Weniger Habilitationen in Deutschland:Keine Lust auf dicke Wälzer

Die Zahl der Habilitationen in Deutschland sinkt - und zwar deutlich. Und wegen der begrenzten Zahl von Lehrstühlen wird nur ein gutes Drittel der Nachwuchsforscher, die sich habilitieren, tatsächlich Professor. Das liegt nicht nur an den Juniorprofessuren.

Johann Osel

Akademische Lebensläufe gleichen oft einem Alles-oder-nichts-Spiel. Wer dauerhaft wissenschaftlich an einer Universität arbeiten will, dem bleibt fast nur ein Ziel: Professor. 41 Jahre alt sind Forscher im Schnitt bei der ersten Berufung - da haben sie meist einen Marathon aus Zeitverträgen und Ortswechseln hinter sich.

Wegen der begrenzten Zahl von Lehrstühlen wird nur ein gutes Drittel der Nachwuchsforscher, die sich habilitieren, tatsächlich Professor. "Die Gefahr, nach jahrelangem Durchschlagen und einem gewissen Berufsnomadentum am Ende keine permanente Stelle zu bekommen, ist hoch", sagte eine promovierte Naturwissenschaftlerin in einer Studie des HIS-Instituts in Hannover. Wegen des Risikos, am Ende mit leeren Händen dazustehen, wagte sie den Weg zur Professur erst gar nicht. Ist der Job des Hochschullehrers unattraktiv?

Das ist zumindest eine Erklärung für die Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Dienstag veröffentlichte. Demnach ist die Zahl der abgeschlossenen Habilitationen erneut gesunken: 2011 waren es 1563, elf Prozent weniger als im Vorjahr. Verglichen mit dem Höchststand von 2002 ist das sogar ein Drittel weniger - quer durch alle Fächer. Gleichwohl haben Maßnahmen für Geschlechtergerechtigkeit den Frauenanteil an den Habilitationen befördert. Er lag 2011 immerhin bei 25,5 Prozent. Bei den Promotionen dagegen ist Jahr für Jahr ein leichtes Plus zu erkennen; was auch daran liegt, dass in Fächern wie Chemie der Doktor für den Beruf Standard ist oder bei Ärzten inhaltlich maue Arbeiten rein fürs Praxisschild angenommen werden.

Die Statistiker erklären den Knick bei den Habilitationen teils mit der "Juniorprofessur". Vor zehn Jahren forcierte die Politik, dass der Nachweis für den Professorenstuhl auch durch sechs Jahre Lehren und Forschen geleistet werden kann - in jüngerem Alter und ohne den Druck, einen dicken Wälzer abzufassen. Seit 2002 sind gut 1000 solcher Stellen entstanden. Das gleicht den Rückgang aber nicht aus. Zudem hat sich ein Dünkel in der Wissenschaft, die anfangs gar vom "McDonald's-Professor" sprach, gehalten - Universitäten ließen sich mitunter nur zähneknirschend auf das Modell ein.

Viele Juniorprofessoren fertigen am Ende trotzdem eine Habilitation an. "Experiment gescheitert", überschrieb der Konstanzer Medienwissenschaftler Albert Kümmel-Schnur kürzlich einen Essay. Als er 2003 Juniorprofessor wurde, habe er dies für zukunftweisend gehalten. Forschen, unterrichten, einen Campus-Sender aufbauen - derlei lohne sich nicht, ohne "die Abfassung eines möglichst dickbäuchigen Textes". Nun arbeitet er doch noch an einer Habilitation.

Für den Rückgang der Habilitationen seien keinesfalls nur Juniorprofessuren, sondern "ein vielschichtiges Ursachengeflecht verantwortlich", sagt Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbands, der Standesvertretung der Professoren. "Dazu mag gehören, dass lange Karrierewege und eine im Vergleich zu anderen Spitzenpositionen kaum wettbewerbsfähige Vergütung Talente von Anfang an ihr berufliches Glück außerhalb der Universität suchen lassen." Nur ein Fünftel der in der HIS-Studie befragten Jung-Forscher erwarten sich planbare Karrieren. Die Gewerkschaft GEW fordert Verlässlichkeit und Dauerstellen auch abseits der Professur. Wer exzellente Forschung und Lehre verlange, so Vorstandsmitglied Andreas Keller, "der müsse auch exzellente Perspektiven bieten".

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