Süddeutsche Zeitung

Wissensstand von Grundschülern:Risiko Herkunft

Die neue Länderstudie der Kultusminister zeigt ein bekanntes Muster: Migranten und Kinder aus armen oder bildungsfernen Familien schneiden tendenziell schlecht ab, sie hinken bis zu einem Schuljahr hinterher. Doch es gibt einen Weg, das Schema zu durchbrechen

Roland Preuß

Im Bremer Senat für Bildung ist man morgens schon angemessen genervt. Der Stadtstaat ist Letzter geworden bei der Vergleichsuntersuchung zu den Leistungen von Viertklässlern aus allen 16 Bundesländern. Wieder einmal. Wie schon in früheren Tests bei älteren Schülern.

"Wir sind seit Jahren auf Platz 16, da freut es uns schon, wenn wir wenigstens in Mathematik auf den 15. Platz kommen", sagt denn auch die Sprecherin von Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD). Immerhin: Die anderen Hanseaten aus Hamburg hat man in dieser Disziplin geschlagen. Dennoch ist klar: Bremen und die anderen Stadtstaaten stehen wieder mal miserabel da im bundesweiten Vergleich.

Und so werden eifrig die Begründungen gestreut, warum es denn wieder nicht geklappt hat mit dem Aufstieg. "Die Ausgangsbedingungen in Bremen sind deutlich schlechter als in allen anderen Bundesländern. Hauptrisikofaktor für schlechte Lernergebnisse ist die Bildungsferne von Elternhäusern", sagt Jürgens-Pieper.

Im Klartext: die Schüler sind schwieriger als anderswo. Die Wissenschaftler haben dies feiner formuliert. Sie machen vor allem drei Faktoren aus, die darüber entscheiden, wie gut ein Viertklässler lesen, schreiben oder rechnen kann: Erstens schneiden die Kinder schlechter ab, deren Eltern arbeitslos oder Geringverdiener sind. Diesen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist schon mehrmals in Studien kritisiert worden, nun bestätigt er sich für die Grundschüler.

Zweitens spielt die Herkunft eine Rolle: also, ob Vater, Mutter oder beide aus dem Ausland stammen - und wie lange sie bereits in Deutschland leben. Je weniger sie zu Hause Deutsch sprechen, desto schwerer tun sich ihre Kinder beim Lernen. Und drittens schließlich schneiden diejenigen Grundschüler im Schnitt schlechter ab, deren Eltern "bildungsfern" sind, also selbst keinen Schul- oder Berufsabschluss haben.

Für den Ländervergleich hatten die Kultusminister eine aufwendige Untersuchung beim Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Berliner Humboldt-Universität in Auftrag gegeben. Die Forscher hatten von Mai bis Juli vergangenen Jahres fast 30.000 Schüler aus mehr als 1300 Schulen befragt, die Einrichtungen und die Klassen wurden per Zufallsverfahren ausgewählt. Die Kinder mussten dann mehrere Aufgaben aus den Fächern Deutsch und Mathematik bearbeiten, die sich nochmals in mehrere Segmente aufspalteten, etwa Lesen und Zuhören.

Grundlage für die Aufgaben bildeten die von den Ministern vereinbarten Bildungsstandards für die vierte Grundschulklasse. Sie beschreiben, was jeder Schüler bundesweit am Ende des Schuljahres beherrschen soll. In den Tests mussten die Schüler zeigen, dass sie das erworbene Wissen einsetzen können; es ging demnach nicht um auswendig gelerntes Wissen.

Der Vergleich von Bundesländern war seit der ersten derartigen Untersuchung im Jahr 2000 immer wieder in die Kritik geraten; als unfair rügten Bildungsforscher, dass Schüler aus ganz verschiedenem Umfeld verglichen wurden - etwa Flächenländer mit Stadtstaaten oder Landstriche mit vielen Hartz-IV-Empfängern mit boomenden Regionen.

Darauf haben die Macher der Studie reagiert. Sie erfassten nun gesondert die Lage in den großen Städten mit mehr als 300.000 Einwohnern, der soziale Hintergrund der Eltern wurde ebenso registriert wie Informationen, ob die Familie zugewandert ist. Damit lässt sich nun ein einigermaßen fairer Vergleich anstellen, weil diese Faktoren herausgerechnet werden können. Dabei zeigt sich: auch im Vergleich mit den übrigen Großstädten schneiden die Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg durchgehend schlechter ab.

Bei einem genauen Blick auf die Tabellen offenbart sich zudem, dass die Rahmenbedingungen für schlechtere Noten nur ein grobes Raster sind, das immer wieder durchbrochen wird. So steht Sachsen-Anhalt mit zwei dritten Plätzen erstaunlich gut da, obwohl es eines der ärmsten Länder mit vergleichsweise vielen Arbeitslosen ist. Ähnliches gilt für Mecklenburg-Vorpommern, das immerhin im Mittelfeld des Ländervergleichs rangiert. Es gibt also durchaus große Unterschiede beim Erfolg mit Grundschülern, die aus schwierigen Verhältnissen kommen.

Dies bestätigt ein Blick auf die Migranten-Kinder in der Grundschule. Sie schnitten in den Tests durchgehend deutlich schlechter ab als ihre Schulkameraden aus alteingesessenen Familien. Mit besonders große Schwierigkeiten kämpfen türkischstämmige Kinder sowie Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien. Doch ist der Rückstand unterschiedlich groß: In Nordrhein-Westfalen, wo man bereits vor längerem Sprachtests und Sprachförderung vor der Einschulung eingeführt hat, liegen die Migranten-Kinder 48 Punkte zurück, in Berlin 70 Punkte. Das bedeutet: diese Kinder hinken in der vierten Klasse bereits mehr als ein Schuljahr hinter den Gleichaltrigen hinterher.

Lesen Sie hier, warum Bildungsexperten die Studie kritisieren.

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SZ vom 06.10.2012/wolf
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