Süddeutsche Zeitung

Wissenschaft:Wald-Wellness oder Bleiwüste

Wie populär darf Wissenschaft sein? Im Ringen um diese Frage hilft es nicht, die Welt in Helden und Schurken einzuteilen.

Von Julika Griem

In seinem Plädoyer für verständliche Wissenschaftsprosa (SZ vom 27.1.2020) verließ sich Joachim Käppner auf eine bewährte Frontstellung: Auf der einen Seite das "Erbe der theorieseligen Sechziger" und ihre immer noch im Substantivierungsjargon delirierenden Nachkommen, auf der anderen Seite schmissig schreibende Sachbuchautoren, die "sensibilisieren und berühren" und "eine sinnvolle Botschaft an sehr viele Menschen" senden. Die Sympathiewerte sind damit klar verteilt: Die erfolgreichen Vermittler werden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht und liefern lesbare Sinnstiftung; die nur mit sich selbst beschäftigten Geistes- und Sozialwissenschaftler (vor allem diese hat Käppner im Visier) schotten sich ab, weil ihnen ihre Privilegien wichtiger sind als das Gemeinwohl. Im hartnäckig verteidigten Elfenbeinturm werden sie immer gelber vor Neid und schwingen die Feuilletonismuskeule gegen alle, die gegen die Diktatur der Unverständlichkeit aufbegehren.

Bereits diese Konstellation illustriert, dass Vereinfachung und Emotionalisierung nicht die bevorzugten Mittel der Kommunikation von und über Wissenschaft sein sollten. Die direkte Konkurrenz von Wissenschaft und populärem Sachbuch, wie Joachim Käppner sie beschreibt, existiert zwar in wenigen Einzelfällen, aber keineswegs grundsätzlich. Auch taugt der Rat gebende Förster Peter Wohlleben im Drama der Wissenschaftsvermittlung weder zum Helden noch zum Schurken, weil er vor allem mit Wissenschaft garnierte Lebenshilfeliteratur schreibt und keiner jener aktiven Wissenschaftler ist, von denen Käppner unterhaltsam-informative Publikumsansprache verlangt. Man kann sich fragen, ob es sinnvoll ist, Wohllebens Wald-Wellness biologisch fundierte Gegendarstellungen zu widmen. Aber als "Opfer" einer hermetisch faselnden Wissenschafts-elite überzeugt der crossmedial erfolgreiche Produzent von Ökokitsch mit durchaus nachvollziehbaren Anliegen nicht.

Insektenforschung ist der Allgemeinheit leichter nahezubringen als Physik

Dass Käppner Wohlleben als exemplarischen Fall inszeniert, zeugt von einem Bedürfnis nach überschaubaren Verhältnissen, wie sie weder auf dem Non-Fiction- Markt noch in der Wissenschaftskommunikation zu finden sind. Man sollte sich daher bewusst machen, wie sich die Rollen und Arbeitsteilungen in diesen Feldern verändern. Verlage gehen routiniert mit der Kategorie Sachbuch um, allerdings ist diese nicht trennscharf, denn sie deckt eine bewegliche Bandbreite von Genres, Produktions- und Rezeptionsweisen ab. Manche Autoren arbeiten mit Agenturen, manche mit Lektoraten; die einen führen Aufträge aus, andere lassen schreiben oder arbeiten unter Pseudonym, wie der Philosoph und Romancier Peter Bieri alias Pascal Mercier. Wieder andere übertragen ihre Forschung in populäre Gattungen; etwa der Dortmunder Philosoph Christian Neuhäuser mit seinem Reclam-Heft "Wie reich darf man sein?". Unter dem Wettbewerbsdruck müssen Verlage eng kalkulieren und ihre Querfinanzierungsmodelle umstellen. Und sich, bei aller Hoffnung auf den überraschenden Verkaufserfolg, auf das Nachgefragte verlassen: Hier lassen sich ausgetretene Pfade ausmachen, auf denen sich Finanzratgeber, kulturkritische Bildungsdiagnosen, Räum-dein-Leben-auf-Fibeln, Jubiläumsbiografien oder auch das dicke historische Männerbuch bewährt haben.

