Süddeutsche Zeitung

Weißrussland:Studenten im Exil

Weißrussland gilt als letzte Diktatur Europas. In Minsk regiert Staatschef Alexander Lukaschenko mit eiserner Hand. Um ihm zu entkommen, ist eine gesamte Universität nach Litauen emigriert. Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr der Studenten schwindet.

Von Frank Nienhuysen, Vilnius

Die Ukrainer kämpfen für Europa, und sie kämpfen in ihrem eigenen Land. Maryja Sliaptsova kann nur schwer in ihrer Heimat kämpfen. Ihre Heimat ist eine Diktatur. Die Weißrussin wurde verhört, sie sollte von der Universität ausgeschlossen werden, sie spürte die geistigen Fesseln, deshalb ist sie jetzt hier im Nachbarland, man kann sie in einem Uni-Café in Vilnius, Litauen, treffen. Sliaptsova ist Studentin, 24 Jahre alt. Ihre Heimat ist nah, nur etwa 40 Kilometer sind es bis zur Grenze, und doch sehr fern. Nicht dass sie nicht hinfahren könnte: einmal im Monat reist sie mit dem Zug nach Minsk, besucht die Eltern. Aber sie ist dort verdammt zur Tatenlosigkeit. Die Suche nach dem Weg nach Europa, nach einem Spalt Demokratie ist in Weißrussland so aussichtslos wie in keinem anderen Land des Kontinents.

Sliaptsova sagt, "ich bin traurig über das, was in meinem Land passiert. Irgendwann gibt es den Punkt, an dem alle Weißrussen es satt haben." Vor ein paar Tagen hat Staatschef Alexander Lukaschenko in der olympischen Arena von Sotschi zusammen mit dem russischen Kollegen Wladimir Putin in einer Eishockey-Mannschaft gespielt. Ein rotes Trikot trugen sie beide, natürlich gewannen sie, und solange diese beiden in einem Team spielen, sieht es schlecht aus für Sliaptsova. Gerade erst hat Russland an Weißrussland 330 Millionen Euro eines 1,5 Milliarden Euro hohen Kredits gezahlt. Solange Moskau Minsk wirtschaftlich am Leben erhält, kann Lukaschenko mit eiserner Hand regieren, bleibt die Weißrussin in ihrem Exil in Litauen, einem Zentrum weißrussischer Diaspora.

Litauens konsequent europäischer Weg und Weißrusslands autoritärer Kurs haben dazu geführt, dass Vilnius eine Nahtstelle ist zwischen Lukaschenkos Reich und der Europäischen Union, und eine Zuflucht für Regierungskritiker. Das Weißrussische Menschenrechts-Haus etwa ist in Vilnius, auch die Organisation Belarus Watch ist eine Anlaufstelle für Weißrussen, die wenigstens aus der Ferne Einfluss auf ihre Heimat nehmen wollen, sich schulen lassen in Demokratie, Wahlbeobachtung, Rechtsberatung. Und es gibt die Europäische Humanistische Universität, in einem gelben Gebäude am Rande der Stadt. Hier studiert Sliaptsova internationales Recht. Es ist ein Provisorium, und das schon sehr lange.

So lange Moskau ihn päppelt, kann Lukaschenko mit eiserner Faust regieren

1992 wurde die Universität in Minsk gegründet, schnell erlangte sie Prestige, doch das waren andere Zeiten, kurz nach Ende der Sowjetunion. Vor zehn Jahren, als Lukaschenko immer rigider herrschte und die Brücken zur EU abbrach, musste die Universität schließen. Weil sich Entspannung nicht abzeichnete, wanderte sie ins Nachbarland ab. Für Sliaptsova ist sie ein Refugium, ein kleines Bildungsparadies. Als Tochter eines staatlichen Angestellten hatte sie zunächst in Minsk mit dem Rechtsstudium angefangen, aber die Lehrer waren oft ängstlich, sagt sie. "Und wenn Professoren Lukaschenkos Gesetze kritisierten, dann verstohlen, mit der Bitte, es nicht weiterzusagen." Sliaptsova ist das zu viel geworden, die Angst, die Unfreiheit, die Befragung durch das KGB, die Einschüchterungen, weil sie sich in Weißrussland als Wahlbeobachterin und für Menschenrechte engagierte. Sie ging nach Vilnius, wo am Schwarzen Brett Zettel hängen mit Angeboten über Auslandssemester und Konferenzen über Demokratie. Im Herbst war sie in Deutschland, hat geschaut, wie eine Bundestagswahl organisiert wird. Denn sie sagt, "eines Tages will ich nach Weißrussland zurückgehen".

Anatoli Michailow hört so etwas gern. "Ohne Bildung kann man keine kritische Masse erzielen", sagt der Professor. Tiefe Furchen durchziehen sein hageres Gesicht, Michailow hat einiges erlebt. Er ist der Leiter der Humanistischen Universität, er war es schon, als sie noch in der weißrussischen Hauptstadt stand. Er hat sie gegründet, er hat sie auf Druck schließen müssen, und, nachdem er frustriert in die USA gegangen war, baute er sie auf Bitten Litauens in Vilnius neu auf. Er sagt, "wenn es keinen Humus gibt, wachsen keine Narzissen, keine Chrysanthemen".

"Es ist gefährlich an politischen Prozessen teilzunehmen"

Die junge Generation aus Weißrussland komme hierher und erhalte eine europäische Bildung, in Recht, Medien, Design. 550 Studenten sind es, "und noch mehr als doppelt so viele machen bei uns ein Fernstudium", sagt Michailow. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet nach dem Abschluss in Weißrussland. Aber Michailow räumt ein, "es gibt keine Wunder". Vor drei Jahren hatte es in Weißrussland Hoffnung gegeben, als das Land Geld brauchte, den Westen hofierte. Zehntausende demonstrierten am Abend der Präsidentenwahl in Minsk, dann wurde der Protest mit Gewalt und Schikanen erstickt. "Jetzt gibt es Enttäuschung, Resignation, Apathie. Es ist gefährlich, an politischen Prozessen teilzunehmen", sagt Michailow.

Er ist stolz auf seine Universität. Doch kann sie derzeit nur vom Ausland aus arbeiten, unterstützt von amerikanischen und europäischen Stiftungen, auch deutschen. Seit zehn Jahren ist Michailow nicht mehr in seiner Heimat gewesen, zusammen mit seiner Universität hat er sie verlassen. Eine Rückkehr kann er sich nur vorstellen, "wenn wir dort keiner Ideologie unterliegen, wir kein Lukaschenko-Porträt aufhängen müssen, es keine KGB-Kontrollen gibt". Aber derzeit verschlechtere sich die Lage eher, sagt er. "Manche werden freigelassen, dafür sperrt man andere ein."

Das hat Folgen. Mit der Republik Moldau und mit Georgien hat die EU ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen paraphiert. Um die Ukraine kämpft Brüssel noch, um Aserbaidschan wirbt die EU allein wegen des Öls. Aber Weißrussland? "Es ist schmerzhaft zu sehen, dass Weißrussland aus dem Blickfeld verschwindet", sagt Michailow. Immerhin, eine Million Euro erhält die Humanistische Universität von der EU, immer für ein Jahr, geprägt von der Hoffnung, die Universität könne vielleicht doch irgendwann zurück nach Minsk. Für Michailow macht das langfristige Planungen schwierig. "Erst jetzt sieht man in Brüssel ein, dass eine Rückkehr nach Weißrussland unrealistisch ist", sagt der Rektor.

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SZ vom 31.01.2014/dgr
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