Weniger Schüler an Hauptschulen:Warum die dritte Säule bröckelt

In diesem Jahr wird es so wenig Hauptschüler geben wie nie zuvor. Denn Bildungsminister haben die schlecht beleumundete Schulform systematisch wegreformiert - zumindest dem Namen nach.

Johann Osel

Es war ein Satz, der einem Todesstoß gleichkam. Das Modell der Hauptschule sei "nicht mehr zu retten", sagte Roland Wöller im Frühjahr 2011. Unter der Federführung des damaligen sächsischen Kultusministers sowie auf Initiative von Bundesbildungsministerin Annette Schavan schickte sich eine CDU-Kommission damals an, die Zukunft der Schulpolitik auszuloten.

Kurz darauf wurden die Ergebnisse in offizielle Form gegossen: Hauptschulen sollen bundesweit abgeschafft werden und zusammen mit Realschulen in einer Oberschule als zweite Säule neben dem Gymnasium aufgehen. Auch wenn - nach dem Grummeln der Konservativen in der CDU - am Ende auf einem Parteitag nur eine "Empfehlung" für den Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem stand; Wöllers Satz vom Niedergang der Hauptschulen traf ins Schwarze. Und diese Diagnose gilt im gerade beginnenden Schuljahr mehr denn je - es beginnt mit so wenigen Hauptschülern wie nie zuvor.

Durch Schulreformen in mehreren Bundesländern gibt es immer weniger Hauptschulen; hinzu kommt bei den bestehenden Standorten die viel beschworene "Abstimmung mit den Füßen", die bewusste Wahl einer anderen Schulform. Viele Eltern, gerade in Städten, wollen ihr Kind tunlichst vor dem Besuch einer Hauptschule bewahren. Übrig bleiben oft Einrichtungen für die Leistungsschwächsten - Stempel "Restschule".

Der Blick in die Zahlenreihen des Statistischen Bundesamtes zeigt: Die Zahl der Hauptschüler bundesweit ist in den vergangenen 20 Jahren systematisch zurückgegangen. Besuchten 1992 noch fast 1,1 Millionen Kinder diese Schulart, waren es 2006 erstmals weniger als eine Million, zuletzt noch etwa 700.000. Das sind nur noch gut 15 Prozent aller Schüler - die Silbe "Haupt" tragen die Hauptschulen damit längst nicht mehr mit Berechtigung im Namen.

Sie verschwinden langsam von der Bildfläche: In Ländern wie Schleswig-Holstein, Hamburg oder Berlin wurden sie mit den Realschulen fusioniert, im Osten Deutschlands haben sie ohnehin keine Tradition. Viele Bundesländer verabschieden sich von der Hauptschule mit dem Ziel, mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen; sie werden aber auch durch die Demografie dazu getrieben. Bei sinkenden Schülerzahlen lohnt es sich zum Beispiel nicht mehr, eine Haupt- und eine Realschule am selben Ort zu unterhalten.

Daten für das nun beginnende Schuljahr sind noch nicht ausgewertet - ein Rückgang an Hauptschülern ergibt sich aber zwangsläufig. Mit dem Ende der Sommerferien haben kürzlich im CDU-regierten Niedersachsen erstmals neue Oberschulen den Betrieb gestartet. Auch dieses Modell führt Haupt- und Realschulen zusammen. In Nordrhein-Westfalen hat das Schuljahr mit so wenig neuen Hauptschülern wie nie zuvor begonnen - das Bildungsministerium in Düsseldorf spricht von einem "historischen Tiefpunkt". So sank die Hauptschülerzahl weit überdurchschnittlich um gut zehn Prozent auf etwa 157.000. Nach Angaben der Landesregierung waren bereits im vergangenen Jahr erstmals weniger als zehn Prozent der Grundschulabsolventen auf eine Hauptschule gewechselt, während 41 Prozent das Gymnasium wählten. Zudem laufen die Gesamtschulen, die rot-grünen Gemeinschaftsschulen und die neu entstandenen Sekundarschulen den verbliebenen Hauptschulen zunehmend den Rang ab.

Auf den Namen kommt es an

Für Baden-Württembergs Schüler fiel in diesem Jahr erstmals die verbindliche Grundschulempfehlung weg. Die Folge: Hauptschulen und auch die Werkrealschulen (eine aufgewertete Hauptschule, an der die mittlere Reife der Standard sein soll) büßen aktuell massiv Neuanmeldungen ein. Ohnehin plant die grün-rote Landesregierung auf Dauer mit Gemeinschaftsschulen, in denen Kinder unterschiedlicher Begabungen bis zur neunten Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Die oppositionelle CDU in Baden-Württemberg ist dagegen eine Bastion von Hauptschulverfechtern - sie hatte sich gegen Schavans und Wöllers Vorstoß zur Zweigliedrigkeit gestellt. Die Christdemokraten im Südwesten haben freilich keine Regierungsverantwortung.

Als einzige Bundesländer, in denen CDU beziehungsweise CSU noch den Kultusminister stellen, wollen Bayern und Hessen am traditionellen Drei-Säulen-Modell aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium festhalten. In Hessen, wo an "Mittelstufenschulen" erst von der siebten Klasse an das dreigliedrige System greift, nimmt die Hauptschülerzahl aber ebenfalls ab. Und in Bayern hat man 99 Prozent der Hauptschulen zu Mittelschulen aufgewertet, die schlecht beleumundete Schulart gibt es rein vom Namen her also auch kaum noch. Laut Kultusministerium macht an diesen Mittelschulen ein Fünftel der Schüler inzwischen die mittlere Reife anstelle eines Hauptschulabschlusses.

Letztlich bedeutet die Abschaffung der Hauptschulen ohnehin nicht die Abschaffung des niedrigsten Abschlusses. Denn auch an Oberschulen, Sekundarschulen oder wie die Hybrid-Formen in einzelnen Ländern auch immer genannt werden, ist der Hauptschulabschluss durchaus gängig. Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Das Land hatte nach der Wende zunächst ein dreigliedriges System eingeführt, dann 2002 Haupt- und Realschulen zu Regionalschulen verschmolzen. An diesen erlangen in der Regel gut zwei Drittel der Schüler die mittlere Reife, ein Drittel schafft weiterhin den Hauptschulabschluss (der dort "Berufsreife" heißt). Sie müssen aber zumindest nicht mehr mit dem Stigma kämpfen, "nur" die Hauptschule zu besuchen.

Schulreform-Kritiker wie der Chef des Deutschen Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, warnen dagegen: "Mit dem Ende der Hauptschule löst sich ja nicht plötzlich der Hauptschüler in Luft auf, der auch weiterhin der intensiven Förderung bedarf." Vielmehr würden zum Beispiel durch Oberschulen womöglich wichtige Elemente wie das Klassenlehrerprinzip der Hauptschulen oder die Kooperation mit Handwerksbetrieben aufgegeben.

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