Manches wandelt sich durchaus. So schalten sich allmählich Autorinnen in Männerdomänen ein: Barbara Stollberg-Rillingers und Jill Lepores erfolgreiche und elegant komponierte jüngste Bücher demonstrieren für die Geschichtswissenschaft, wie sich lesbar schreiben lässt, ohne die Komplexität der Materie zu verraten. Auch die Meeresbiologie, Astronomie oder Insektenforschung sind beispielsweise für eine verständliche und faszinierende Aufbereitung besser geeignet als theoretische Physik, Rechtswissenschaften oder Latinistik. Im Vergleich lässt sich beobachten, in welchen Gattungen sich die Außenkommunikation von Wissenschaft vollzieht - etwa im Kunstkatalog, in der Biografie oder in der soziologischen Gegenwartsdiagnose. Eine interessante Rolle spielt zudem die Kinder- und Jugendbuchliteratur. Um aus dieser Vielfalt Schlüsse ziehen zu können, bräuchte es eine Forschung, die sich nicht nur auf anekdotische Einzelbeobachtungen verlässt.

In der Wissenschaftskommunikation jenseits des Sachbuchs sind längst jene Popularisierungsstrategien angekommen, die das Geschäft mit Wissenschaftsvermittlung bestimmen. Auch hier wird gern mit einem angloamerikanischen Goldstandard operiert, mit dem sich Deutschland als Bleiwüste akademischer Satzungetüme diffamieren lässt. Schaut man genauer hin, hat sich aber einiges getan. Die Aufgabe, Wissenschaft für ein breiteres und diverseres Publikum verständlich und interessant darzustellen, wird seit Jahren intensiv auf Podien und Workshops, in Ministerien, Stiftungen, Hochschulen und anderen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen diskutiert. Auch sind längst neue Akteure mit im Spiel: Unter steigendem Wettbewerbsdruck haben die Universitäten ihre Kommunikationsabteilungen und Marketingressourcen verstärkt. Diese Experten erzeugen einen wachsenden Markt für Weiterbildung, Beratung, Zulieferung. Zudem wird gefordert, die Wissenschaftskommunikation neben Forschung, Lehre und Transfer zu einer vierten Leistungsdimension zu machen, in der Forschende ausgebildet und bewertet werden sollen. In diese Professionalisierungsdynamiken ist auch der bedrohte Qualitätsjournalismus verwickelt: Da Honorare abgesenkt und Redaktionen aufgelöst werden, fragt man mit guten Gründen nach neuen institutionellen Verbindungen von Wissenschaft und Wissenschaftsjournalismus.

Sozial- und Geisteswissenschaftler müssen lernen, wie sie ihre Themen anschaulich vermitteln

Dass sich etwas tun muss, steht außer Frage. Aber wie können Veränderungen zügig in eine überzeugende Praxis umgesetzt werden? Aus der Perspektive der Wissenschaft gilt meines Erachtens für den Sachbuchmarkt und andere Kommunikationsmedien, dass zwischen Themen und Disziplinen, Rollen und Kontexten präzise unterschieden werden muss. Angesichts der nicht nur populistisch angefeuerten Wissenschaftsskepsis mehren sich die Plädoyers für eine möglichst inklusive und partizipative Kommunikation. Es erscheint allerdings fraglich, ob die gegenwärtigen Probleme liberaler Demokratien mit emotionalisierten und spektakulären Events bearbeitet werden können. Aus meiner Sicht verbessern wir die Lage nicht durch Storytelling im Heldenreise-Schema oder Trainingslager für Pitching und Slamming, in denen die Versendung von Kernbotschaften im Minutentakt eingeübt wird.

Anschauliches und zielgenaues Kommunizieren muss ein zentraler Teil der wissenschaftlichen Ausbildung sein, und gerade auch Sozial- und Geisteswissenschaftler können noch besser verstehen, wie sich nicht nur die Schauseite von Wissenschaft anregender vermitteln lässt. Dafür müssen nicht allein die Kriterien geschärft und Begutachtungsprozesse und Belohnungssysteme geändert, sondern auch die Räume bereitgestellt werden, in denen Kommunikation sorgfältig erlernt und umgesetzt werden kann. Auch dies braucht Zeit. Entscheidend erscheint mir, dass der grob vereinfachte Zweck der "sinnvollen Botschaft an sehr viele Menschen" nicht jedes Mittel heiligt.

Sprache und andere Symbolsysteme sind nicht nur Verpackungsmaterial für quantifizierbare Kampagnen. Sie sind gerade in den Geisteswissenschaften auch das Objekt wissenschaftlicher Neugier und führen vor Augen, dass es unterschiedliche Perspektiven auf aktuelle Krisen und Befindlichkeiten gibt. Wenn man nicht einfach nur Rezeptwissen und Marketingtricks anwendet, lässt sich eine solche Botschaft auch einem breiten Publikum vermitteln. Dieses hat es nicht verdient, nur "abgeholt" zu werden.

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Quelle:
SZ vom 04.02.2020
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