehmen nur noch Mieter, die wir mögen, und die uns mögen."

Eine Studentin hat das Rennen um das eigene kleine Reich gemacht, sie kann froh sein, der Preis ist moderat. Und doch übersteigen Mietkosten in dieser Höhe das Budget der allermeisten. Deshalb hat das DSW am vergangenen Mittwoch eine "kräftige Bafög-Anhebung" und doppeljährliche Anpassungen verlangt. Zuletzt wurde nach sechs Jahren Pause 2016 erhöht, seitdem beziehen Studenten bis zu 735 Euro. Ihren realen Bedarf sieht Achim Meyer auf der Heyde zwischen 900 und 970 Euro pro Monat. Der DSW-Generalsekretär hofft, dass sich die möglichen Jamaika-Koalitionäre auf eine Reformabsicht einigen.

Auch zugunsten der Wohnheime appelliert er an die nächste Regierung. Nur knapp jeder zehnte Student deutschlandweit findet dort ein Zimmer. "Viel zu wenig", so Meyer auf der Heyde. Während die Hochschulen ihr Studienplatzangebot mit Bund-Länder-Mitteln aus dem Hochschulpakt seit 2008 um 42 Prozent steigerten, seien mangels Geld nur fünf Prozent mehr Wohnheimplätze entstanden. Um zu halbwegs vergleichbaren Kapazitäten zu kommen, fordert der Experte einen Hochschulsozialpakt, bei dem Bund und Länder in den Bau und den Erhalt von Wohnheimplätzen 1,45 Milliarden Euro investieren.

25 000 zusätzliche Zimmer könnten so entstehen. Allein in München "würden wir eine zweite Studentenstadt mit 2500 Plätzen locker füllen", sagt Ingo Wachendorfer, Sprecher des Münchner Studentenwerks. Das käme dann auch Menschen wie Zubair Jamil entgegen. Der 28-Jährige aus Pakistan lebt ebenfalls in der Schwabinger Notunterkunft. Er will an der TUM seinen Master machen, und sein erster Gedanke bei Betreten der Unterkunft war: Wie soll ich hier lernen? Zuvor war er für ein Semester in Rostock, ein Zimmer im Wohnheim war dort kein Problem. Da die Versorgung mit Wohnheimplätzen in der ehemaligen DDR eine Staatsaufgabe war, profitieren Studienstädte im Osten häufig noch heute von dem Gebäudebestand. Für Ausländer ein Segen, denn sie haben auf dem freien Zimmermarkt noch weniger Chancen als deutsche.

Jamil schlief auf einer gemieteten Matratze bei einem Landsmann, bevor er von der Notunterkunft hörte. Wie Josua E. hat auch er einen Job gefunden, er beliefert Münchner mit Restaurantkost. Bei der Zimmersuche hat ihm das noch nicht geholfen. Er wirkt ratlos, hofft aber inständig im Dezember nicht auf der Straße zu stehen.

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SZ vom 02.11.2017/mkoh
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